Die meisten jüdischen Jugendlichen kennen die Purimgeschichte seit ihrer Kindheit – oder haben sie spätestens im jüdischen Religionsunterricht kennengelernt. In der Megillat Esther wird erzählt, wie der persische König Achaschwerosch einen Mann namens Haman zum obersten Fürsten des damaligen persischen Königreichs macht – und dieser damit zum wichtigsten Mann neben dem König wird.
Los Leider ist Haman ein Feind der Juden. Denn nachdem ein Jude namens Mordechai sich nicht vor ihm verbeugen will, ist er so voller Zorn, dass er gleich den Plan fasst, alle Juden des Reiches zu töten. Daraufhin lässt er ein Los entscheiden, wann das passieren soll. Das Los fällt auf den 13. Adar.
Haman kann den leichtgläubigen Achaschwerosch schnell von der Notwendigkeit überzeugen, das jüdische Volk zu töten. Dank Esther kommt aber alles anders. Der König hatte nämlich Esther zu seiner neuen Frau gemacht – ohne zu wissen, dass sie Jüdin ist. Nachdem nun Esther über ihren Cousin und Ziehvater Mordechai von dem Plan Hamans erfährt, beschließt sie, ihrem Volk selbstlos zu helfen. Und wie wir wissen, gelingt es ihr tatsächlich, die drohende Vernichtung der Juden abzuwenden.
risiko Grundschüler finden diese Geschichte spannend und aufregend. Ohnehin ist Purim für viele Kinder eines der Lieblingsfeste. Auch meine dreijährigen Söhne freuen sich seit Wochen auf Purim und überlegen jeden Tag aufs Neue, als was sie sich verkleiden wollen. Aber ist die Purimgeschichte auch für Jugendliche und Erwachsene interessant?
Esther erscheint in der Geschichte zunächst als eher zurückhaltende Person, die auf ihre Schönheit reduziert wird. Als sie jedoch von dem drohenden Schicksal der Juden erfährt, entscheidet sie, zu handeln und ihr Volk zu retten. Zunächst ordnet sie an, dass alle Juden drei Tage fasten sollen. Dann wagt sie es, unaufgefordert den König aufzusuchen. Damit riskiert sie ihr Leben, denn es droht die Todesstrafe, wenn man dies ohne Erlaubnis tut. Ihr Mut wird belohnt: Sie kann den König auf ihre Seite ziehen, und Haman endet an dem von ihm eigentlich für Mordechai gebauten Galgen.
Lebensgefahr Warum begibt sich Esther in Lebensgefahr? Offensichtlich fühlt sie sich als Jüdin für das Schicksal ihres Volkes verantwortlich. So nutzt sie ihre Stellung am Hof, um das drohende Schicksal abzuwenden, auch wenn sie dafür ihr Leben aufs Spiel setzen muss. Dazu gehört großer Mut!
Dieses mutige Verhalten können sich besonders Jugendliche (und natürlich auch Erwachsene) zum Vorbild nehmen. Denn auch in unserem alltäglichen Leben ist immer wieder Mut gefragt. Wenn beispielsweise in einer Klasse oder im Internet jemand ausgegrenzt oder gemobbt wird, können wir uns für ihn einsetzen und unsere Stimme erheben, auch wenn es unbequem ist und Zivilcourage erfordert.
Und auch sonst sollten wir uns engagieren, wenn wir meinen, dass jemandem Unrecht geschieht. Wenn man sich überlegt, dass Esther ihr Leben riskiert hat, um zu helfen, so müsste es für jeden von uns möglich sein, sich moralisch zu verhalten, wenn es nötig ist. Sicher gibt es auch Situationen im Alltagsleben, wo es zu gefährlich wäre, selbst einzugreifen. Aber auch in solchen Fällen sollte man nicht wegschauen, sondern Hilfe holen (zum Beispiel die Polizei).
fasten Eine Frage, die ich mir gestellt habe, ist, warum Esther zunächst drei Tage Fasten anordnet und nicht sofort zur Tat schreitet. Eine wahrscheinliche Antwort könnte sein: Sie will zunächst G’tt um Hilfe bitten und – durch das konzentrierte Gebet in Verbindung mit dem Fasten – Inspiration finden, um Kraft und Mut für ihren Plan zu sammeln. Um die vollständige Konzentration beim Gebet zu erreichen, fastet sie.
Auch wenn G’tt in der Megillat Esther nicht ein einziges Mal ausdrücklich erwähnt wird, ist hier der tiefe Glaube Esthers zu erkennen. Gestärkt durch das Gebet, hat sie genug Mut gesammelt, um ihren Plan umzusetzen. Sie geht voller G’ttvertrauen – trotz der drohenden Todesstrafe – zu König Achaschwerosch.
Kraft Und auch hier können wir von Esther lernen: Wenn wir einmal in einer schwierigen Situation unseres Lebens verzweifelt sind und nicht wissen, wie es weitergehen soll, können wir – wie die Heldin Esther – G’tt direkt um Hilfe bitten. Er wird uns sicher die nötige Kraft und den nötigen Mut geben, um unsere Krise zu meistern.
Die Autorin ist Leiterin und Lehrerin der Religionsschule des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe.