Halle

Schweigen um 12.03 Uhr

Das Denkmal »neun-zehn-neunzehn« der Künstlerin Lidia Edel erinnert an die Opfer des Anschlags. Foto: picture alliance/dpa

Um 12.03 Uhr schwieg Halle. Im Hof der Jüdischen Gemeinde in der Humboldtstraße waren zahlreiche Menschen zum offiziellen Gedenken zusammengekommen. Sie standen dicht an dicht. Nur das Glockenläuten der Stadtkirchen war kurz nach zwölf am Sonntagmittag vor zwei Wochen zu hören.

An der Gedenkveranstaltung nahmen etliche Gäste teil, darunter Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Gemeinsam mit den Hinterbliebenen der Ermordeten legte er Kränze nieder. In seiner Rede sagte er: »Allen Menschen steht das gleiche Recht auf Achtung und Würde zu.« Weiter betonte er, dass der »Firnis der Zivilisation« sehr dünn sei. »Humanität kann schnell in Inhumanität und Barbarei umschlagen.« Die beschossene Tür, die inzwischen im Hof der Synagoge aufgestellt wurde, sei »ein eindringliches Mahnmal«, betonte der Politiker.

»Humanität kann schnell in Inhumanität und
Barbarei umschlagen.«

Ministerpräsident Reiner Haseloff

Am Gedenktag meldete sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Twitter zu Wort: »Dieser Jahrestag mahnt uns, nie wegzuschauen.« Weiter hieß es: »Wir gedenken der Opfer und bekräftigen, Rechtsextremismus in jeder Form entschlossen zu bekämpfen.«

lehren Ähnlich äußerte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). In ihrem Tweet schrieb sie: »Nichts kann die Tat ungeschehen machen, aber wir ziehen unsere Lehren. Wir wollen, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland sicher und angstfrei leben können, und schützen sie.«

Am 9. Oktober 2019, an Jom Kippur, versuchte ein schwer bewaffneter Rechtsextremist, in die voll besetzte Synagoge einzudringen, um dort ein Massaker anzurichten. Dieses wollte der Täter, mithilfe einer Helmkamera, live im Internet übertragen. Weil seine geplante Tat misslang, erschoss er die Passantin Jana L. und später den 20-jähirgen Kevin S. in einem nahe gelegenen Döner-Imbiss. Zwei weitere Menschen wurden verletzt.

Im Dezember 2020 hatte das Oberlandesgericht Naumburg den Täter unter anderem wegen zweier Morde und 68 Mordversuchen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

Erinnerung Für Max Privorozki, der das Attentat als Gemeindevorsitzender miterlebt hatte, stand auch am dritten Jahrestag das Erinnern an die Getöteten Jana L. und Kevin S. im Vordergrund. »Denn die offenen Wunden werden irgendwann und irgendwie geheilt, Jana und Kevin dagegen kehren niemals zurück«, sagte Privorozki der Jüdischen Allgemeinen.

Neben der Jüdischen Gemeinde zu Halle riefen die Stadt, Kirchengemeinden und Aktionsgruppen zu verschiedenen Gedenkveranstaltungen, Mahnwachen und Kundgebungen auf. Auch beim früheren Kiez-Döner, wo der Täter Kevin S. erschossen hatte, kamen Menschen zum Gedenken zusammen.

Dass parallel zum Gedenktag der Mitteldeutsche Marathon in Halle stattfand, hatte im Vorfeld für Aufregung gesorgt. In den Tagen vor dem Jahrestag erklärte Max Privorozki gegenüber unserer Zeitung, dass er sich dadurch nicht gestört fühle. Für ihn müsse das Leben weitergehen, auch an Gedenktagen. Zudem wolle er nicht, dass »jedes Jahr ein Grund für Kritik und Unzufriedenheit gesucht« werde.

Resilience In Berlin erinnerte die jüdische Organisation Hillel mit dem »Festival of Resilience« an den Anschlag. Hetty Berg, Direktorin des Jüdischen Museums, sagte in ihrem einleitenden Grußwort, bei dem Festival gehe es darum, »dem Antisemitismus mit einem jüdischen Narrativ« zu begegnen und denjenigen eine Stimme zu geben, »die rechtsextreme Gewalt am eigenen Körper erlebt haben«. Resilienz bedeute »Widerstandskraft, Zähigkeit, aber auch Flexibilität«, so Berg. Mit Blick auf Krieg und Pandemie bräuchten wir »Resilience – Widerstandskraft – heute mehr denn je«.

Die Mitinitiatorin des Festivals, Rabbinerin Rebecca Blady, die am 9. Oktober 2019 in der Synagoge in Halle anwesend war, wies in ihrer Rede auf den mutmaßlichen Synagogen-Angriff hin, der sich jüngst in Hannover ereignete. »Dies ist das vierte Jahr in Folge, in dem Terroristen Jom Kippur und Sukkot in jüdischen Gemeinden in Deutschland gestört haben: Halle, Hamburg, Hagen und jetzt Hannover.«

In Berlin erinnerte die jüdische Organisation Hillel mit dem »Festival of Resilience« an den Anschlag.

Im Verlauf des Abends sprachen weitere Überlebende des Halle-Anschlags. Mitorganisatorin Anastassia Pletoukhina nannte das »Festival of Resilience« eine Möglichkeit, »die eigene Erfahrung und den eigenen Schmerz zu teilen«. Ismet Tekin, in dessen »Kiez Döner« der 20-jährige Kevin S. erschossen wurde, sagte mit Blick auf die Verhinderung rechtsextremer Gewalt: »Wir haben einen langen Weg vor uns, aber gemeinsam werden wir das schaffen«, und die jüdische Schriftstellerin Page H. forderte: »Wir müssen uns mit dem Aufbau einer besseren Gesellschaft befassen.« Sie lade »alle ein, mitzumachen«.

Stimme Noch bis vergangenen Samstag wurde im Rahmen des Festivals ein umfangreiches Programm angeboten. Ein Höhepunkt war die Sukkot-Party in der selbst gebauten Sukka, die ganz im Zeichen der Solidarität mit der Ukraine stand: Ukrainische Gäste waren anwesend, es gab ukrainisches Essen und ein ukrainisch-jüdisches Pub-Quiz.

»Wir haben in unserem Festival verschiedene Formen von Resilienz integriert«, sagt Rabbiner Jeremy Borovitz, Überlebender von Halle und Mitinitiator des Festivals, mit Blick auf das Leid, das viele Ukrainer zurzeit ertragen müssen. Für den Rabbiner ist die dritte Ausgabe des Festivals ein voller Erfolg: »Es war unser bestes Jahr bisher.« Man sei dem Anspruch, »Überlebenden von rechtsextremer Gewalt eine Stimme zu geben«, gerecht geworden.

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025

Begegnung

Raum für das Unvergessene

Jede Woche treffen sich Schoa-Überlebende im Münchner »Café Zelig«, um Gemeinschaft zu finden im Schatten der Geschichte. Ein Ortsbesuch

von Katrin Diehl  23.04.2025

Interview

»Das Gedenken für Jugendliche greifbar machen«

Kurator Pascal Johanssen zur neuen Ausstellung im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in Pankow

von Gerhard Haase-Hindenberg  21.04.2025

Porträt der Woche

Austausch mit Gleichen

Maria Schubert ist Gemeindesekretärin in Magdeburg und tanzt gern

von Alicia Rust  18.04.2025