Gedenken

Schabbattafel ohne Gäste

Auf dem Marienplatz wurde mit einer bemerkenswerten Installation an das Schicksal der Geiseln erinnert

von Andrea Kästle  09.11.2023 10:24 Uhr

Viele Personen blieben vor der leeren Schabbattafel stehen und waren sehr bewegt. Foto: Andreas Gregor

Auf dem Marienplatz wurde mit einer bemerkenswerten Installation an das Schicksal der Geiseln erinnert

von Andrea Kästle  09.11.2023 10:24 Uhr

Eine lange Schabbattafel – mit weißen Tellern, Besteck, Weingläsern und Challa. Kinderstühle dazwischen, Gläschen mit Kinderbrei am Platz. 240 Stühle stehen da für 240 Verschleppte. Das Ganze ist nicht gedacht zum Platznehmen, sondern eine Installation. Sie wurde am Freitag vergangener Woche auf dem Marienplatz aufgebaut, um an die Geiseln zu erinnern, die seit dem 7. Oktober in der Gewalt der Hamas sind.

An den Stuhllehnen sind Plakate mit Fotos und Namen befestigt. Kinder sind darunter, zum Beispiel die vierjährige Raz Asher, im Sommerkleidchen mit langen blonden Haaren. Weitere Beispiele sind die dreijährige Avigail Ida und die zwölfjährigen Jungen Erez Dan Kalderon und Eitan Yahalomi. Letzterer mit seinem Hund. Momentaufnahmen aus einem anderen, glücklichen Leben.

Über 70 Meter lang ist die Tafel, die das Interesse der Münchner Passanten und Touristen weckt. Die Menschen bleiben stehen, studieren die Namen, betrachten die Fotos und fotografieren selbst. Eltern erklären ihren Kindern, was der gedeckte, inzwischen vom Regen durchnässte Tisch bedeutet, an dem niemand Platz nimmt. »Die wurden alle entführt. Überleg dir das mal«, erläutert eine Mutter ihrem halbwüchsigen Sohn.

Manche haben Tränen in den Augen. Eine ältere Dame erzählt, sie habe vier Kinder und zehn Enkel. Einem Fernsehteam sagt sie, man spüre »körperlich«, was passiert sei, am Rande des gedeckten Tischs. Dann geht sie weiter, liest mehr Namen. Luis Norberto Bar, 70, offenbar mit seinem neugeborenen Enkel auf dem Arm. Ohad Munder Zichri, 9, lachend.

Vom Fischbrunnen bis zum U-Bahn-Ausgang vor der Weinstraße reicht die Tafel. Zur traditionellen Schabbat-Challa gesellen sich auf dem Tisch weiße und rote Rosen, abgelegt von Besuchern. Einer von ihnen ist Eli, der die Reihen der leeren Stühle abgeht. Er sagt: »Ich fühle mich ohnmächtig, wütend und traurig.« Eine Frau mittleren Alters äußert sich ähnlich, sie sagt: »Ich könnte heulen. Ich habe selbst eine Tochter. Wenn ich mir vorstelle, dass unter den Geiseln auch Kinder sind, elternlos …«

Initiiert wurde die Installation eines imaginären Schabbat-Essens von zwei jungen Münchnern, Ariella Chmiel und Daniel Gitbud. Später, als der Regen ein wenig nachlässt und es Zeit für den Abbau ist, begründen sie ihre Aktion: »Es geht nicht um die Politik. Es geht darum, klarzumachen, wer sich da in der Gewalt der Hamas befindet: Frauen, Männer, Kinder, Menschen wie Sie und ich.«

Ähnliche Aktionen haben schon in Tel Aviv, New York, Frankfurt und Berlin stattgefunden. Daniel Gitbud zeigt sich zufrieden: »Wir hatten intensive Gespräche, es war ein bewegender Vormittag. Viele Menschen haben das gesehen und einige haben hoffentlich verstanden.«

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