Die ersten Reihen waren begehrt. Es waren überwiegend junge Menschen, die sich an diesem Dienstagabend lange vor dem offiziellen Veranstaltungsbeginn im Stachelschwein, dem ältesten Berliner Kabaretttheater im Charlottenburger Europacenter, einfanden. Kurz vor der Bundestagswahl wollten sie wissen, wie die Parteien auf die politischen Fragen junger Juden in Deutschland antworten.
Eingeladen hatten der Zentralrat der Juden und die Jüdische Studierendenunion. Moderiert wurde die Diskussion von einem Mitarbeiter des Zentralrats, der für den erkrankten Noam Petri, Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), einsprang.
Tacheles statt schwammige Aussagen. Darum baten die Gastgeber Philipp Türmer (Jusos), Clara von Nathusius (Junge Union), Jette Nietzard (Grüne Jugend) und Paavo Czwikla (Junge Liberale). Explizit nicht eingeladen waren AfD und BSW. »In der AfD und im BSW finden Antisemiten immer wieder ein Zuhause«, begründete Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, die Entscheidung.
Die AfD war nicht zu Gast, dennoch Thema. Grund war die Abstimmung der CDU mit der Rechts-außen-Partei im Bundestag. SPD und Grüne hätten sich einem Kompromiss verweigert, so Nathusius. Die Bundesschatzmeisterin der Jungen Union verteidigte den Vorgang. Der Bundesvorsitzende der Jungsozialisten wies die Aussage als Falschbehauptung zurück. Die Union, so Türmer, habe über den Text, nicht über den Inhalt diskutieren wollen.
Eingeladen hatten der Zentralrat der Juden und die Jüdische Studierendenunion.
Am Inhalt störte sich auch Nietzard, Bundessprecherin der Grünen Jugend: »Das Problem ist ja, dass die Anträge so weit rechts standen, so faschistisch waren, dass eine faschistische Partei zugestimmt hat.« Darauf gab es Applaus wie wütende Zwischenrufe. »Können Sie Faschismus überhaupt definieren?«, hieß es dazu schnippisch aus dem Publikum.
Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen betonte vor allem die fehlenden Mehrheitsverhältnisse. »Die Strategie, nicht mit ihnen zu reden, die Probleme nicht anzusprechen, die die AfD groß machen, um sie nicht zu normalisieren«, so Czwikla, sei gescheitert. Den Beweis sah er darin, dass »jeder fünfte Deutsche sie wählt«. Eine gewisse Teilschuld ihrer Mutterparteien am Erstarken der AfD nahmen alle Podiumsgäste auf sich. Beim Kampf gegen Antisemitismus war man sich einig, jeder Form davon entschlossen entgegentreten zu wollen.
Als Maßnahmen betonten sowohl Nathusius als auch Türmer Repressionen. An deutschen Universitäten, die bisweilen als Epizentren gelten, ziehen beide Exmatrikulation als Möglichkeit der Sanktion in Betracht. Demonstrationen mit antisemitischen Inhalten, so Nathusius, müssten direkt verboten und die verantwortlichen Studenten der Universität verwiesen werden. »Eine harte Forderung, aber ich glaube, es funktioniert nicht anders.«
Repressionen an sich verändern jedoch keine innere Haltung. Nietzard ist als Sozialarbeiterin in Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge tätig. Am 7. Oktober 2023 hat sich ihrer Aussage nach gezeigt, wie wenig vorbereitet man dort auf eine solche Situation war. Es lag demnach an ihr, die anderen Angestellten mit Info- und Bildungsmaterial zu versorgen. »Das darf nicht sein«, klagte sie an. »Sozialarbeiterinnen müssten da geschult werden.«
Tacheles statt schwammige Aussagen.
Beim Thema Bildung müsse zunächst definiert werden, was man vermitteln wolle, gab Nathusius zu bedenken. Erinnerungskultur genüge nicht. Es brauche ein Verständnis für den jüdischen Staat, seine Entstehungsgeschichte und Notwendigkeit. Bei Gesprächen an einer israelischen Universität sei man ihr gegenüber besorgt gewesen, dass diejenigen, die an Hochschulen jetzt gegen Israel protestieren, bald verantwortungsvolle Funktionen übernehmen. Diplomatische oder freundschaftliche Beziehungen Israels zu anderen Ländern könnten dann gefährdet sein.
Es braucht Verständnis für den jüdischen Staat und seine Notwendigkeit.
»Es wäre mal ein klares Zeichen, wenn wir der UNRWA die Fördergelder entziehen«, ergänzte Czwikla. Das Palästinenserhilfswerk steht immer häufiger in der Kritik, von der Hamas unterwandert zu sein. Generell müsse Deutschland außenpolitisch »mal Zähne zeigen«, sagte Czwikla vor allem mit Blick auf das iranische Mullah-Regime, bei dem eine zumindest indirekte Beteiligung an den hiesigen Hochschulprotesten nicht zu leugnen sei. Volle Zustimmung bekam der Jungliberale dabei vom Jungsozialisten: »Die Sicherheit Israels darf nicht nur performativ vor sich hergetragen werden. Sie muss außenpolitisch erfolgen.«
»Ich glaube, dass es Sicherheit für Israelis nur geben kann, wenn es auch Sicherheit für Palästinenser gibt«, ergänzte die Bundessprecherin der Grünen Jugend abschließend.
Als Hauptproblem für beide Seiten nannte sie die Hamas: »Solange die Hamas nicht besiegt ist, gibt es faktisch keine Sicherheit.« An dieser weiterzuarbeiten, bedeute, »die Waffen zur Selbstverteidigung Israels zu liefern und weiter militärisch vorzugehen«.
Die Anwesenden begegneten einander mit Spott, Kritik, aber auch Lob und Zustimmung. Die Worte waren scharf, aber nicht respektlos. Im Publikum war die Stimmung ambivalent. Applaudiert wurde für alle Podiumsteilnehmer, aber auch wütende Zwischenrufe gab es.
Die Vertreter der Jugendverbände gaben zwar allesamt an, trotz etwaiger Differenzen hinter ihren jeweiligen Mutterparteien zu stehen. Ob die allerdings im Detail jede Aussage ihrer Jungpolitiker an diesem Abend unterstützen, ist damit nicht zwingend gesagt.