Herr Neumann, die Stadt und die Gemeinde richten erstmalig Jüdische Kulturwochen aus. Warum bringen Sie sie gerade in diesem Jahr auf den Weg?
Die Synagoge Darmstadt begeht in diesem Jahr ihr 30. Jubiläum. Dies ist nicht nur für die Jüdische Gemeinde ein Grund zum Feiern. Gleichzeitig drängt der Antisemitismus in die Mitte der Gesellschaft zurück, sodass es wichtig und notwendig ist, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um diese destruktiven Haltungen zu bekämpfen. Einer dieser Hebel ist das Wissen von- und umeinander, was unter anderem durch kulturelle Begegnungen gefördert werden kann.
Auf dem Programm stehen unter anderem die Fotoausstellung, ein Auftritt des DJs Yuriy Gurzhy, weitere Musikveranstaltungen, Lesungen sowie Führungen. Welche Aspekte der jüdischen Kultur und Religion möchten Sie den Besuchern näherbringen?
Es soll einen Rundflug über das jüdische Kulturleben geben. Die Religion spielt bei der einen oder anderen Veranstaltung zwar eine Rolle, steht allerdings nicht im Mittelpunkt. Stattdessen sollen die Vielfalt und die Faszination jüdischen Kulturschaffens im weiteren Sinne in den Fokus rücken – für unterschiedliche Altersgruppen und entsprechend unterschiedlicher kultureller Vorlieben.
Wurden im Programm auch lokale Themen und Besonderheiten berücksichtigt?
Jein. Der lokale Bezug wird durch die Veranstaltungen in der Synagoge und auf dem Jüdischen Friedhof hergestellt. Der Tag der offenen Tür, das Sukkotfest zum Anfassen und die Führung zur jüdischen Beerdigungskultur haben durch die Orte, an denen sie stattfinden, lokale Bezüge.
Die Veranstaltungen sind im ganzen Stadtgebiet verteilt. Bedeutet das eine stärkere Öffnung der Darmstädter Gemeinde?
Die Jüdische Gemeinde war seit jeher offen für Besucher und Begegnungen. Gleichwohl erleben wir immer wieder, dass die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen, wie Kameraüberwachung und Polizeischutz, vielfach den falschen Eindruck entstehen lassen, wir würden uns abschotten wollen. Außerdem fühlen sich manche dadurch verunsichert und üben Zurückhaltung. Es verhält sich hier also wie in dem Sprichwort mit dem Berg und dem Propheten. Wenn die Menschen nicht zu uns kommen wollen, kommen wir eben zu den Menschen.
Ist in der Darmstädter Bevölkerung ein wachsendes Interesse am jüdischen Leben der Stadt zu beobachten?
Das Interesse ist recht groß. Das erleben wir nicht nur bei den vielen Führungen, sondern auch bei anderen Anlässen, sei es dem jährlichen WIZO-Basar oder der Gedenkveranstaltung zum 9. November. Seit Jahresbeginn zieht die Reihe »Die Bibel in rabbinischer Auslegung«, die im Rahmen des neu gegründeten Jüdischen Lehrhauses angeboten wird, regelmäßig im Durchschnitt 75 Besucher an.
Wie würden Sie am liebsten auf die Kulturwochen zurückblicken?
Erschöpft, aber glücklich. Sprich: Wenn wir die Kulturwochen abschließen und die Veranstaltungen zahlreiche Besucher anlocken konnten – im besten Fall waren alle ausgebucht – und wir darüber hinaus ein positives Feedback erhalten, würden wir uns sehr freuen. Die Ziele sind Begegnung, Information, Unterhaltung, Abbau von Vorurteilen sowie das Erkunden und Erleben der vielfältigen jüdischen Kulturwelt.
Ist es geplant, die Jüdischen Kulturwochen auch zukünftig auszurichten?
Wenn es nach mir geht, sind die diesjährigen Kulturwochen der Startschuss für Aktivitäten in den kommenden Jahren. Das hängt aber natürlich vom Erfolg der Kulturwochen und der Bereitschaft der Stadt Darmstadt ab, diese auch künftig fortzusetzen und zu fördern. Wobei: Die Zusammenarbeit mit der Stadt Darmstadt und speziell Oberbürgermeister Partsch ist so positiv, dass ich guter Dinge bin.
Die Fragen an den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Darmstadt stellte Eugen El.