Als Paul Schrag, Rechtsanwalt aus New York und jüdischer Abstammung, in den 80er-Jahren zum ersten Mal wieder seine badische Heimatstadt Karlsruhe besuchte, machte er auch einen Abstecher ins benachbarte Bruchsal, wo sein Onkel einst eine Malzfabrik besessen hatte. Schrag suchte das Grundstück der ehemaligen Synagoge, die in der Pogromnacht niederbrannte, ohne dass die Feuerwehr eingegriffen hatte.
Was er auf diesem Grundstück vorfand, verschlug ihm die Sprache: ein Feuerwehrhaus. Noch am selben Abend erzählte Schrag einem Bruchsaler Journalisten der Nachkriegsgeneration von seinem Entsetzen: »Wisst ihr denn nicht, dass man das nicht darf?« Schrag, der Jahre zuvor die »Arisierung« der Malzfabrik seines Onkels in einem kleinen Büchlein mit dem Titel Heimatkunde dokumentiert hatte, beschloss, diese Stadt nie wieder zu besuchen, in der er einen Großteil seiner Jugendjahre verbracht hatte.
2018 soll die Bruchsaler Feuerwehr ein neues Domizil erhalten, und jetzt steht die Kleinstadt vor der Frage, wie sie mit diesem wohl einmaligen Erbe ihrer Geschichte umgehen soll. Totalabriss und vergessen oder Erhalt des Feuerwehrhauses.
Filetstück Das Problem: Die Lage in der Stadtmitte gilt als Filetstück für Handel, Büro und Wohnungen. Investoren reißen sich sicher darum, allerdings kaum, wenn sie das Thema Feuerwehrhaus und Synagoge irgendwie einbeziehen müssen. Noch wurden Öffentlichkeit und Gemeinderat nicht über die Planungen der Stadtverwaltung informiert. Aber nach allem, was durchsickerte, darf man davon ausgehen, dass wirtschaftliche Überlegungen wenig Raum lassen für einen angemessenen Umgang mit dem Nachkriegsbau, der – wohl einzigartig in ganz Deutschland – für den verantwortungslosen Umgang mit den dunkelsten Kapiteln deutscher Geschichte steht.
Die Synagoge wurde im Jahr 1881 für 140.000 Reichsmark im Stil der Neo-Renaissance errichtet, der Vorbau sollte an den Felsendom in Jerusalem erinnern. 1926 wurde das Gotteshaus renoviert und von dem Bruchsaler Maler Leo Kahn (1894 in Bruchsal geboren und 1983 in Ramat Gan, Israel, gestorben) ausgestaltet.
Das Grundstück wurde Anfang der 50er-Jahre von der Jewish Restitution Successor Organization an die Stadt Bruchsal verkauft. Die Nutzung des Geländes als Standort eines Feuerwehrhauses, das 1953 errichtet worden war, soll der Organisation bekannt gewesen sein, beruhigt man in Bruchsal die Kritiker dieser Entscheidung. Erst spät, im Oktober 2000, wurde nach langen Diskussionen an der Fassade des Feuerwehrhauses immerhin eine Tafel angebracht, mit der an die frühere Synagoge erinnert wird.
Zeitzeugen der Pogromnacht 1938 erinnern sich, wie der damalige Rabbiner Feuerwehrleute, die sich an einem Hydranten zu schaffen machten, aufforderte, endlich etwas zu unternehmen. Die Antwort: »Wir haben kein Wasser!«
Nutzungsideen Nachdem jetzt bekannt wurde, dass die Freiwillige Feuerwehr demnächst das Gebäude räumen wird, haben sich mehrere Initiativen zu Wort gemeldet, die auf alle Fälle verhindern wollen, dass das Nachkriegsgebäude völlig abgerissen und das Gelände geräuschlos dem Immobilienmarkt übergeben wird.
Es gibt einige Vorschläge für eine künftige Nutzung, etwa als Theater- oder Konzertraum für Amateur-Ensembles. Eine andere Idee ist die, das städtische Museum dort unterzubringen. Bislang fristet es im großen Barockschloss von Balthasar Neumann nur eine Nebenrolle im Museums- und Touristenbetrieb. Nur wenige Bruchsaler haben sich je für das eher lieblos zusammengestellte Museum interessiert. Im Feuerwehrhaus könnte es ansprechend untergebracht werden.
Auch Teile des städtischen Archivs könnten hier eine neue Bleibe finden. Das Archiv musste schon vor einiger Zeit in eine provisorische Unterkunft in einem Technologiepark umziehen, weit weg vom Rathaus in der Stadtmitte. Die Unterbringung des Stadtarchivs im ehemaligen Feuerwehrhaus, respektive in der ehemaligen Synagoge, so die Initiativ-Gruppen, wäre der Geschichte des Platzes und des Gebäudes angemessen. Vorgeschlagen wurde auch, in einer eigenen Abteilung des Archivs ausführlich das große jüdische Erbe Bruchsals zu dokumentieren, vor allem die menschlichen Schicksale der früheren jüdischen Bevölkerung der Stadt.
Verantwortung In den nächsten Wochen und Monaten wird sich der Gemeinderat der Stadt wohl mit dem sensiblen Thema beschäftigen müssen, ob er will oder nicht. Und dann wird sich zeigen, ob wirtschaftliche Überlegungen obsiegen oder ein verantwortungsvoller Umgang mit der Geschichte.
Bruchsal, so die Befürworter einer historischen Lösung, könnte für sich damit auch bundesweit den Anspruch erheben, aus der Geschichte, vor allem aus der Gedankenlosigkeit der Nachkriegszeit, gelernt zu haben und dies für alle Zeiten in Gestalt des neu genutzten Feuerwehrhauses dokumentieren.