»Beginn einen ganz neuen Tag/ geh den anderen Weg/ sag ihnen, dass du verrückt bist.« Als Shirat Isaak die erste Zeile ihres Songs »Crazy« schrieb, lebte sie noch in Tel Aviv, bastelte an ihrem Debütalbum und trat abends im angesagten Künstlercafé Bialik auf. Ihre Stimme hat einen weichen, warmen Klang, dessen Bandbreite an Tori Amos, Sade und Amy McDonald erinnert. Selbst beschreibt Shirat Isaak ihren Stil als eine Mischung aus »Folk, Rock und Pop mit israelischer Note«. In dem offiziellen Musikvideo zu »Crazy«, das man bei YouTube ansehen kann, spielt sie unaufdringlich mit Klischees und Bildern. Sanft, eingängig und auf Englisch besingt Shirat Isaak die Wahlmöglichkeiten im Leben: Nichts ist schwarz-weiß, am wenigsten der eigene Weg.
Der führte die 30-jährige Tel Aviverin Anfang August nach Berlin, ins »kulturelle Zentrum Europas«, wie sie sagt. Seit knapp zwei Monaten lebt sie in der möblierten Einzimmerwohnung eines israelischen Freundes in der Nähe vom Kudamm. Von hier aus will sie ihre Musikkarriere durchstarten und, mit ein bisschen Glück, ganz groß rauskommen. »Ich kann mir keinen besseren Ausgangspunkt als Berlin vorstellen«, schwärmt Shirat. Schon nach wenigen Wochen fühlt sie sich wohl, die Berlin-Begeisterung ihrer Landsleute kann sie gut verstehen. »In Tel Aviv gibt es sogar einen ›Salon Berlin‹. Israelis möchten immer gleich alles, was ihnen gefällt, nach Tel Aviv importieren«, lacht sie. »Aber ich fühle mich lieber vor Ort in die Stadt hinein.«
Kultur Als sie die Tür öffnet, wirkt sie wie jemand, der mitten im Leben steht – aufgeräumt, erwartungsvoll, selbstbewusst. Ihr lockiges Haar hat sie lässig zusammengebunden, auf dem Couchtisch liegen Visitenkarten von Musikstudios verstreut. Sie kocht Nescafé, streicht ihren Rock glatt und erzählt von ihrer Kindheit in Tel Aviv und Stockholm. Vom Vater, einem dänischen Juden, der als Teenager mit seiner Familie nach Israel auswanderte und Anfang der 90er-Jahre als Bnei-Akiva-Shaliach nach Skandinavien zurückkehrte. Von Schabbatessen mit ihren Stockholmer Freundinnen, von der jüdischen Schule und den Sommerferien in Dänemark.
Shirat war damals elf Jahre alt, an die Zeit erinnert sie sich voller Wärme. Die europäische Kultur blieb präsent, ihr fühlte sie sich verbunden, auch nach der Rückkehr nach Israel, wo »Schnelligkeit, Hitze und Balagan, viel Chaos also« selbst die Musikszene dominieren. Die Erfahrung von damals kommt ihr heute zugute. »Woanders spüre ich meine jüdische Identität intensiver. Das ist eine feste Konstante in meinem Leben, die ich überall leben kann.«
Musik Spontan greift sie zur Gitarre, die zwischen all den fremden Möbeln an der Wand lehnt, und singt. So schlicht, so stimmgewaltig und so berührend, dass der nächste Plattenvertrag eine Frage der Zeit zu sein scheint. Neben Konzerten und Tourneen quer durch Deutschland hofft Shirat darauf, dass ihre Songs als Filmmusik entdeckt werden. Dafür, dass sie erst seit knapp zwei Monaten hier lebt, hat sie schnell neue Kontakte geknüpft. Kaum hatte sie ihren Koffer ausgepackt, klopfte schon 3sat an ihre Tür, für ein Kurzporträt zum Thementag »Alles koscher«. Shirat kommt gut an. Seit der 3sat-Reportage haben sich die Klicks auf ihre Youtube-Clips verdoppelt. Alles, was sie jetzt noch braucht auf ihrem Weg zum Ziel, sind eine Band, eine Agentur und der letzte Schliff für ihre Stimme. Ihre Karrierechancen schätzt die Israelin hier deutlich höher ein als auf dem heimatlichen Musikmarkt. »Hier gibt es ein breiteres Publikum für die Art von Musik, die ich mache. Das passiert nicht tschik-tschak, innerhalb einer Minute. Aber der Anfang ist gemacht«, freut sich die Künstlerin.
Biografie Fiel sie in Israel mit ihrer Biografie – orthodoxes Elternhaus, später musikalischer Start – aus dem gängigen Raster, lässt Berlin ihr den ersehnten Raum zur Entfaltung. Sie hat schon immer gern gesungen, ja, auch Konzertbesuche gehörten in ihrer Familie zum Standard. Aber vorgezeichnet war ihr Weg nicht. Die Vita als Profi-Musikerin hat sie sich Schritt für Schritt hart erarbeitet.
Während andere Talente sich bei »Kochav Nolad«, einer israelischen Casting-Show. bewarben, legte sie ihr Architekturstudium auf Eis, brachte sich im Alter von 22 Jahren das Gitarrespielen bei und begann, in einem Plattenladen zu jobben. »Was da mit mir passiert ist, war wie das Umschalten eines Hebels. Ich war so glücklich damit, dass ich wusste, es war die richtige Entscheidung.« Den Hörsaal tauschte sie von da an dauerhaft gegen das Tonstudio. Die Eltern reagierten unkonventionell und bestärkten ihre Tochter in ihrer Entscheidung.
Branche Trotz erster Erfolge als Sängerin entschied sich Shirat bewusst gegen geltende Regeln des israelischen Showbusiness. »Der Markt ist klein und die Konkurrenz groß. Um in Israel als Musiker Erfolg zu haben, muss man zuerst ein Star sein. Das Musikalische ist dabei oft zweitrangig.« Shirat aber wollte als Künstlerin wachsen. Aus Werbekampagnen und Wettbewerben klinkte sie sich deshalb aus und feilte lieber an ihrem Können. Es folgten zehn Jahre harter Arbeit hinter den Kulissen der Musikbranche – in Musikverlagen, Künstleragenturen und Radio-Musikredaktionen. Bis zwei befreundete Musiker, Rami Feinstein und Dan Eckert, sie ermutigten, endlich ihre eigenen Songs aufzunehmen. »Es war eine Reise mit offenem Ausgang, eine Erfahrung, bei der der Weg das Ziel war. Am Anfang wusste ich nicht, ob ich die Kraft haben würde, das wirklich durchzuhalten.«
Das war vor etwa einem Jahr. Inzwischen weiß Shirat, dass sie die Kraft hat. Mögliche Etiketten hat sie längst abgestreift. Ein schmerzhafter Prozess, der sie gelehrt hat, zu sich selbst zu stehen. »In Israel habe ich mich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie das zusammenpasst, orthodoxes Elternhaus und Showbusiness. Es war ein harter Weg. Vielleicht passe ich in keine Schublade«, überlegt sie kurz. »Ich bin Jüdin, Israelin und Musikerin, nicht mehr und nicht weniger.« Shirat Isaak ist vor allem sie selbst. Vielleicht nimmt man ihr deshalb auch ab, was sie singt.
www.myspace.com/shiratisaakmusic