Vor dem Fenster liegen die Berge. »Ich brauche die Stadt nicht mehr«, sagt Eva Fromm. München ist etwa anderthalb Fahrstunden entfernt. Nach Salzburg sind es gute 30 Minuten. Wenn man im oberbayerischen Unterwössen, einer Gemeinde von etwa 3500 Einwohnern, die Alte Dorfstraße hinunterfährt, die Abzweigung in den Niederfeldweg nicht verpasst und dann noch einmal in eine kleine Sackgasse einbiegt, steht man vor dem Haus, in dem sich Eva Fromm ihr Atelier eingerichtet hat.
Neben maßgefertigter Brautmode und feschen Kleidungsstücken für den besonderen Anlass entstehen hier unterm Dach »synagogale Textilien«: Parochot, Toramäntel, Kippot, Bimadecken, Mappot, Chuppot. Alles made in Germany und on demand.
Wie aber findet die jüdische Kundschaft in dieses oberbayerische Nest? »Ich werde weiterempfohlen«, sagt Eva Fromm schlicht. Was man ihr aufs Wort glaubt – denn ihre perfekt gearbeiteten »Zeremonialkunst-Stücke« sprechen für sich.
Stoffe Eva Fromm kommt aus der Modebranche. Sie hat in Bielefeld Modedesign studiert, ist danach nach München gegangen, wo sie ihre Kenntnisse über Textildesign vertiefte. Wirkung und Ästhetik von Mustern und Farben faszinieren sie. Sie entwirft Stoffe – »Oh, ich liebe Stoffe!« – und kreiert aus hochwertigen Materialien Trachtenmode.
»Eines Tages ist dann ein jüdischer Freund zu mir gekommen und wollte wissen, ob ich ihm nicht so einen langen schwarzen Mantel nähen könne. Ich nähte ihm diesen langen schwarzen Mantel, woraufhin der Kantor der Münchner Gemeinde sich bei mir meldete und auch so einen Mantel haben wollte und gleich dazu noch eine schwarze Kappe mit Samtrand im Stil des 19. Jahrhunderts.«
Der Kunde habe ein Foto aus der Tasche gezogen mit einem Rabbiner darauf, der ebensolch eine Kappe auf dem Kopf trug. Eva Fromm nähte für diese spezielle Kopfbedeckung einen Prototypen – das war der Beginn einer neuen Auftragskette. »Erst bestellte der Chorleiter vom Männerchor davon 15 Stück, und dann wollte die Leiterin des Kinderchors für ihre singenden Jungs auch noch welche haben«, erzählt die Designerin.
2006, zur Eröffnung der Ohel-Jakob-Synagoge am Münchner Jakobsplatz, folgte für Eva Fromm der erste Auftrag einer synagogalen Textilie. Mappot, Torawimpel, wurden gewünscht. »Also sind wir zusammen in ein gutes Stoffgeschäft gegangen, haben einen edlen Leinenstoff ausgesucht, und ich habe vier Wimpel zugeschnitten, genäht und farblich schön eingefasst.« Dann sollten gleich noch ein paar Parochot aus der alten Synagoge, die im Ganzen wesentlich kleiner war, verlängert und verbreitert werden.
Auch das erledigte Eva Fromm und hielt es jetzt an der Zeit, sich Rabbiner Steven Langnas vorzustellen. »Ich bin zu ihm gegangen und habe ihm erklärt, dass ich nicht nur ändern kann, sondern dass ich Designerin bin und auch selbst entwerfe.« Sie stiftete der Münchner Gemeinde einen Toramantel als »Einstiegsstück«. Rabbiner Langnas war begeistert und ermutigte sie weiterzumachen. »Das war gewissermaßen meine Starterlaubnis, ab da habe ich begonnen, mich richtig einzuarbeiten, zu stöbern. Und es öffnete sich mir eine neue Welt.«
katalog Eva Fromm ist Nichtjüdin. Sie erarbeitet sich das Wissen, das sie als Schneiderin von synagogalen Textilien braucht, Stück für Stück und entdeckt, wie reich jüdisches Leben in Deutschland einmal gewesen ist. »Dieser Verlust macht unendlich traurig«, sagt sie. Umso mehr habe es sie motiviert, etwas beisteuern zu können, »damit wieder entstehen kann, was einmal war, damit jüdisches Leben mit allem, was dazugehört, wieder erblühen kann«.
Dass ihr das als Nichtjüdin möglich ist, empfindet sie als eine Ehre. Und am Ende, so habe sie das jedenfalls erlebt, stehe dann gar nicht mehr die Begegnung mit der ihr »eigentlich fremden Kultur« im Vordergrund – am Ende gehe es um die Begegnung von Mensch zu Mensch. »Gerade in Deutschland ist der selbstverständliche Umgang zwischen Juden und Nichtjuden doch mehr als wünschenswert«, findet sie.
Um sich mit den Kultgegenständen vertraut zu machen, bestellte Eva Fromm einen Katalog des Jüdischen Museums Prag. Darin finden sich Abbildungen synagogaler Gegenstände, die überlebt haben. Hintergrund dieser Sammlung ist, dass das »Jüdische Rathaus« von Prag 1942 die Gemeinden dazu aufgefordert hatte, Torarollen, Leuchter, Toramäntel und Toravorhänge zur sicheren Aufbewahrung ans Museum zu schicken, wo sie dann ordentlich gelagert und katalogisiert worden sind. Später, 1943, hat die SS die Sammlung unter dem verhöhnenden Titel »Museum einer untergegangenen Rasse« neu eröffnet. Für Eva Fromm sind die Abbildungen heute ebenso Geschichtsstunde wie Inspiration.
»Die Darstellungen in diesem Katalog sind für mich äußerst wertvoll«, sagt Eva Fromm. Fasziniert liest sie von edlen Feiertags-Parochot, die so teuer waren, dass ihre Anschaffung ein Riesenloch in die Kassen der Gemeinden riss. »Die waren dann über und über bestückt mit Stickereien aus Silber- und Goldfäden; Edelsteine wurden hineingearbeitet, bis kein Stückchen Stoff mehr zu sehen war.«
Eva Fromm selbst lässt ihre Arbeiten bei einer Stickfirma in Ostdeutschland anfertigen. »Für die war das alles auch Neuland, aber sie machen es dort wirklich sehr gut, arbeiten mit zum Teil noch handgeführten Stickmaschinen.« Was dabei herauskomme, sei einfach anders als die Stücke, die man bisher aus Israel bestellt habe und die häufig in China gefertigt worden seien.
motive Ihren ersten »richtig großen« Auftrag hat Eva Fromm – man hatte sie von München aus weiterempfohlen – 2010 aus Mainz zur Eröffnung der neuen Synagoge bekommen. »Das war ein absolut bemerkenswertes Bauwerk, das da vor mir stand, aus überdimensionalen hebräischen Buchstaben, ummantelt von einer blaugrünen Emailleschicht.« Für Mainz fertigte Eva Fromm zwei Parochot, eine in Weiß und eine in Blau.
Eva Fromm lässt ihre Auftraggeber – viel wird telefonisch besprochen – Wünsche und Vorstellungen genau erklären. Die Gemeinde sendet zudem Fotos von den Räumlichkeiten. Dann ist sie an der Reihe, verschickt erste Vorschläge, farbige Entwürfe. Man bespricht sich wieder. Irgendwann legt sich der Auftraggeber dann fest. »Er bestimmt, und ich beginne mit der Arbeit.« Als Motive tauchen auf den Synagogentextilien häufig die Gebetstafeln, die Krone, der Lebensbaum, Löwen oder auch die segnenden Kohanim-Hände auf.
Die bestickten oder bedruckten Stoffe fungieren als Trägermaterial für Symbole und sind schon immer in Darstellung und Machart Dokumente für das soziokulturelle Umfeld der Zeit gewesen. Was die Ästhetik anbelangt, orientiert man sich an den Wünschen, die Eva Fromm entgegennimmt, am liebsten am 19. Jahrhundert. Sie versuche dann »einfach professionell und handwerklich exakt« den Vorstellungen zu folgen, und »trotzdem erkennt man meine Handschrift«.
Als Stoff wird meistens Samt ge-wünscht, manchmal auch Seide. Für die Heidelberger Synagoge etwa musste sie die Sondersituation berücksichtigen, dass sich der Vorhang nicht vor dem, sondern wie bei den sefardischen und italienischen Synagogen im Schrank befunden habe. »Da war Samt gar nicht möglich. Das wäre einfach zu dick geworden«, sagt sie.
Natürlich werden auch immer wieder hebräische Worte als Aufschrift ge-wünscht, »da heißt es dann aufpassen, weil sich schnell mal Fehler einschleichen«. Eva Fromm lacht und erinnert sich an eine Gemeinde, die sich nach zwei Jahren wieder bei ihr gemeldet habe, mit dem Hinweis, auf der Parochet, die sie gemacht habe, fehle ein Buchstabe – »Nach zwei Jahren!«
kurbelstich Auf Eva Fromms Computertastatur kleben kleine Zettelchen mit he-bräischen Buchstaben. Auf dem Bildschirm kann sie das Alefbet sehen, mit den Lettern »spielen« und sie schließlich auf Papier bringen. Die Stickerinnen zaubern die Zeichen in Platt- oder Kurbelstichen auf den Stoff, wenn gewünscht auch mit Silber- oder Goldumrandung.
Die Gemeinden Reutlingen und Fürth hat Eva Fromm ebenfalls schon beliefert. Und an Göttingen erinnert sie sich mit einem Schmunzeln. »Wir reden also am Telefon. Man beschreibt mir einen recht kleinen Toraschrank mit einer ganz speziellen Mechanik, um den Vorhang zu öffnen. Ich habe mir das nicht richtig vorstellen können. Und ein paar Tage später bekomme ich dann ein Videofilmchen geschickt.«
Die schwarzen Samtkappen gehen übrigens immer noch. Ein Berliner Vater hätte gerne eine für sein Söhnchen, und damit sie dem Kleinen auch bestens passt, hat er gleich ein Foto von ihm beigelegt. »Durch meine Arbeit lerne ich einfach viele nette Leute kennen«, sagt Eva Fromm. Sie wird mittlerweile sogar zu jüdischen Hochzeiten eingeladen. »Ja, eine Chuppa habe ich auch schon gestaltet, mit einem kreisrunden Segensspruch und in der Mitte des Spruchs eine Taube.«
Im Moment entsteht unter Fromms Händen ein neuer Toramantel für die Münchner liberale Gemeinde Beth Shalom, »zum jüdischen Neujahrsfest«, wie sie sagt. Zum zehnjährigen Jubiläum ihres Rabbiners Tom Kucera hat sie bereits vor einiger Zeit einen ersten Mantel kreiert, darauf »ein Lebensbaum mit 18 roten Granatäpfeln«.
»Sehr wichtig bei solchen Aufträgen ist es natürlich, dass alles rechtzeitig fertig wird«, sagt Eva Fromm und erinnert sich an den neuen Vorhang vor dem Toraschrein in der Münchner Synagoge, der pünktlich hängen musste, weswegen sie mit dem Bügeleisen und einer Bügeldecke in der Tasche angereist war. Auch ein Taschenrechner war dabei, um die Abstände der Gleiter zu errechnen. »Bügeln in der Synagoge!«, lacht Eva Fromm. Die Parochet hing jedenfalls rechtzeitig. Und jede Falte saß.
Infos unter www.bezalel-judaica.com