Berlin

Schnupperkurs Hauptstadt

Am Anfang ist der Blick auf den Stadtplan. Denn den breitet Tal Gibbesch vor jedem ihrer Spaziergänge in voller Dimension aus. Auch an diesem sonnigen Nachmittag hält die Stadtführerin einen solchen Faltplan von Berlin in ihren Händen, um einen ersten Eindruck von der Größe und Weitläufigkeit der Spree-Metropole zu vermitteln.

Zwei junge Männer stehen erwartungsvoll in einer ruhigen Straße im äußersten Südwesten der Hauptstadt, in Lichterfelde-West. »Das ist eine ruhige Wohngegend. Etwas weiter vom Zentrum entfernt, dafür aber ideal für Familien mit Kindern«, erläutert Gibbesch. Die beiden hören gespannt zu, schauen sich um und nicken dann zustimmend.

Lichterfelde ist aber nicht der einzige Halt für die kleine Gruppe. Es soll heute noch weitergehen: über Mitte bis nach Prenzlauer Berg. Tal Gibbeschs »Relocation Tour« ist eine Stadtführung speziell für Menschen, die vorhaben, sich dauerhaft in Berlin niederzulassen.

Start-up »Ich möchte gerne nach Berlin ziehen. Die Stadt ist ein Magnet für Start-ups und bietet mir als Frontend-Developer viele interessante Arbeitsmöglichkeiten«, sagt Aviv Shaked. Er ist für die Tour extra aus Israel angereist, um sich ein Bild von der Stadt zu machen. Es ist sein erster Besuch überhaupt. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern denkt Shaked über einen Umzug aus dem Moschaw Nitzanei Oz in der Sharon-Ebene nach Berlin nach. »Wegen der Arbeit, aber auch wegen der schwierigen politischen Situation in Israel«, erklärt der 41-Jährige.

Sein Bekannter Amir Harel, der ihn auf der Tour begleitet, kommt ursprünglich auch aus Israel. Er wohnt schon seit einiger Zeit in Berlin. »Ich kann die Stadt Aviv und seiner Familie nur wärmstens empfehlen. Man hat ein sehr gutes Leben hier«, meint Harel.

Lola rennt Aviv Shaked hat viele Fragen an seine Stadtführerin. In welchem Kiez gibt es die besten Schulen? Wo ist die Kreativszene zu Hause? Wo lässt es sich am ausgelassensten bis in die frühen Morgenstunden tanzen? Tal Gibbesch weiß auf fast jede dieser Fragen eine Antwort.

Gibbesch ist 36 Jahre alt, stammt aus Tel Aviv und lebt seit gut zwei Jahren in Berlin. Vor einiger Zeit hat sie sich als City Guide selbstständig gemacht. »Berlin Dream Walks« nennt sie ihr Tourenprogramm. Neben der »Relocation Tour«, die neben Informationen über die Bezirke auch Hilfe bei Visafragen und Behördenangelegenheiten beinhaltet, bietet Gibbesch viele weitere Themenführungen für Touristen an. Mal geht es zu den Sehenswürdigkeiten im Zentrum, ein anderes Mal zu den kulinarischen Höhepunkten. Wieder eine andere Tour erkundet die Drehorte aus dem 90er-Jahre-Kultfilm Lola rennt.

»Mit meinen Touren möchte ich das Beste und die Vielfalt des heutigen Berlins darstellen. Es gibt ja so viel mehr als die klassischen Sehenswürdigkeiten zu entdecken«, sagt Gibbesch.

Jeder Tourist, der sich zu einer ihrer Führungen anmeldet, hat ganz eigene Interessen. Sie möchte Vorschläge machen, ist aber auch für eigene Ideen offen. Hauptsache keine Nullachtfünfzehn-Tour, sondern ein Blick hinter die urbanen Kulissen.

Dieser alternative Ansatz scheint ganz gut zu funktionieren. Tals Stadtführungen erfreuen sich großer Nachfrage, wie sie erklärt. Der persönliche Kontakt zu ihren Kunden ist Gibbesch dabei wichtig. Potenziellen Neu-Berlinern Hilfestellung für ein möglichst problemfreies Einleben zu geben, ist der jungen Frau ein wichtiges Anliegen. »Seit ich als kleines Mädchen das Buch von Christiane F. gelesen hatte, wollte ich nach Berlin. Als ich dann vor zwei Jahren hierhergekommen bin, hätte ich Orientierungshilfe und Unterstützung gut gebrauchen können«, begründet Gibbesch ihre Motivation.

Während sie Touristengruppen aus der ganzen Welt die vielleicht interessantesten Winkel der Stadt zeigt, kommen die meisten Anfragen für ihre »Relocation Tour« von Israelis.

Berlin ist bei jungen Israelis nach wie vor äußerst beliebt. Viele kommen als Touristen, andere wollen hier für eine längere Zeit oder dauerhaft leben. Seit ein paar Jahren hat sich eine stattliche israelische Expat-Community in Berlin zusammengefunden. Woher dieser Berlin-Hype komme, kann Gibbesch nur mutmaßen. »Berlin ist eine liberale und multikulturelle Stadt. Das Leben ist vergleichsweise günstig, und es gibt so viele tolle Dinge zu sehen und zu tun. Außerdem spielt der Aspekt der Sicherheit eine wichtige Rolle«, sagt die Stadtführerin.

Kastanienallee Aviv Shaked stimmt ihr zu. Die Tourgruppe hat inzwischen die Kastanienallee erreicht. »Ich habe Tal gefragt, ob es nicht problematisch ist, wenn wir uns in der U-Bahn laut auf Hebräisch unterhalten. Es ist gar kein Problem. Das kenne ich aus anderen europäischen Städten so nicht«, meint Aviv. Sein erster Eindruck von Berlin ist überaus positiv. Jetzt muss er nur noch seine Frau überzeugen.

Die Frage nach der persönlichen Sicherheit auf der Straße wird ihr von Israelis immer wieder gestellt, erklärt Gibbesch. »Die Situation eines latenten Krieges und die immer präsente Gefahr von Terroranschlägen in Israel ist der Hauptgrund für Israelis, nach Berlin zu gehen«, sagt sie. Gibbesch selbst ist unter anderem aus diesem Grund gekommen. Und ist wegen der Liebe geblieben. Sie ist mit einem Deutschen verheiratet und wohnt in Alt-Tempelhof.

Dass die Touren nicht unbedingt bei Sonnenuntergang enden, kann schon einmal vorkommen. Auch Aviv und sein Freund Amir wollen mit ihrem Guide noch etwas trinken gehen, um die berühmte Berliner Bar-Kultur kennenzulernen. Die drei scheinen sich zu verstehen. Spätestens das ist wohl der Moment, an dem Tal Gibbeschs Tour zu einem Spaziergang von Freunden wird.

Mehr Informationen über die »Dream Walks«-Tour: www.berlindreamwalks.com

Soziale Medien

In 280 Zeichen

Warum sind Rabbinerinnen und Rabbiner auf X, Instagram oder Facebook – und warum nicht? Wir haben einige gefragt

von Katrin Richter  20.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Debatte

Darmstadt: Jetzt meldet sich der Pfarrer der Michaelsgemeinde zu Wort - und spricht Klartext

Evangelische Gemeinde erwägt Anzeige wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024

Hessen

Nach Judenhass-Eklat auf »Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt«: Landeskirche untersagt Pfarrer Amtsausübung

Nach dem Eklat um israelfeindliche Symbole auf einem Weihnachtsmarkt einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt greift die Landeskirche nun auch zu dienstrechtlichen Maßnahmen

 19.12.2024

Ehrung

Verdiente Würdigung

Auf der Veranstaltung »Drei Tage für uns« wurde der Rechtsanwalt Christoph Rückel ausgezeichnet

von Luis Gruhler  19.12.2024

Chabad

Einweihung des größten Chanukka-Leuchters Europas in Berlin

Der Leuchter wird auf dem Pariser Platz in Berlin-Mitte vor dem Brandenburger Tor aufgebaut

 18.12.2024

Berlin

Neue Töne

Beim Louis Lewandowski Festival erklingen in diesem Jahr erstmals nur orientalische Melodien

von Christine Schmitt  18.12.2024

»Coffee with a Jew«

Auf ein Käffchen

Das Münchener Projekt ist ein großer Erfolg - und wird nun fortgesetzt

von Luis Gruhler  18.12.2024

Wirtschaft

»Weichen gestellt«

Jacques Weller über ein von der Industrie- und Handelskammer initiiertes Netzwerktreffen mit jüdischen Unternehmern

von Ralf Balke  17.12.2024