Wir wollen am Sonntag das WM-Finale in der »Gerbermühle« gucken. Das ist ein sehr schönes Restaurant mit tollem Essen; und im Garten gibt es eine Riesenleinwand. Vor vier Jahren haben wir das Finale auch dort angeschaut und hatten großen Spaß! Ich fand es schade, dass viele WM-Fußballspiele so spät stattfanden. Aber immerhin lagen etliche Deutschlandspiele so, dass auch mein Sohn sie sich anschauen konnte. Bei den späteren war er nur bis zum Ende der ersten Halbzeit dabei, danach musste er ins Bett, weil ja am nächsten Tag Schule war.
Meine Kinder und ich sind Fußballfans. Diese Leidenschaft kommt von meinem Vater – und ich habe sie wiederum meinen Kindern vererbt. Aufgewachsen bin ich mit zwei Brüdern und einem fußballverrückten Papa. Ich hatte als Kind jeden Samstag zwei Möglichkeiten: entweder zu Hause zu bleiben und mich zu langweilen oder mit meinem Vater und meinen beiden Brüdern zu Fußballspielen zu gehen. Ich entschied mich für Fußball.
Eintracht Als mein Vater mich das erste Mal ins Stadion mitnahm, muss ich etwa drei Jahre alt gewesen sein. Noch immer ist es bei uns ein Familienereignis, die Heimspiele von Eintracht Frankfurt anzuschauen. Ich hole dann meinen Papa ab, und wir fahren mit den Kindern ins Stadion. Wir schleppen uns bei Wind und Wetter hin – sogar wenn wir krank sind. Wir alle haben Dauerkarten, mein Vater bereits seit mehr als 40 Jahren. Mit Papa zusammen für die Eintracht zu schreien, ist bei uns Familientradition – das macht so viel Spaß!
Die WM ist etwas anderes. Ich bin zwar für Deutschland, aber es mit Flagge öffentlich zu bekunden – das kann ich nicht. Selbstverständlich schicke ich meinen Sohn mit dem Eintracht-Trikot los, doch ich habe ein Problem damit, ihn das Deutschlandtrikot tragen zu lassen oder ihm die Deutschlandfahne in die Hand zu drücken. Ich bin total für Deutschland, aber mit einer Distanz: Ich würde unser Haus und mein Auto nicht mit der Deutschlandfahne dekorieren. Da ist eine Grenze. Für mich ist die Geschichte noch zu nah. Ich bin mit einem Großvater aufgewachsen, der den Holocaust miterlebt und mir davon erzählt hat. Wenn ich mit der Deutschlandflagge unterwegs wäre, dann hätte ich das Gefühl, meinem Opa auf den Teller zu spucken. Aber ich glaube, dass die nächsten Generationen ein ungebrocheneres Verhältnis haben werden.
Makkabi Mein Sohn David spielt bei Makkabi, und ich bin sein größter Fan. Ich fahre ihn dreimal die Woche zum Training und an Wochenenden zu den Turnieren. Ich stehe hinter dem Tor und bange mit ihm: Er ist Torwart. Mit drei Jahren hat er angefangen, Fußball zu spielen. Fußballer will er aber nicht werden, sondern Fußballmanager.
Meine Tochter Jilian spielt Tennis. Ihr Training ist dienstags und mittwochs; David trainiert montags, dienstags und donnerstags. Mama zu sein, ist ein Fulltime-Job! Normalerweise chauffiere ich die Kinder. Aber vor ein paar Wochen habe ich mir die Hand gebrochen und kann zurzeit nicht Auto fahren. Glücklicherweise springt meine Mutter ein.
Mein Tag beginnt gegen halb sieben. Zum täglichen Ritual gehört das gemeinsame Frühstück. Um 7.30 Uhr verlässt mein Mann mit den Kindern das Haus. Er setzt sie auf dem Weg zur Arbeit in der Schule und im Kindergarten ab. Währenddessen habe ich eine halbe Stunde »Urlaub«, also Zeit nur für mich. Ich trinke dann in Ruhe Kaffee und lese die Zeitung. Um acht Uhr geht’s dann los: Dienstags und donnerstags fahre ich nach Offenbach in die Praxis meines Mannes. Er ist Zahnarzt, ich mache die Buchhaltung und rechne die Privatpatienten ab. Montags, mittwochs und freitags arbeite ich in meinem Büro zu Hause – in der Regel bis 13 Uhr und dann erst wieder spätabends, wenn die Kinder im Bett sind. Ich versuche, am Nachmittag für David und Jilian da zu sein. Ich hole sie ab, wir essen zusammen – und danach bin ich ihre Taxifahrerin.
wellness Der Freitagnachmittag aber gehört mir. Mein Mann übernimmt am Mittag die Kinder, und ich kümmere mich nur um mich: Wellness und Sport sind dann angesagt. Ich spiele Tennis mit einer Freundin. In meiner Freizeit mache ich aber auch bei sozialen Sachen mit. Zum Beispiel bin ich an der Organisation des Makkabi-Balls und der WIZO-Veranstaltungen beteiligt.
Eigentlich wollte ich Journalistin werden. Mein Vorbild war Antonia Rados. Ich wollte auch mitten ins Geschehen und aus Kriegsgebieten berichten. Ich habe Politik und Öffentliches Recht studiert, mich beim Axel-Springer-Verlag beworben – und sogar eine Zusage bekommen. Doch dann wurde mein Vater krank, und ich musste von heute auf morgen einspringen: Wir hatten damals zwei Hotels in Frankfurt. Ich übernahm also die Geschäftsführung, damit der Familienbetrieb weiterlief. Um die Buchhaltung und das Personal kümmere ich mich immer noch von meinem Home-Office aus. Inzwischen haben wir auch ein paar Immobilien: Mehrfamilienhäuser. Um deren Vermietung und um all das, was anfällt, kümmere ich mich. Und ich mache, wie gesagt, die Buchhaltung für meinen Mann.
party Er ist ukrainischer Jude und kam Mitte der 90er-Jahre nach Deutschland. Wir haben uns vor 14 Jahren auf einer Party kennengelernt. Ihm war wichtig, eine jüdische Frau zu heiraten, obwohl er die Bräuche und Traditionen kaum kannte, weil seine Familie in der Sowjetunion nicht jüdisch leben konnte.
Es ist uns sehr wichtig, am Freitagabend mit der Familie zusammenzusitzen, am festlich gedeckten Tisch gemeinsam zu essen und Kiddusch zu machen. Wir versuchen, unseren Kindern zu vermitteln, dass der Schabbat etwas Besonderes ist – wir bringen ihn aber nicht mit Verboten in Verbindung. Ich hasse strikte Weisungen und Verbote. Wenn am Freitagabend ein Eintracht-Spiel im Fernsehen läuft, schalten wir natürlich gleich nach dem Kiddusch an. Ich glaube, wenn es heißt, dass der Schabbat ein Ruhetag ist, dann kann es sehr erholsam sein, wenn ich mit meinem Mann gemütlich beisammensitze und wir einen Film angucken – gerade weil wir es unter der Woche eben oft nicht schaffen.
Das Judentum ist für mich etwas, das den Kindern Traditionen näherbringt, ihnen Wurzeln gibt, Geborgenheit und Wärme. Es hält uns als Familie zusammen und lässt uns schöne Momente erleben. Wenn ich meinem Sohn sagen würde, dass er am Samstag nicht mehr ins Fußballstadion darf, weil Schabbat ist, dann würde er den Schabbat hassen, es wäre nichts Schönes mehr für ihn. Außerdem: Wenn man bei Makkabi spielt, dann kann man den Schabbat auch gar nicht halten, denn die Spiele sind samstags.
freunde Manchmal abends, wenn unsere Kinder im Bett liegen, dann haben wir Eltern ein bisschen Zeit für uns. Normalerweise gehen wir nicht aus – aber ab und zu gibt es Einladungen von Freunden oder Charity-Veranstaltungen. Und manchmal, wenn ich keine Lust zum Kochen habe, gehen wir abends mit den Kindern essen.
An den Wochenenden fahren wir manchmal als Familie weg, machen Kurzurlaube und widmen uns ganz den Kindern. Zuletzt waren wir für ein paar Tage in Österreich. Im Sommer fahren wir seit ein paar Jahren immer in die Türkei. Wir sind total begeistert von den Klubs, weil sie auch so viel Programm für Kinder haben. Diesen Sommer verbringen wir unseren Urlaub in einem Hotel, in dem der Chelsea FC eine Fußballschule anbietet. Da kann sich mein Sohn dann zwei Wochen lang so richtig austoben.
Aufgezeichnet von Canan Topçu