Purim

Schrank auf, Kostüm an

Foto: Getty Images

Wenn sich Königin Esther mit einem Dino und einem Piraten am Buffet anstellt, wenn laute Musik die Hüpfburgen vibrieren lässt und Kinder mit Hamantaschen im Mund, am Mund und in den Händen durch einen Saal laufen, wenn Erwachsene nachts auch nicht mehr genau wissen, wer sie sind, dann ist Purim. Das Fest, das in jedem Jahr am 14. Adar gefeiert wird, gilt als das fröhlichste im jüdischen Kalender und ist vielleicht sogar der kleine geschminkte Star. Denn wann sieht man schon einmal Kostüme und Frisuren aller Art?

Während alle anderen an Land feiern, wird Kelly Zehe mitten auf dem Atlantik sein. Die ausgebildete Maßschneiderin arbeitet als Theater-Kostüm-Managerin an Bord eines großen Kreuzfahrtschiffes und stattet Theater-Ensembles mit Kostümen aus. Ein bisschen traurig ist sie schon, dass sie auch in diesem Jahr nicht wird feiern können, denn bereits im Jahr zuvor fiel die Purimfeier aus. »Ich hatte schon mein komplettes Kostüm zusammen. Es war kirschblütenrosa und weiß; wie eine Geisha. Dann musste ich aber arbeiten und war zu Purim in Singapur.« Dabei ist Purim für Kelly »eines der tollsten Feste, das unser Kulturkreis zu bieten hat«.

Sarah Shaban­zadeh-Glaschy ist gerade zwischen zwei Feiern. Die Mitarbeiterin der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt war am vergangenen Samstag bereits auf der Purimfeier der Gemeinde. Das Motto lautete »Disco Jewniverse«, und die Stimmung, so erinnert sich Shabanzadeh-Glaschy, war fantastisch. »Am Donnerstag feiern wir Purim in der Synagoge, wo wir dann auch die Megillat Esther hören. Was ich da allerdings für ein Kostüm tragen werde, da muss ich ein bisschen überlegen: vielleicht mein Piratenkostüm«, überlegt sie. So ganz entschieden ist sie noch nicht. Nur eines ist sicher: »Ich kaufe mein Kostüm, weil mir für alles andere gerade die Zeit fehlt. Ansonsten würde ich das Selbermachen gern wieder in Angriff nehmen.«

Manchen fehlt einfach die Zeit, um ein Kostüm selbst zu machen

Kaufen oder selbst machen – das ist die Frage. So kreativ das Zusammenstellen eines Kostüms sein kann, vielen fehlt dafür schlicht und ergreifend einfach die Zeit. Obwohl sicherlich jede und jeder etwas im Kleiderschrank findet, das man noch gut für ein Kostüm verwenden kann.
Manchen fehlt einfach die Zeit, um ein Kostüm selbst zu machen.
Karolina hat für sich und ihr Kostüm einen guten Mittelweg gefunden: »Meine Verkleidungen zu Purim sind eine Mischung aus gekauft und wiederentdeckt: Ich habe ein paar Accessoires, die ich tragen kann, etwas bunte Schminke. Aber so richtige Kostüme habe ich mir gar nicht gekauft, weil ich sie dann nur einmal im Jahr anziehe.«

Ohne Schminke geht an einem Feiertag wie Purim ohnehin fast nichts, findet Shelly Meyer aus Hamburg. Es sei das »A und O«. Die jüdische Aktivistin und Studierende hat dafür auch ein paar beeindruckend-kreative Beispiele, die nicht nur auf Bunt-Anmalen hinauslaufen, sondern die das Thema Verkleidung von einer ganz anderen Seite her denken.

»Für mich ist es wichtig, mir das Motto vorzustellen, mir zu überlegen, welchen Charakter ich darstellen will, ohne dabei kulturelle Aneignung zu betreiben. Das kann nämlich sehr schnell passieren. Vor allen Dingen, wenn man dann Mottos hat, die ja eher kulturell oder länderspezifisch sind.« Das Motto, das die Studierende im vergangenen Jahr in der Gemeinde hatte, hieß »Mexiko«. Shellys Antwort auf Sombrero und andere Klischees: Sie ging als Chilischote. »Ich trug etwas Rotes und Grünes und habe mit viel Schminke gearbeitet.«

Der Projektmanager feiert erst zum zweiten Mal Purim

Mit viel Schminke wird Moshe Ariel vermutlich nicht arbeiten müssen, denn seine Verkleidung in diesem Jahr mutet wahrlich sagenhaft an: »Es geht zu einer ›Harry-Potter‹-Mottoparty, also schlüpfe ich in die Rolle von Albus Dumbledore. Mit spitzem Hut, Zaubererumhang und Zauberstab – das volle Programm.« Der Projektmanager feiert erst zum zweiten Mal Purim. Früher hätten Dinge wie Karneval oder Verkleidungen für ihn keine Bedeutung gehabt, erzählt er. »Ich habe mich gefragt, warum man sich anders anziehen oder eine andere Rolle spielen sollte – das wirkte auf mich nicht authentisch.«

Doch es sei nun einmal Adar, der Monat der Freude, sagt Moshe Ariel, und »gerade in Zeiten wie diesen können wir an Geschichten wie der von Esther festhalten. Purim erinnert uns daran, andere Perspektiven auszuprobieren, Rollen spielerisch zu wechseln – und dabei gemeinsam Freude zu erleben.«

Bei den Frauen, erzählt die Schneiderin, seien Königin, Prinzessin und Feen – also sehr weibliche Figuren – im Trend.

Auch für Sarah Shabanzadeh-Glaschy hat Purim sehr viel Aktuelles: »Die Freude, die Megilla zu hören, einfach zusammen zu feiern, dass man damals das Böse besiegt hat, das ist ja heutzutage auch wieder von Bedeutung.«

Für Shelly hat Purim nach dem 7. Oktober 2023 eine ganz besondere Relevanz: »An Purim soll man in einen Realitätsverlust kommen, in dem man eben das Gute von dem Bösen nicht mehr unterscheiden kann. Das erleben wir, finde ich, gerade sehr stark auch in der Gegenwart, wo eigentlich das, was sehr klar als böse verurteilt wird, von der Hamas zum Beispiel als etwas Gutes, als Freiheitskampf, dargestellt wird.« Nach wie vor, findet die Hamburgerin, sei es aber auch ein emanzipatorisches und feministisches Fest, gerade mit Blick auf Waschti und Esther. An Purim tragen auch orthodoxe Jüdinnen und Juden oder vor allem weibliche Personen Hosen, denn das gilt als Verkleidung.«

Sie selbst wird in diesem Jahr eher auf etwas Monochromes setzen

Warum überhaupt verkleidet man sich am 14. Adar? Daran möchte Karolina erinnern, wenn sie ihr Kostüm vorbereitet. Man soll, betont sie, verstehen, was der Gedanke dahinter ist: »Es sollen ja zwei Dinge thematisiert werden: Dass Gott in dem Buch Esther nicht erwähnt wird, er versteckt oder verkleidet ist, und dass Esther ihre Identität geheim halten musste, denn der König wusste nicht, dass sie Jüdin ist.« Sie selbst wird in diesem Jahr eher auf etwas Monochromes setzen.

Als Kind habe sie sich natürlich immer richtig groß verkleidet. Die ganze Familie habe einmal ein Familienkostüm getragen: »Clownssachen, mit so riesigen Krawatten, Clownsnasen, meine Mutter hatte so einen Haarreif mit Riesenohren, die genauso gepunktet waren wie die Krawatte.« Heute überlässt Karolina das Verkleiden den Kindern, denn die freuen sich am meisten über das Fest und tragen so eine ganze Tradition weiter.

Mit Make-up und längst ungetragenen Sachen lässt es sich super verkleiden.

Kelly Zehe erinnert sich an die tollsten Kostüme bei Kindern: »Kostüme aus Pappen oder Folien. Einer hat sich mit Küchen­utensilien, einem Sieb auf dem Kopf, verkleidet. Küchenhandtücher, Küchenlöffel – das wirkte fast mittelalterlich-ritterlich.« Bei den Frauen, erzählt die Schneiderin, seien Königin, Prinzessin und Feen – also sehr weibliche Figuren – im Trend. »Sie sind oftmals viel weiblicher als im echten Leben«, hat Zehe beobachtet. Ihr Tipp für Kostümfreudige ohne viel Zeit: In der Schublade oder im Schrank werde fast jeder fündig. Es gebe Sachen, die, »wenn man die zusammenwürfelt und lustig kombiniert, schon eine gute Kostümoption bieten. Man muss nicht teuer einkaufen, man kann auch mit witzigen Schals, Tüchern, Kappen und Hüten ganz tolle Sachen zaubern«.

Der Sinn bei Purim sei ja, sagt Zehe, dass man nicht mehr man selbst ist. »Man verkleidet sich wirklich; schlüpft heraus aus seinem echten Ich und ist dann kurz etwas anderes. Beim historischen Purim trug man übrigens sogar eine Gesichtsmaske.« Nun, so weit muss es nicht unbedingt gehen, die Pandemie ist vorbei, wobei sich Zehe erinnert, auf einer Party selbst dieses Thema textil verarbeitet gesehen zu haben: »Zur Corona-Zeit verkleideten sich viele als Virus: komplett grün, grüne Strumpfhose, grüner Rock, grünes T-Shirt, grüne Kappe, grüner Schal.«
Einen Trend vermag die Kostüm-Expertin noch nicht auszumachen, aber eines ist so gut wie sicher: Auf mindestens einer Purim-Party werden Königin Esther, ein Dino und ein Pirat am Buffet anstehen, laute Musik wird Hüpfburgen vibrieren lassen, und Kinder werden mit Hamantaschen im Mund, am Mund und in den Händen durch einen Saal laufen. Chag Sameach!

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