Tip, tip, tip – und schwupp sind die »Fake News« ins Netz gestellt. Falschmeldungen verbreiten sich durch die sozialen Netzwerke heute rasend schnell. Jeder kann vom heimischen Computer oder von unterwegs mit dem Smartphone Meldungen, Meinungen und Informationen online stellen.
Ob diese jedoch fundiert sind, ist noch einmal eine ganz andere Frage. Den traditionellen Journalismus mit seinem Anspruch einer gründlichen und kritischen Recherche stellt diese Entwicklung vor große Herausforderungen. Wie umgehen mit der nicht enden wollenden Informationsflut? Wie Fakten von Fake unterscheiden? Wie gute Artikel schreiben, für die die Leute auch bereit sind, zu bezahlen?
WANDEL BILD-Chefredakteur Julian Reichelt stellte sich den Fragen, die seine Zunft bewegen. Am Freitagnachmittag war er beim Jugendkongress der Zentralwohlfahrtsstelle (ZWST) und des Zentralrats der Juden in Deutschland nach Berlin gekommen. Unter dem Motto »Die Welt im Wandel« diskutierte Reichelt mit seiner Kollegin Ilanit Spinner vom Bayerischen Rundfunk über die Rolle der Medien in Zeiten von Social Media und »Fake News«.
»Es ist überaus schwer geworden, Fakten von Fälschungen zu unterscheiden«, sagte Reichelt. Informationen über praktisch alles auf der Welt seien heute mit nur wenigen Mausklicks abrufbar. »Ist die Welt dadurch freier geworden?«, fragte Reichelt in die Runde. »In der Hinsicht, dass mehr Menschen ihre Meinung ungehindert öffentlich äußern können, auf jeden Fall«, sagte der BILD-Chef.
Auf der anderen Seite erlebe er auch in einem freiheitlichen Land wie Deutschland viel Verständnis für autokratische Politiker und Menschen, die westliche Freiheitswerte mit Füßen treten. Der Journalist spielte damit auf die wohlwollende Sicht vieler Deutscher auf autokratische und diktatorische Regierungen wie Russland, Venezuela oder Iran an.
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FUNKTION »Trotz omnipräsenter Informationen versagen bei Vielen die demokratisch-freiheitlichen Kompassinstinkte«, sagte Reichelt. Die Freiheit der Information und der Meinungsäußerung, die soziale Netzwerke ermöglichen, hätte demzufolge nicht automatisch auch eine gesellschaftlich demokratisierende Funktion.
»Wie lange wird es die klassischen Medien noch geben?«, fragte Moderatorin Spinner ihren BILD-Kollegen. Reichelt antwortete kurz und knapp: »Das hängt von den Journalisten ab.« Die müssten ihren Lesern beweisen, dass eine Welt mit professionellen und erfahrenen Journalisten besser sei, als eine ohne. »Ich möchte nicht in einer Welt ohne New York Times und BBC leben«, sagte Reichelt.
Eine alte journalistische Faustregel habe heute mehr denn je Bedeutung: »Wir müssen schreiben , was ist.« Spinner und Reichelt gingen sodann auf einen aktuellen Fall ein. Auf BILD.de war am Freitag ein Video des Attentäters von Christchurch zu sehen, der in der neuseeländischen Stadt ein Blutbad in einer Moschee angerichtet hatte. In dem Videomitschnitt ist der Attentäter zu sehen, wie er sich und seine Waffen kurz vor der Tat filmt. Die Sequenz stoppt, sobald der Attentäter die Moschee betritt.
ARGUMENTE »Das Video online zu stellen, hat zu wütenden Reaktionen in den sozialen Netzwerken geführt«, sagte Spinner. Reichelt konterte: »Geschichte passiert nicht verpixelt. Ich sehe es als unsere journalistische Pflicht an, solch ein Video, auch wenn es abscheulich ist, für die Menschen als Informationsquelle zur Verfügung zu stellen.« Ansonsten gebe man nur denjenigen Argumente, die die etablierten Medien als »Lügenpresse« verunglimpfen wollten.
Nach der Diskussion gingen die Jugendkongress-Teilnehmer mit gemischten Gefühle aus dem Saal. Einer von ihnen ist der Berliner Michael Groys, der schon drei mal an einem Jugendkongress teilgenommen hat. »Wir leben im Zeitalter des Postfaktischen«, sagte der 27-Jährige.
Und weiter: »Ich bin viel in den sozialen Netzwerken unterwegs. Man erlebt so viel Desinformation und Hass dort.« Deswegen erachte er auch einen Journalismus, der mit ausreichend Ressourcen hintergründige Berichte schreiben kann, als für einen demokratischen Rechtsstaat unabdingbar.
ISRAEL Als zweites Highlight an diesem Nachmittag waren die israelischen Journalisten Amos Harel von der Tageszeitung Haaretz und Amit Segal vom TV-Sender Channel 2 News auf dem Jugendkongress zu Gast. Mit der charmanten Moderatorin Melody Sucharewicz diskutierten die beiden über die Situation in Israel vor den anstehenden Parlamentswahlen am 9. April.
Thematisch unter den Nägeln brannten den Diskutanten die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten und speziell die Raketenangriffe der Hamas aus dem Gazastreifen auf den Großraum Tel Aviv.
»Auch wenn den Menschen in Israel Themen wie Steuern, Arbeitsrecht und Ökologie wichtig sind, wird am Ende immer die Sicherheitsfrage entscheiden«, analysierte Segal. Dies habe sich bereits bei den letzten Wahlen immer wieder gezeigt.
OPPOSITION Kollege Harel ergänzte: »Premierminister Benjamin Netanjahu wurde in den letzten Jahren immer wiedergewählt, weil ihm die Leute zutrauen, für die Sicherheit des Landes zu sorgen und eine starke Position gegenüber dem Iran zu vertreten.« Er glaube, dass Netanjahu auch in diesem Jahr wieder das Rennen machen wird.
»Das glaube ich allerdings auch«, stimmte Segal zu. »Allerdings liegt das auch an der Schwäche der Opposition.«
Zwei Journalisten, eine Meinung: Das kommt nicht allzu häufig vor – und war an diesem Abend dennoch Fakt, kein Fake.