Heidelberg

Schule machen

Vor gut einer Woche begann an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg die vorlesungsfreie Zeit. Den Platz der Studenten nahmen am vergangenen Sonntag rund 70 Teilnehmer ein, die zu einer dreitägigen Fortbildung für Religions- und Hebräischlehrer zusammenkamen. Parallel dazu traf sich am Montag der Bundesbeauftragte Felix Klein mit den Antisemitismusbeauftragten der Länder zu einer gemeinsamen Sitzung.

Vor dem Treffen in Heidelberg hatte Klein nochmals angemahnt, dass alle Bundesländer eigene Beauftragte für Strategien gegen Antisemitismus berufen sollten. Ein gemeinsames Vorgehen sei notwendig. »Der besorgniserregenden Entwicklung von Judenhass in Deutschland müssen wir in Politik und Gesellschaft jetzt rasch überzeugende und abgestimmte Maßnahmen entgegensetzen«, forderte Klein. 80 Prozent der in Betracht kommenden Maßnahmen lägen in der Zuständigkeit der Länder, etwa im Bereich von Polizei und Schule.

Strategien Am Dienstag traf dann Politik auf Praxis: Die Antisemitismusbeauftragten tauschten sich mit den Teilnehmern der Lehrerfortbildung aus. Dabei betonte Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, dass die Schule im Kampf gegen Antisemitismus strategisch ein wichtiges Feld sei. »Dort werden Grundlagen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für eine demokratische Bildung gelegt.«

Das Problem von Antisemitismus in Schulen sei ganz konkret, nicht nur in Berlin, sondern in der gesamten Republik. »Diesem Problem müssen wir uns stellen«, mahnte Botmann. Und da gebe es klare Erwartungen an die Beauftragten des Bundes und der Länder: »Es ist Zeit, nicht nur Sonntagsreden zu halten, sondern Aktivitäten zu entfalten.«

»Meine Schüler berichten
immer wieder über
Vorfälle auf Schulhöfen.«
Gabriela Schlick-Bamberger, Religionslehrerin aus Frankfurt

Wie dringend der Handlungsbedarf ist, zeigte sich, als Lehrer von antisemitischen Vorfällen und der Situation in den Schulen erzählten, von judenfeindlichen Vorkommnissen in Klassenzimmern oder auf dem Schulweg. Gabriela Schlick-Bamberger, Religionslehrerin in Frankfurt, sagte: »Meine Schüler berichten immer wieder über Vorfälle auf Schulhöfen. Die meisten Schulleiter reagieren darauf sehr ungern, fürchten um den guten Ruf ihrer Schule. Auch Lehrer scheinen sehr hilflos. Man erkennt nicht, was Sache ist.«

Kantor und Religionslehrer Benjamin Chait veranstaltet in Saarbrücken regelmäßig Führungen für nichtjüdische Schulklassen in der Synagoge. Er berichtete, dass die meisten Lehrkräfte und Schüler sehr interessiert sind. Aber es komme auch immer wieder vor, dass Kinder oder Jugendliche nicht mit dabei sind, weil ihnen die Eltern verboten haben, ein jüdisches Gotteshaus zu besuchen.

Meldepflicht Die Dortmunder Religionslehrerin Rosa Rappoport schilderte den Fall einer Lehrerin in einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen, die Schülern einen Judenwitz erzählt habe. Bis auf ein Gespräch der Schulleitung mit der Lehrerin sei der Fall folgenlos geblieben. »So kann es nicht laufen, da stimmt etwas nicht«, bemängelte Rappoport.

Michael Blume verwies darauf, dass in seinem Bundesland eine Meldepflicht für judenfeindliche Vorfälle an Schulen eingeführt wurde.

Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte Baden-Württem­bergs, verwies darauf, dass in seinem Bundesland eine Meldepflicht für judenfeindliche Vorfälle an Schulen eingeführt wurde. Auch befürworte er die Einrichtung eines Fortbildungsinstituts für nichtjüdische Lehrerinnen und Lehrer. »Wir sind dran, aber das ist eine Aufgabe von Jahren. Da müssen wir Leidenschaft und Geduld zusammenbringen«, sagte Blume.

Ähnlich äußerte sich Schleswig-Holsteins Wissenschaftsministerin Karin Prien. Sie verwies auf den Bildungsföderalismus: »Wir werden also nicht von oben herab vorschreiben können, wie mit Antisemitismus umzugehen ist.« Gleichwohl sei sie bei aller Empörung über antisemitische Vorfälle und Tabubrüche, die in den letzten Jahren zunehmend zu erleben seien, sehr froh, »dass das Thema jetzt als Aufgabe der gesamten Gesellschaft auf der Agenda ist«.

Lehrerausbildung Der Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle (ZWST), Aron Schuster, fasste die Aufgaben zusammen, die sich seiner Meinung nach aus dem anderthalbstündigen Gespräch ergeben haben: »Wir brauchen verbesserte Lehrerausbildungen, eine bundesweite Meldepflicht antisemitischer Vorfälle und eine professionelle Beratung, wie Schulen mit dem Phänomen umgehen können.« Dafür benötige man Geld und politischen Druck. Zudem wolle er den Beauftragten ans Herz legen, den Austausch mit den jüdischen Gemeinden und ihren Einrichtungen und Beschäftigten zu intensivieren.

Antisemitismus war ein zentrales, aber bei Weitem nicht das einzige Thema der dreitägigen Lehrerfortbildung, die bereits zum vierten Mal stattfand, veranstaltet vom Zentralrat und der ZWST. Eingeladen waren Lehrkräfte der jüdischen Gemeinden und Landesverbände sowie der Grund- und weiterführenden Schulen.

Viele von ihnen sind selbst Absolventen der Hochschule für Jüdische Studien, etliche ihrer Professoren und Dozenten waren Referenten dieser Lehrerfortbildung. Zum Beispiel Frederek Musall, Professor für jüdische Philosophie und Geistesgeschichte, der sich dem Thema Diversität widmete. Er vertrat bei einem Workshop die Auffassung, dass sich zeitgemäßer jüdischer Religionsunterricht auch mit anderen Religionen und Weltanschauungen auseinandersetzen sollte: »Ich denke, man muss die Jugendlichen mit ihren eigenen Fragestellungen abholen. Der Religionsunterricht hat nicht nur die Aufgabe von reiner Wissensvermittlung.«

Es gibt Eltern, die ihren
Kindern verbieten,
eine Synagoge zu besuchen.

Die Gastprofessorin für jüdische Musik, Diana Matut, sprach über »Performing Jewishness«. Sie erläuterte, dass Liedern und Popsongs bei der Vermittlung von jüdischer Kultur und Religion an Kinder und Jugendliche eine besondere Bedeutung zukommt. »Lieder geben nicht nur wichtige kollektive Begebenheiten wider, sondern auch individuelle Erfahrungen. Sie sind eine wichtige Brücke für Schülerinnen und Schüler, weil sie einen unmittelbaren emotionalen Zugang schaffen.« Daran könnten Lehrerinnen und Lehrer anknüpfen.

Muski Als ein Beispiel nannte Diana Matut Lieder des Sängers Leonard Cohen, dessen 1974 veröffentlichter Song »Who by Fire« an das mittelalterliche Pijut »Unetane Tokef« anknüpft, das im Gebet der Hohen Feiertage verwendet wird. Thema im schulischen Unterricht könnte auch sein, dass Lieder und Leben von Leonard Cohen eng mit Israel verbunden waren, dass er während des Jom-Kippur-Krieges 1973 für israelische Soldaten sang, dort auch seinen Song »Lover, Lover, Lover« komponierte.

Noga Hartmann, Schulleiterin der Lichtigfeld-Schule, war mit dem Programm mehr als zufrieden.

Hochschulrabbiner Shaul Friberg berichtete über die Geschichte der zehn verlorenen Stämme, Dozenten aus Israel boten einen Intensivkurs zur Vermittlung der hebräischen Grammatik als Fremdsprache an, und eine Vertreterin des Beit Hatfutsot präsentierte Lehrmaterialien des Tel Aviver Museums des jüdischen Volkes. Die Kultus- und Bildungsreferentin des Zentralrats, Shila Erlbaum, die auch die Lehrerfortbildung organisiert, stellte neue Lehrmaterialien vor, die der Zentralrat vom Niederländischen Israelitischen Gemeindebund erworben hat und in deutscher Übersetzung anbietet.

Fazit Noga Hartmann, Schulleiterin der Lichtigfeld-Schule, mit sechs Kolleginnen und Kollegen aus Frankfurt angereist, war mit dem Programm mehr als zufrieden: »Wir nehmen vieles mit: praktisches und theoretisches Wissen. Und auch der Austausch mit anderen Lehrkräften war hervorragend. Alles hat gestimmt.«

Rektor Johannes Heil äußerte sich abschließend sehr zufrieden darüber, dass die Hochschule, die im Sommer das 40-jährige Bestehen feiert, wieder Kooperationspartner der Lehrerfortbildung und diesmal auch Gastgeber des Treffens der Antisemitismusbeauftragten sein konnte. »Dass beide Veranstaltungen sich hier begegneten, halte ich für eine kongeniale Situation. Das wird in die Annalen der Hochschule eingehen.«

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