Die als Wittenberger »Judensau« bekannte Schmähplastik darf vorerst weiter an der Stadtkirche der Lutherstadt bleiben. Das Oberlandesgericht in Naumburg wies am Dienstag die Berufungsklage gegen ein Urteil des Landgerichtes Dessau-Roßlau ab.
Der Kläger, Mitglied einer jüdischen Gemeinde, hatte die Abnahme der Plastik aus dem 13. Jahrhundert verlangt, weil er sich durch diese als »Saujude« und das »ganze Judentum« diffamiert sieht. Eine Revision ließ das Oberlandesgericht Naumburg jedoch zu. (AZ: OLG Naumburg 9 U 54/19).
Begründung Zur Urteilsbegründung führte der Vorsitzende Richter Volker Buchloh aus, dem Kläger stehe ein Beseitigungsanspruch nicht zu, weil das Relief aktuell weder beleidigenden Charakter habe noch das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletze.
Unstreitig sei aber, dass das Relief zur Zeit seiner Entstehung Juden verächtlich machen sollte. Das Relief sei aber durch die beklagte Stadtkirchengemeinde heute in ein Gedenkensemble eingebunden. Eine Info-Tafel zeige, dass sich die Stadtkirchengemeinde unmissverständlich von den Judenverfolgungen und den antijudaistischen Schriften Martin Luthers (1483-1546) distanziere. Seit 1988 gibt es auch ein Mahnmal an der Stadtkirche.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte zu dem Urteil: »Das Oberlandesgericht Naumburg hat entschieden, dass das ›Judensau‹-Relief an der Stadtkirche in Wittenberg hängen bleiben darf. Umso mehr bedarf es der Anbringung einer Tafel, die das Schmährelief eindeutig erläutert und in den historischen Kontext einordnet. Dies gilt in gleicher Form für ›Judensau‹-Reliefs an anderen Kirchen.«
Zentralratspräsident Schuster sagte: »Es bedarf der Anbringung einer Tafel, die das Schmährelief eindeutig erläutert und in den historischen Kontext einordnet.«
Museum Der Kläger hatte argumentiert, dass eine Beleidigung eine Beleidigung bleibe, auch wenn sie kommentiert werde. Aus Sicht des Gerichtes widerspricht dieses Argument der vom Kläger geforderten Unterbringung der »Judensau« im Museum. Die Gefahr, dass die Plastik als Teil der religiösen Verkündung wahrgenommen werde, besteht nach Einschätzung des Gerichts eben durch das Gedenkensemble nicht mehr.
In dem Zusammenhang verwies der Vorsitzende Richter auch darauf, dass Sprüche an KZ-Gedenkstätten wie »Arbeit macht frei« ebenfalls heute nicht mehr als Beleidigung zu sehen seien, weil sie umgestaltet Teil eines Gedenkomplexes seien. Hier seien durchaus Parallelen zu sehen.
Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, plädierte erneut dafür, die Schmähplastik von der Wittenberger Stadtkirche zu entfernen und in ein Museum zu bringen. Er respektiere das Gerichtsurteil, wonach das Relief aktuell weder beleidigenden Charakter hat, noch das Persönlichkeitsrecht von Juden verletzt wird, sagte Klein dem »RedaktionsNetzwerk Deutschland« (Mittwoch).
Doch mache die Gerichtsentscheidung einmal mehr klar, dass das Problem der sogenannten »Judensauen« politisch gelöst werden müsse. Klein sagte: »Nach meinem Dafürhalten gehört die ›Judensau‹ von Wittenberg ins Museum mit einer erklärenden Informationstafel.« Auch vor der Wittenberger Stadtkirche solle eine Informationstafel aufgestellt werden.
Der Vorsitzende Richter wies darauf hin, dass es neben dem Relief in Wittenberg auch an zahlreichen anderen Kirchen in Deutschland solche Schmähplastiken gebe.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils kann noch Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe eingelegt werden. Das Oberlandesgericht in Naumburg ließ die Revision zu, wegen der grundsätzlichen Bedeutung und der Frage, wie mit der Herabwürdigung von Personengruppen in solchen zivilrechtlichen Fragen zu verfahren sei.
Der Vorsitzende Richter wies darauf hin, dass es neben dem Relief in Wittenberg auch an zahlreichen anderen Kirchen in Deutschland solche Schmähplastiken gebe.
Unesco-Welterbe Die beklagte Kirchengemeinde ist Eigentümerin der unter Denkmalschutz stehenden und zum Unesco-Welterbe gehörenden Stadtkirche in Wittenberg. In der Vorinstanz hatte das Landgericht Dessau-Roßlau am 24. Mai 2019 die Klage abgewiesen, weil es den Tatbestand der Beleidigung nicht als erfüllt ansah.
Das Relief sei Bestandteil eines historischen Gebäudes und befinde sich nicht unkommentiert an der Mauer der Stadtkirche. Über das Mahnmal am Fuße der Kirche sei das Relief in eine Gedenkkultur eingebettet. Die Plastik zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. epd/ja