Spenden

Schnelle Hilfe

Alle paar Minuten stoppt ein Auto vor der Joachimsthaler Straße 25. »Kann mir bitte jemand helfen, die Kartons auszuladen?«, fragt die Fahrerin. Sascha, der gerade neben dem Schild »Annahmestelle für die Ukraine« steht, geht sofort zu ihr und nimmt die schweren Pakete in Empfang. »Es sind Desinfektionsmittel, Babymilch und Konserven«, sagt die Frau. »Danke«, antwortet Sascha, der im Zivilberuf Schauspieler ist. Doch in diesen Tagen kommt er täglich in den Klub, um mit anzupacken.

Auf der Theke, wo sonst die Drinks serviert werden, stehen nun Gläser mit Kugelschreibern und dicken Stiften, daneben liegen unzählige Packbandrollen. Über der Theke hängt eine glitzernde Discokugel. Auf der Tanzfläche sind Kartons gestapelt. Mehrere Helfer sortieren Konserven, Babynahrung, Hundefutter, Schuhe und Flaschen mit Desinfektionsmitteln. Wenn ein Karton voll ist, wird er zugeklebt und beschriftet. Alle sind emsig bei der Sache. Es herrscht eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre.

Pendelverkehr Ende voriger Woche sei ein Transporter an die polnische Grenze gefahren, berichtet Alexandra Melendez. Auf dem Rückweg würden Flüchtlinge mit nach Berlin gebracht. Und sie hofft, dass tatsächlich noch ein paar mutige Männer mit einem vollgepackten Auto in die Ukraine fahren werden. »Das wäre allerdings ein One-Way-Unternehmen, denn sie können wohl nicht mehr zurück«, vermutet die 31-Jährige.

Viele wollten nur etwas abgeben und arbeiten jetzt seit Tagen mit.

Als sie von der Kriegserklärung Putins an die Ukraine erfuhr, saß sie mit ihrem Mann Alexander in einem Restaurant. »Wir müssen etwas machen«, habe sie sofort zu ihm gesagt. »Ich fühle meiner Heimat gegenüber eine Verpflichtung.« Und dann hatte sie einen Einfall: »Gib mir bitte deinen Klub.« Der könnte doch eine Annahmestelle werden. Gesagt, getan. Sie fuhr sofort nach Hause, um den Schlüssel zu holen und sich einen Überblick zu verschaffen. In den sozialen Medien verbreitete sie die Idee, und dann ging alles schnell. Seitdem werden jeden Tag zwischen zwölf und 19 Uhr Sachen angenommen, umsortiert und verteilt.

Flüchtlinge Ein Mädchen, das vor Kurzem aus der Ukraine in Berlin eintraf, ist gerade in die Annahmestelle gekommen, um sich Schuhe auszusuchen. Es stöbert herum, findet aber die passende Größe nicht. Die Flüchtlinge dürfen selbst hereinkommen und sich Sachen aussuchen.

Es sei Wahnsinn, wie hilfsbereit die Menschen seien, sagt Alexandra. Manche würden Hilfsgüter vorbeibringen – und da bleiben, um mit anzupacken. »Sie kamen als Fremde und wurden Freunde.«

Unter ihnen ist Siggi, die auch nur etwas abgeben wollte und seitdem fast täglich beim Packen hilft, was ihr mittlerweile Rückenschmerzen beschert, die ihr aber nichts auszumachen scheinen. »Wenn ich nicht hier wäre, dann würde ich hilflos zu Hause herumsitzen und über die Situation verzweifeln, so aber gibt es mir ein gutes Gefühl, wenigstens etwas zu tun«, sagt die 53-Jährige.

Zwiegespalten Alexandra muss frische Luft schnappen und steht draußen am Eingang. Wieder fährt ein Auto vor. Ein junger Mann springt heraus und schleppt große Kartons und Taschen mit Konserven. Alexandra streckt ihren Daumen anerkennend nach oben. Sie sei gerade in einer »maximalen Identifikationskrise«, sagt sie. Ihre Mutter ist Russin, ihr Vater stammt aus der Ukraine. Sie selbst wurde in Czernowitz geboren und kam mit fünf Jahren nach Deutschland.

Ihr Vater ist nun 60 Jahre alt und ein stolzer Veteran, der einst mit Menschen aus den 15 Republiken der UdSSR Seite an Seite in Afghanistan kämpfte und heute in Israel lebt. Wenn er aufgrund einer Generalmobilmachung eingezogen werden sollte, dann müsste er gegen seine alten Kameraden, Freunde, Nachbarn kämpfen. »Ich zittere bei diesen Gedanken. Ich weiß, dass er sofort losziehen würde, um in der Ukraine für die Freiheit zu kämpfen«, so Alexandra.

Dann klingelt ihr Handy. Am anderen Ende spricht ein Bekannter, an dessen Seite gerade eine Frau mit einem zersplitterten Fuß ist, die ärztlich versorgt werden muss. »Moment«, sagt Alexandra, denn sie will schnell bei der Krankenschwester nachfragen, die nach der Nachtschicht in den Klub kam und kräftig mit anpackt, und die bestimmt wisse, wohin man sich wenden könnte. »Fahr mit ihr ins Virchow«, ruft Alexandra ins Handy. Sie möchte auch eine Infostelle für alle sein. 24 Stunden sei sie nun täglich im Einsatz.

Ein Transporter kommt und parkt auf dem Bürgersteig – er ist vollbeladen mit Wasserflaschen. »Bitte bringt sie in die Ansbacher Straße, dort ist extra ein Supermarkt für Flüchtlinge eingerichtet worden. Wir haben leider keinen Platz mehr«, ruft sie den Fahrern zu.

Aufruf Auch die Jüdische Gemeinde zu Berlin ruft zu Spenden auf. »Jetzt ist unbürokratische und schnelle Hilfe gefragt«, teilt sie mit. Deshalb hat sie auch im Gemeindehaus in der Fasanenstraße eine Annahmestelle für dringend benötigte Hilfsgüter eingerichtet. Bereits am ersten Tag füllten sich die Räume.

Dort können Sachspenden abgegeben werden wie Winterartikel (Decken, Kinder- und Damenbekleidung, Stiefel, Isomatten, Schlafsäcke), Erste-Hilfe- und Hygieneartikel, Lebensmittelkonserven. Die Spenden würden zuerst in Berlin an die Geflüchteten verteilt, und dann nach Möglichkeit mithilfe von humanitären Partnerorganisationen direkt an die ukrainische Grenze gebracht.

Doch es gibt auch »kleinere« Aktionen: Die Schüler des Jüdischen Gymnasiums Moses Mendelssohn haben Kuchen gebacken und ihn in den Pausen verkauft. Etliches Gebäck war mit blau-gelbem Zuckerguss überzogen, das Geld soll gespendet werden. Zugunsten ukrainischer Künstler geben Musiker mit der Pianistin Elzbieta Sternlicht ein Konzert. »Kommen Sie bitte alle und bringen Sie Ihre Freunde mit«, fordert Sternlicht auf. Am Samstag, den 19. März, um 17 Uhr findet es in der Schwartzschen Villa, Grunewaldstraße 55, statt.

Initiativen Für die jüdischen Flüchtlinge möchte auch die Gemeinde Kahal Adass Jisroel da sein. Sie unterstützt, indem sie Unterkünfte in Berlin vermittelt, koscheres Essen anbietet und für jüdisch-religiöse Bedürfnisse ansprechbar sein und bei rechtlichen Fragen zur Seite stehen will. Darüber hinaus bietet sie psychologische Unterstützung und soziale Beratung an.

Für Freitag haben die Berliner Gemeinde und Chabad Lubawitsch angekündigt, eine gemeinsame Anlaufstelle einzurichten. Derzeit ist Konrad Schimmelpfennig (geschaeftsfuehrung@jg-berlin.org) Ansprechpartner für Sachspenden.

Spendenkonto: Jüdische Gemeinde zu Berlin, Bank für Sozialwirtschaft,
IBAN: DE12 1002 0500 0003 1424 50,
BIC: BFSWDE33BER

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