Generalpause. Laienchöre müssen derzeit schweigen, denn gemeinsame Proben sind verboten. »Wir haben uns im Februar vor einem Jahr zum letzten Mal getroffen«, sagt Albina Gonopolski, Leiterin des Ensembles »Lomir Singen«. Das ist Jiddisch und heißt übersetzt »Lasst uns singen!«. Doch wann das wieder möglich sein wird, kann in diesen Tagen und Wochen keiner voraussagen. Die 15 Sänger und Sängerinnen hoffen jedenfalls auf einen baldigen Neustart.
20 Jahre ist das Ensemble nun alt, und seit sechs Jahren dirigiert Albina Gonopolski die Musiker. In ihrem Repertoire fanden sich bisher jiddische und hebräische Werke und auch mal Stücke aus der Liturgie. Die Sänger hatten Auftritte in der Dortmunder Heimatgemeinde sowie in anderen jüdischen Gemeinden oder in Schulen.
Im Lockdown bleiben den Chorleitern nur Kontakte per Telefon oder Messenger-Diensten.
Da die Kontaktbeschränkungen nach wie vor gelten, bleiben der Dirigentin in diesen Tagen nur das Telefon und Messenger-Dienste, um sich mit den Sängern auszutauschen oder zum Geburtstag ihre besten Wünsche zu übermitteln. Doch ein Chor ist mehr als ein Klangkörper – er ist wie eine »kleine Familie«. Und auch Albina Gonopolski selbst hat beruflich das Nachsehen, da sie als professionelle Sängerin nun gar keine Auftritte mehr in ihrem Terminkalender vormerken kann.
Auflagen In Dresden trafen sich die zwölf Sängerinnen des Synagogenchores in den vergangenen Sommer- und Herbstmonaten, als es kurzfristig mit sehr vielen Hygieneauflagen erlaubt war. »Wir konnten in unserer großen Synagoge mit genug Abstand proben«, sagt Leiterin Ursula Philipp-Drescher. Und sie hatten auch Termine, an denen sie auftreten sollten, beispielsweise bei der »Woche der Brüderlichkeit« und beim Gedenken zum 9. November.
Doch dann kam der Lockdown, und alles wurde kurzfristig abgesagt. »Das war für uns ein Tiefschlag und für den Chor ganz furchtbar«, erinnert sich Philipp-Drescher. Denn alle hatten sich auf die Auftritte gefreut. Seit November gab es keine einzige Live-Probe mehr. Und Zoom zu nutzen, ist für sie keine Option, da es durch die Zeitverzögerung bei der Übertragung nicht mit dem gemeinsamen Unisono-Gesang klappt.
Ohne Zoom-Meetings würde das Chorsingen zum Stillstand kommen.
Es folgte eine schweigsame Zeit, denn alle »haben ihre eigenen Sorgen«. Manche waren an Corona erkrankt, andere hatten vielleicht einen Todesfall im Familien- oder Freundeskreis, und fast jeder war und ist mit Homeschooling oder Homeoffice beschäftigt. »Nach sechs bis acht Stunden Starren auf den Bildschirm bekommt man ja schon quadratische Augen.« Da wolle man auch nichts mehr hören.
Sie selbst sei in dieser Zeit eher uninspiriert gewesen, sagt Philipp-Drescher – doch nun hofft sie auf Auftritte bei Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« und feilt bereits an einem musikalischen Konzept. So sucht sie nach Literatur, die sie für den Frauenchor arrangieren möchte. Ihr Wunsch: dass Treffen nach Pessach wieder möglich sind. »Das werden uns aber die Zahlen der Neuinfektionen sagen.«
Einsamkeit Dagmar Otschik, Beterin der Synagoge Pestalozzistraße, hat jeden Montag einen festen Termin: Am frühen Abend schaltet sie sich bei dem Zoom-Meeting ihres Chors LeKulam (Chor für alle) ein. Darauf freut sie sich jedes Mal. »Wir treffen uns im Internet, wir sehen uns und reden miteinander.«
Nach der Begrüßung schalten alle ihre Mikrofone aus, und jeder singt für sich allein zu der Stimme des Leiters, Kantor Gabriel Loewenheim, mit. Jeder singe und lerne, und es entstehe auch ein Chorgefühl – nur dass sie sich untereinander nicht hören können, bedauert sie. Dennoch: »Es ist für die Chormitglieder ein Highlight, denn viele sind allein zu Hause.« Ohne die Zoom-Meetings würde es zu einem Stillstand kommen. Und es bringt auf jeden Fall Spaß.
Seit mehr als zehn Jahren singt Dagmar Otschik – und möchte auch jetzt nicht darauf verzichten. So probt sie zu Hause, wenn sie Zeit hat, ihre Chorstimme ein. Israelische und hebräische Lieder stehen bei diesem Ensemble ganz oben. Proben durften sie – außerhalb von Corona – im Speisesaal des Jüdischen Seniorenzentrums.
sommer Im Sommer, als die Pandemie-Situation entspannter war, sangen die knapp 20 Vokalisten im Garten der Einrichtung. »Da hörten auch viele Bewohner mit.« Alle hoffen, dass es diese Möglichkeit in den wärmeren Monaten wieder gibt. Im Mai könnte der Chor seinen ersten offiziellen Auftritt nach Corona haben – wenn das Virus es zulässt.
»Wir sind wie eine Familie so sehr zusammengewachsen.«
Barbara Samuel, Geschäftsführerin des Chors Bat Kol David
Aus Münster, Duisburg, Bochum, Dortmund und Gelsenkirchen kommen die Mitglieder des Vokalensembles Bat Kol David (Echo Davids), der Chor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe. Normalerweise treffen sie sich montags und mittwochs im großen Saal in der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund. »Wir sind wie eine Familie so sehr zusammengewachsen«, sagt Barbara Samuel, Geschäftsführerin des Chors.
Doch die letzte physische Begegnung war im Januar 2020. »Wir bedauern das sehr.« Per Internet möchten sie sich nicht verabreden. Sie halten eher telefonisch Kontakt. Die 20 Mitglieder seien »sehr, sehr traurig«. Sie sind alle russischsprachig, und manche waren in ihrer Heimat Profis. Der Dirigent David Zapolski ist Komponist und nutzt nun die freie Zeit, Stücke für das Ensemble zu schreiben. Bisher haben sie sich der synagogalen und modernen jüdischen Musik gewidmet.
Freundschaften Auch der Chor aus Düsseldorf »Schalom Alejchem« hat seine Proben seit einem Jahr komplett abgesagt, erzählt Rosanna Parfenov, Vertreterin der Dirigentin. Knapp 50 Musikbegeisterte treffen sich sonst regelmäßig zweimal pro Woche, um unter der Leitung von Rozaliya Chufistova zu singen. Viele Mitglieder sind miteinander befreundet. »Alle sind nun traurig, sich nicht sehen und hören zu können.« Vor Corona hatten sie mehrere Auftritte in Berlin oder Koblenz, sie sangen in Synagogen und Kirchen.
Auf dem Programm stehen mehrstimmige religiöse Gesänge auf Iwrit und Lieder auf Jiddisch, klassische Werke von Mozart, Schumann, Mussorgski, Verdi, Rubinstein und Strauss oder auch Unterhaltungsmusik. »Schalom Alejchem« existiert seit 1998 und besteht aus 48 Frauen und Männern, von denen viele Profis sind.
»Alle wollen singen – aber ohne eine Gefahr einzugehen«, sagt Larissa Dubyago vom gemischten Chor der Jüdischen Gemeinde Mannheim. Sie mache sich Gedanken, wie ein Neustart irgendwann glücken könnte. Die Sänger seien teilweise auch nicht mehr die Jüngsten. Und Ältere hätten Angst, sich zu treffen. Die älteste Sängerin ist 92 Jahre alt und sang vor der Pandemie in zwei Ensembles. »Die Mitglieder leiden sehr, denn der Chor ist auch das zweite Zuhause.« Und gerade das Singen sei wichtig für die Seele. »Wenn es wieder erlaubt wird, dann los.«