In den meisten Bundesländern sind in diesen Tagen die Sommerferien zu Ende gegangen. Einen unbeschwerten Schulstart gibt es vielerorts allerdings nicht, wie ein Blick auf die Schlagzeilen zeigt: Neben den üblichen Artikeln über Schulanfänger und Abiturklassen wird über Proteste besorgter Eltern und die Nöte von Schuldirektoren berichtet, denn nach wie vor herrscht Lehrermangel. Der sich in den nächsten Jahren wohl noch verstärken wird, wie Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, erklärte.
Bis zu 40.000 weitere Lehrer könnten in den nächsten 20 Jahren benötigt werden, sagte er im ZDF. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Lehramts-Studienplätze in Deutschland kontinuierlich, während die Belastung der aktiven Lehrkräfte beständig zunimmt.
Wie sieht die Situation in jüdischen Schulen aus? Und ist die Beschäftigung von Quereinsteigern eine gute Lösung für das allgegenwärtige Problem des Lehrermangels?
BERLIN Gespannte und erwartungsvolle Stimmung im »blauen Haus«, wie die Kinder den am 25. Juni feierlich eröffneten neuen Pears Campus in Berlin-Wilmersdorf gern nennen: An diesem Montag begann das neue Schuljahr. Die Jüdische Traditionsschule zog aus dem bisherigen Domizil am Spandauer Damm in das siebenstöckige Gebäude an der Westfälischen Straße. Das wird mit einer kleinen Feier in der Turnhalle des 8000 Quadratmeter großen Neubaus begangen.
»Alle Schulen sind davon betroffen, dennoch tun wir vieles, um attraktiv zu sein.«
Jana Erdmann
»Gründungsschüler« nennt Rabbiner Yehuda Teichtal die anwesenden Schüler und Schülerinnen, denen das Wortspiel mit dem Begriff »Gründungsväter« offenkundig sehr gut gefällt. »Es liegt an euch, dieses Haus mit Leben zu füllen«, betont Schulleiterin Heike Michalak. Und die Kinder und Jugendlichen fangen damit auch gleich an, indem sie den neuen Abi-Jahrgang lautstark begrüßen – schon zweimal schaffte das Gymnasium den besten Abiturdurchschnitt der Stadt. Auch die auf der Bühne vorgestellten neuen Lehrkräfte werden beklatscht.
Macht sich denn der allgemeine Lehrermangel in der Jüdischen Traditionsschule gar nicht bemerkbar? »Alle Schulen sind davon betroffen, auch wir«, sagt Jana Erdmann, Pressesprecherin des Bildungszentrums, »dennoch tun wir vieles, um attraktiv zu sein: Wertschätzung und Anerkennung prägen unseren Schulalltag.«
Das Konzept der Schule »ist moralisch, ethisch – eben jüdisch – ausgerichtet, Probleme und Gewalt haben keinen Raum bei uns. Jede Herausforderung meistern wir so gut wir können«, überdies werden »die Kolleginnen und Kollegen in ihrem inhaltlichen und pädagogischen Handeln unterstützt«.
13 Erstklässler werden am 1. September eingeschult. Dazu gibt es noch eine Besonderheit, nämlich drei Willkommensklassen für aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche. Es sind insgesamt 20 Schüler, die die Klassen 1 bis 10 besuchen, wie Jana Erdmann erklärt. »Ein Viertel konnte schon in die Regelklassen übergehen.« Ein großer Erfolg.
FRANKFURT In Hessen beginnt das neue Schuljahr erst am 4. September, aber das Kollegium der Frankfurter I. E. Lichtigfeld-Schule bereitet sich bereits im Rahmen einer Präsenzwoche darauf vor. »Am Ende der Woche werden wir dann bereit für den Anfang des Schuljahrs sein«, sagt Schulleiterin Noga Hartmann. 680 Schüler besuchen in diesem Schuljahr Eingangsstufe, Grundschule, Sekundarstufe und die gymnasiale Oberstufe der staatlich anerkannten Privatschule, »das sind 50 mehr als letztes Jahr«.
In der Eingangsstufe wird es im neuen Schuljahr »vier volle Klassen geben«, berichtet Noga Hartmann weiter, »und deswegen machen wir zwei Einschulungsfeiern mit jeweils zwei Klassen, denn die Atmosphäre soll gemütlich und familiär sein«.
Natürlich sei der allgemeine Lehrermangel auch für die Lichtigfeld-Schule spürbar, sagt Hartmann, »es ist ein Kraftakt, aber wir haben das Problem für uns gelöst«. Im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen »können Schulen nicht mit Mitarbeiter-Aktien, Bonuszahlungen und anderen Vergünstigungen werben. Und das mittlerweile so beliebte Arbeiten im Homeoffice ist auch nicht möglich – vielleicht ist der Zeitgeist des 21. Jahrhunderts einer der Gründe, warum es immer weniger Lehramtsstudenten gibt«. Zur aktiven Suche gehöre nicht nur, Bewerbungen zu sichten, sondern eben auch, »auf die Empfehlungen von Kollegen zu achten«.
»Viele sind unglaublich professionelle und fähige Lehrkräfte.«
Noga Hartmann
Eine gute Schule ziehe überdies »Lehrkräfte an, wenn bekannt ist, dass der Träger – in unserem Fall die Jüdische Gemeinde Frankfurt – sich engagiert, sich um alles kümmert, inklusive einer hervorragenden Ausstattung«, hat Hartmann festgestellt. »Ein gutes Kollegium ist das A und O«, sagt sie, »es prägt die Schule und macht sie zu dem, was sie ist.«
Der Lehrerberuf sei fordernd, erklärt sie weiter, »deshalb ist es wichtig, dass eine Schule nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern eher wie ein zweites Zuhause ist – wir sind ein bunt gemischtes Kollegium, ein schöner, fröhlicher Mikrokosmos, in dem es Spaß macht, sich auszutauschen und neue Ideen zu entwickeln. Und das freut mich sehr, denn das Ziel ist ja, dass nicht nur die Schüler gern in die Schule kommen, sondern auch die Lehrer«.
Mit Quereinsteigern hat die I. E. Lichtigfeld-Schule ebenfalls Erfahrungen, »viele sind unglaublich professionelle, fähige, tolle Lehrkräfte«. Man biete zudem konkrete Unterstützung, dazu gehören unter anderem »Seminare, kollegiale Hospitationen, darüber hinaus haben wir eine Ausbilderin, die Coachings anbietet«.
Das könne sich nicht jede Schule leisten, gibt Hartmann zu, »aber wir sind in der glücklichen Lage, dass unser Träger, also die Gemeinde, den Wert von Bildung schätzt und als Investition in die Zukunft betrachtet«. Und vielleicht können in einigen Jahren auch ehemalige Absolventen der Schule als neue Mitglieder des Kollegiums begrüßt werden, »wir haben erst den dritten Abiturjahrgang, früher oder später wird das so kommen«, freut sich Noga Hartmann.