Mittlerweile ist auch er fest davon überzeugt: Die Jewrovision wird tatsächlich stattfinden. Vor zwei Jahren, im März 2020, war Rabbiner Shlomo Afanasev bereits auf dem Weg zum Austragungsort in Berlin, als die Absage kam. Corona hatte Organisatoren und Teilnehmern in letzter Minute einen Strich durch die Rechnung gemacht – das größte jüdische Jugendfestival Deutschlands sollte weder in diesem noch im nächsten Jahr stattfinden.
Doch nun, im Frühling 2022, hat sich die Pandemielage entspannt, eine Veranstaltung dieses Ausmaßes ist möglich. »Endlich ist es wieder so weit«, sagt Afanasev, »alle freuen sich riesig.« Unter dem Motto »The Show Must Go On« findet die Jewrovision vom 26. bis 29. Mai im Hotel Estrel in Berlin-Neukölln statt. Im Zentrum der Veranstaltung steht der Musikwettbewerb, bei dem am Freitag zwölf jüdische Jugendgruppen aus der ganzen Bundesrepublik unter den Augen einer Jury und des Publikums auftreten werden.
Die Jewrovision ist auch der jüdischen Tradition verpflichtet.
Gleichzeitig ist die Jewrovision auch ein Mini-Machane, das dem Austausch von jungen Jüdinnen und Juden und der Stärkung ihrer jüdischen Identität dient. Das Festival soll nicht nur im Zeichen der Freude an Musik und Tanz stehen, sondern auch dem Geist der jüdischen Tradition verpflichtet sein.
Mini-Schabbaton Rabbiner Afanasev ist zusammen mit zwei Kollegen – Rabbiner Avichai Apel aus Frankfurt und Zsolt Balla, Landesrabbiner von Sachsen – für die religiösen Aspekte der Jewrovision verantwortlich. Afanasev betont, dass das Schabbat-Programm am Freitag und Samstag an die Bedürfnisse der Jugendlichen angepasst wurde. »Wir machen einen Mini-Schabbaton, bei dem der Gottesdienst etwas kürzer ist als normal und von etwas mehr Erklärungen begleitet wird.«
Zsolt Balla, der auch als Militärbundesrabbiner fungiert, wird sich ebenfalls an der Leitung der Schabbat-Gottesdienste beteiligen. »Die Jewrovision soll auch eine religiöse Erfahrung sein, eine Schabbat-Experience«, sagt Balla.
Für ihn ist es »das wichtigste Wochenende des Jahres«, von allen Beteiligten heiß ersehnt. Das religiöse Angebot während der Jewrovision soll auch für Anfänger gut geeignet sein. Niedrigschwellig möchte der Rabbiner die jungen Jewrovision-Teilnehmer an das Judentum heranführen. »Die Kinder sind unsere Zukunft«, sagt Balla.
Koscher Auf seinen Kollegen Afanasev kommt in diesen vier Tagen neben den Gebeten und Riten rund um den Schabbat noch eine weitere, herausfordernde Aufgabe zu: die Organisation der koscheren Verpflegung für die etwa 1200 Personen, die kommende Woche erwartet werden. »Das Estrel hat zum Glück schon viel Erfahrung mit dem Austragen jüdischer Veranstaltungen«, erzählt Afanasev. »Das bedeutet, ich muss dem Personal nicht alles von vorne erklären.«
Für ihn sei es »das wichtigste Wochenende des Jahres«, sagt Rabbiner Zsolt Balla.
Das kann auch Alexander Dickersbach bestätigen, der im Event-Management des Estrel tätig ist. Er hat schon einige Veranstaltungen begleitet, bei denen auf die jüdischen Speise- und Schabbat-Gesetze geachtet werden musste, darunter auch die Makkabi-Spiele, eine jüdische Sport-Großveranstaltung, deren Teilnehmer 2015 im Estrel wohnten.
»Unser Küchendirektor ist schon seit 30 Jahren dabei und hat viel Erfahrung«, sagt Dickersbach. Von den etwa 25 Küchen wird eine für die Zubereitung milchiger, eine für fleischige Speisen vorbereitet. Die Versorgung von zahlreichen Gästen mit koscheren Lebensmitteln sei für ihn und sein Team Routine, meint Dickersbach.
Vorbereitung Bei der Planung zur Jewrovision konnte Rabbiner Afanasev auch auf dem aufbauen, was er mit den Hotel-Verantwortlichen bereits vor zwei Jahren besprochen hatte. In den vergangenen Wochen war er erneut dreimal vor Ort, um alles vorzubereiten. »Am Dienstag vergangene Woche habe ich mir die Küchenräume angesehen«, sagt der Rabbiner.
Afanasev ist von den Gegebenheiten im Hotel überzeugt: »Die beiden Küchen liegen so weit auseinander, dass eine Vermischung von milchigen und fleischigen Lebensmitteln ausgeschlossen ist – man wird nur viel laufen müssen.« Kein Wunder, das Estrel ist mit 1125 Zimmern das größte Hotel Deutschlands.
Teller, Schüsseln und anderes Geschirr stellt der Zentralrat der Juden.
Insbesondere die Abläufe an Schabbat muss Afanasev, der Rabbiner der jüdischen Gemeinde von Hannover ist, minutiös mit dem Hotelpersonal absprechen. »Das ganze Essen und heißes Wasser für Kaffee muss vor Freitagabend vorbereitet werden«, erklärt der Rabbiner, der bereits mehrere Jewrovision-Veranstaltungen begleitet hat. »Es braucht ein System aus Zeitschaltuhren und dauerhaft warmen Herdplatten, um das Essen auch samstags wieder aufzuwärmen.« Man kann sich vorstellen, welch komplexes Unterfangen das bei Hunderten von Gästen sein muss.
organisation Die nächste Herausforderung für Afanasev ist die Organisation koscheren Geschirrs und Bestecks, das das Hotel nicht permanent bereithält. »Das Kaschern fangen wir am Montag an«, sagt der Rabbiner. Das bedeutet: Das bis dahin nicht koschere Besteck des Hotels wird bei über 250 Grad etwa eine halbe Stunde lang in den Ofen gelegt – so lange, bis alle Essensreste definitiv entfernt wurden – und koscher wieder herausgeholt.
Die Berge an Löffeln, Messern und Gabeln, die gekaschert werden müssen, sind so immens, dass Rabbiner Afanasev fünf weitere Helfer für die Aufgabe engagiert hat. Teller, Schüsseln und weiteres Geschirr lassen sich dagegen nicht so einfach kaschern – sie werden vom Zentralrat der Juden extra gestellt.
Für Rabbiner Afanasev hat die Jewrovision nicht nur für die jungen Jüdinnen und Juden in Deutschland eine herausragende Bedeutung, sondern für die gesamte jüdische Gemeinschaft in diesem Land. Er glaubt, die Jewrovision kann etwas bewirken, was für die Gemeinden normalerweise deutlich schwieriger ist: »Auf einmal ist es cool, jüdisch zu sein.«
Das Musik-Festival spiele für die jungen Teilnehmer eine wichtige Rolle bei der Herausbildung ihrer jüdischen Identität, meint Rabbiner Afanasev. Für die Zeit nach der Jewrovision hat er einen Wunsch: »Hoffentlich wollen sie nach dem Wochenende mehr über das Judentum wissen und werden das Gelernte irgendwann auch an ihre eigenen Kinder weitergeben.«