Berlin

Schatten über dem Lichterfest

Rabbiner Yehuda Teichtal vor der Chanukkia am Brandenburger Tor Foto: Reuters

Ein Licht entzünden, zusammenrücken, Zeichen setzen, darum geht es jetzt für Yehuda Teichtal. »Die Botschaft von Chanukka ist: Licht über Dunkelheit, Liebe über Hass«, sagt der Rabbiner der jüdischen Gemeinde Chabad Berlin.

Teichtal ist Berufsoptimist, im Sommer erst hat er in Berlin das größte jüdische Bildungszentrum seit der Schoa eröffnet. »Wir bauen, um zu bleiben«, sagte er damals. Diese Zuversicht betont er noch immer. Aber selbst ihm fällt das gerade nicht ganz leicht.

Teichtal ist Gastgeber, wenn zu Beginn des jüdischen Lichterfests an diesem Donnerstag der zehn Meter hohe Chanukka-Leuchter am Brandenburger Tor entzündet wird. Erstmals kommt sogar Bundeskanzler Olaf Scholz. In einer Zeit, in der viele jüdische Deutsche in ihrem Land wieder Angst haben, betont Scholz die Solidarität und den Kampf gegen Antisemitismus. Beruhigen kann das trotzdem nicht alle.

Antisemitische Vorfälle

Fast 1000 antisemitische Vorfälle haben die Meldestellen des Netzwerks Rias bundesweit im ersten Monat seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober registriert.

Allein in Berlin waren es 282 derartige Taten. Juden berichten, dass sie ihre Zeichen verstecken, den Davidstern oder die Kippa. Jüdische Kitagruppen fahren nicht mehr U-Bahn, weil die Kinder dort hebräisch sprechen könnten. Juden, die sich noch in Busse und Bahnen trauen, hören dort Gespräche ihrer Mitmenschen, die über das Töten von Juden oder Israelis fantasieren. All das hat Rias erfasst.

Am größten aber war der Schock über sogenannte Markierungen - der Davidstern an Häusern, in denen Juden leben - und über einen Beinahe-Anschlag auf eine Berliner Synagoge im Oktober. »Dieser versuchte Brandanschlag hat zu einer enormen Erschütterung des Sicherheitsgefühls in den jüdischen und israelischen Gemeinschaften geführt«, berichtet Rias.

Der frühere Außenminister Joschka Fischer bekannte auf »Zeit Online«, er hätte nicht für möglich gehalten, was seit dem 7. Oktober in Deutschland passiert sei. »Ich schäme mich für unser Land.«

»Licht, das die Dunkelheit vertreibt«

Das klingt düster zu Beginn eines eigentlich freudigen Fests, das dieses Jahr bis zum 15. Dezember dauert. »Chanukka ist eines meiner Lieblingsfeste in der jüdischen Liturgie«, sagt Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. »Gefeiert wird das Licht, das die Dunkelheit vertreibt.« Bildlich stehe das für die Angst, die vertrieben werden soll.

Seit dem 7. Oktober lasse diese Angst viele Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft zwar nicht mehr ganz los. Die Gefährdung sei real, das werde sich nicht von heute auf morgen ändern, meint Klein. »Aber was mir Jüdinnen und Juden auch immer wieder sagen, ist, dass sich Angst besser ertragen lässt, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist.«

Ein Licht im Fenster

Ein Zeichen der Zuwendung, jenseits des Streits über den Nahost-Konflikt, das wünschen sich viele Juden in Deutschland. Die Mehrheit der Nicht-Juden sei nicht antisemitisch eingestellt, aber Ängste von Juden seien vielen egal, sagt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, der »Zeit« »Sie denken nichts. Sie sagen nichts. Der Hass auf uns berührt sie nicht. Dieses Schweigen ist bitter.«

Es gebe Solidarität, betont Rabbiner Teichtal, aber nicht ausreichend. »Wir wünschen uns, dass mehr aufstehen. Der eine stellt ein Licht ins Fenster, der andere engagiert sich im Kiez, es gibt viele Wege und viele Zeichen. Jeder kann das machen nach seinen Möglichkeiten. Hauptsache ist, dass Menschen aufstehen und zeigen: Wir werden keinen Hass zulassen.«

Für Sonntag plant ein Bündnis um Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in Berlin eine große Kundgebung unter dem Titel »Nie wieder ist jetzt - Deutschland steht auf«. Die Macher versuchen zu mobilisieren: »Alle Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, in Berlin Gesicht zu zeigen für ein friedliches und respektvolles Miteinander und sich Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in unserem Land entgegenzustellen.«

Sicheres Zusammenleben

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin wirbt ihrerseits für die Kampagne #weprotectjewishlife in sozialen Netzwerken, aber auch im echten Leben. Es gibt dazu Plakate und Aufkleber. Der Gemeindevorsitzende Gideon Joffe sagt, er freue sich, wenn sich Menschen dem Solidaritätsaufruf anschlössen. Auch er äußert Hoffnung.

»Mit dem Lichterfest Chanukka feiern wir symbolisch auch den Sieg des Lichts über die Dunkelheit, also den Triumph des Guten über das Böse«, meint Joffe. »Daher bin ich zuversichtlich, dass die Verunsicherung und die Sorgen, die momentan unter unseren Gemeindemitgliedern herrschen, langfristig wieder dem festen Glauben an gemeinsames, friedliches und sicheres Zusammenleben weichen werden.«

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Uni Würzburg

Außergewöhnlicher Beitrag

Die Hochschule hat dem Zentralratspräsidenten die Ehrendoktorwürde verliehen

von Michel Mayr  20.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024

Volkstrauertag

Verantwortung für die Menschlichkeit

Die Gemeinde gedachte in München der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs

von Vivian Rosen  20.11.2024

München

»Lebt euer Leben. Feiert es!«

Michel Friedman sprach in der IKG über sein neues Buch – und den unbeugsamen Willen, den Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023 zu trotzen

von Luis Gruhler  20.11.2024

Aus einem Dutzend Ländern kamen über 100 Teilnehmer zum Shabbaton nach Frankfurt.

Frankfurt

Ein Jahr wie kein anderes

Was beschäftigt junge Jüdinnen und Juden in Europa 13 Monate nach dem 7. Oktober? Beim internationalen Schabbaton sprachen sie darüber. Wir waren mit dabei

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Porträt

»Da gibt es kein ›Ja, aber‹«

Der Urgroßvater von Clara von Nathusius wurde hingerichtet, weil er am Attentat gegen Hitler beteiligt war. 80 Jahre später hat nun seine Urenkelin einen Preis für Zivilcourage und gegen Judenhass erhalten. Eine Begegnung

von Nina Schmedding  19.11.2024