Im Morgenkreis singt Jussi (5) oft »Hevenu Shalom«. Auf Hebräisch und Deutsch: »Wir bringen Frieden«. Für Jussi ist das nichts Neues mehr. Auch am Dienstag hat er mit anderen Kindern gesungen, bei der offiziellen Eröffnung seiner Kita. Die »Kita Shalom« in Freiburg ist das Ergebnis einer Kooperation zwischen der Israelitischen Gemeinde Freiburg und dem nichtkonfessionellen Verein »Jugendhilfswerk«, der Träger mehrerer Kitas ist. Sie ist die erste jüdische Bildungseinrichtung, die in Südbaden seit 1945 gegründet wurde.
Zur Eröffnung gibt es blaue Schleifen für alle Kinder. »Blau ist die Farbe von Israel«, sagt Mirjana Bartholomeus, eine von 13 Erzieherinnen und Erziehern. Zwei von ihnen sind Jüdinnen, so wie Regina Rosenzweig. Sie wurde in der Ukraine geboren, kam als Dreijährige nach Deutschland und studierte hier Pädagogik. Von den 50 Kita-Kindern vom Baby- bis zum Grundschulalter kommen zurzeit nur drei aus jüdischen Familien, bald werden es acht sein.
Es gibt Kooperationen mit den Jüdischen Gemeinden in Freiburg und der benachbarten Kleinstadt Emmendingen. Doch die Kita ist bewusst offen für alle. Hier wird weder gebetet noch religiös erzogen. Es geht vor allem darum, Traditionen zu erleben und den in Deutschland weitgehend unbekannten jüdischen Alltag kennenzulernen. Und um alle wichtigen Werte: Toleranz und Frieden – Schalom.
Reformpädagogik Das war von Anfang an die Idee, dafür fand die Jüdische Gemeinde schnell einen Partner: Das Jugendhilfswerk arbeitet mit nichtkonfessionellen reformpädagogischen Konzepten und fühlt sich der deutschen Vergangenheit besonders verpflichtet, betont Ulrich Gruler als Vertreter des Vereins. Darum wurde bereits die 2006 vom Jugendhilfswerk gegründete private Schule nach der jüdischen Reformpädagogin Paula Fürst benannt.
Dass Jussi beim Start der Kita im Mai hier gelandet ist, etwas abgelegen in einem umgebauten einstigen Eisenbahnerwohnheim im Nordwesten Freiburgs, war reiner Zufall, erzählt seine Mutter Kristin Steger: Hier gab es freie Plätze, als Jussis Familie aus dem Ausland zurück nach Freiburg kam. Jetzt ist Kristin Steger froh darüber: »Es ist schön, auch wir Eltern lernen hier viel über jüdische Kultur.« In seiner Familie wächst Jussi ohne Religion auf, in der Kita aber hat er schon beim Laubhüttenfest mitgebastelt und mit seiner Gruppe die Synagoge in der Innenstadt besucht.
Dort hat der junge Gemeinderabbiner Avraham Yitzhak Radbil die Kinder empfangen. Er ist besonders engagiert. Denn auch die zwei Älteren der drei Kinder des Rabbiners besuchen die »Kita Shalom«, Hillel Aharon ist vier Jahre alt, sein Bruder Nachum Benjamin ist drei.
Bevor die Kita im Mai ihren Betrieb aufnahm, ging Hillel Aharon in einen katholischen Kindergarten, erzählt Radbil: Das sei in Ordnung gewesen, dort wurde Rücksicht auf ihn genommen. Jetzt ist es umgekehrt, katholische Kinder kommen hierher. Zum Beispiel die zweijährige Lena, die für Januar angemeldet ist.
Kulturenvielfalt »Es ist nett, wenn sie mit Kindern anderer Religionen zusammenkommen kann«, sagt ihre Mutter Kenia Sague, die aus Kuba stammt. Dass Kinder aus vielen Kulturen, Sprachen und Konfessionen in Kitas gemeinsam aufwachsen, ist inzwischen zwar bundesweit Alltag. Doch Chanukka und Pessach sind bisher fast nirgendwo so normal wie Weihnachten und Ostern. Die Kita soll den jüdischen Alltag fest in Freiburg verankern, bundesweit gehört sie nun zu den etwas mehr als 20 jüdischen Kinderbetreuungseinrichtungen in Deutschland.
Für Irina Katz, die Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde Freiburg mit rund 750 Mitgliedern, erfüllt sich damit ein lange gehegter Traum. Die Freiburger Stadtverwaltung der Breisgauer Metropole hat das Projekt der Jüdischen Gemeinde und des Jugendhilfswerks von Anfang an unterstützt, betont deren grüner Oberbürgermeister Dieter Salomon. »Wir waren begeistert und haben uns gefragt: Warum kamen wir da nicht früher darauf?« Es sei allerdings »traurig genug«, dass auch in Freiburg eine jüdische Kita besonders geschützt werden müsse. Zu sehen ist davon wenig, bis auf den großen Zaun um das Gelände herum. Die derzeitige Randlage wird sich noch verändern: In der Umgebung wird kräftig gebaut.
Speiseplan Auch die Kita wird sich weiterentwickeln, vieles steckt nach den ersten Monaten noch in den Anfängen. Zum Beispiel das Essen: Derzeit liefert ein Catering-Service vegetarische Gerichte für alle. Für die Zukunft ist die Wahl zwischen koscherem und nichtkoscherem Essen geplant, sagt die Kita-Leiterin Birgit Werner. Koschere Wurst bezieht die Kita bereits jetzt ab und zu von einem jüdischen Lieferanten. Dann wird strikt darauf geachtet, dass Milch und Wurst getrennt aufbewahrt und gegessen werden.
In den kommenden Monaten steht die Premiere einiger jüdischer Feiertage an, statt dem Martinsumzug und Weihnachten werden Chanukka und Purim vorbereitet. Nicht nur dafür wird auch die Fortbildung der nichtjüdischen Mitarbeiter betrieben. Da ist neben den zwei jüdischen Kolleginnen Rabbiner Radbil gefragt. In seiner Eröffnungsrede betonte er, Frieden sei mehr als die Abwesenheit von Krieg. Frieden bedeute, sich täglich zu begegnen, zu helfen und gemeinsam zu feiern. Eben das, was in der »Kita Shalom« seit Mai praktisch und seit Dienstag auch offiziell geschieht.