Frau Or, vor 15 Jahren wurde das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) gegründet. Es möchte junge jüdische Menschen fördern und »ein gemeinsames jüdisches Haus« bauen. Ist Ihnen das gelungen?
Ich glaube, ja. Wir hatten und haben bis jetzt 1200 Stipendiaten, die finanziell, aber auch ideell gefördert wurden. Das ist schon eine beachtliche Zahl. Die ideelle Förderung besteht aus vielen Teilen. Zum einen sind das die Kollegs, die von den Stipendiaten besucht werden. Viele werden inzwischen von Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie Ehemaligen selbst gestaltet. Darüber hinaus gibt es etliche Eigeninitiativen der Stipendiatenschaft und anderer Organisationen, deren ehrenamtliche Mitglieder sie sind. Sie gründen auch selbst Organisationen und schreiben Artikel. Wir bieten viel Raum für Initiative, den Diskurs und das Zusammenfinden von Menschen, die aktiv werden wollen.
Ein ehemaliger Stipendiat schreibt, er wünsche ELES, man möge sich weiter unbequemen und relevanten Themen stellen. Wie gewährleisten Sie das?
Indem man keine Themen unterdrückt und sich überlegt, wie die Diskussionen darüber die Grenzen der Bubbles überwinden und einen Großteil der Stipendiatenschaft interessieren können. Was wir sicherlich noch verbessern werden und wollen, ist die Ermutigung, auch unbequeme Themen anzusprechen. Zu überlegen, welche Fragen uns bewegen. Und diese dann sachlich, ruhig und rational anzugehen. Vielleicht angeleitet und mit Unterstützung, vielleicht aber auch ohne, weil die Stipendiatenschaft das sehr gut selbst kann. Dafür müssen immer wieder eine Sprache und Formate gefunden werden. Manchmal ist das ein Online-Abend, manchmal sind es Veranstaltungsreihen, zu denen man sich wöchentlich trifft und Literatur zum Thema liest.
Sie sind ein Thinktank und Rückzugsort für die Stipendiaten zugleich. Hat sich das seit dem 7. Oktober 2023 noch verstärkt?
Das sind zwei sehr schöne Stichworte, Rückzugsort und Thinktank. Parallel dazu wollen wir dazu ermutigen, Räume zu schaffen, in denen man sich über eigene Erfahrung austauscht und gegenseitig unterstützt. Die Notwendigkeit und das Verlangen danach sind größer geworden. Gleichzeitig ist eine gewisse Zurückhaltung dazugekommen, um eine Polarisierung zu vermeiden. Das ist wichtig, sollte aber den Räumen des Austauschs nicht entgegenstehen.
Sie wollen jüdisches Bewusstsein fördern und die Stipendiaten auch in Zukunft an die Gemeinden »zurückgeben« …
Die Stipendiatenschaft kommt zu großen Teilen aus den Gemeinden, und sie sind oft mit anderen Institutionen verknüpft. Es entwickelt sich automatisch, dass sich unsere Stipendiatinnen und Stipendiaten in anderen Institutionen oder in den Gemeinden engagieren, und das passiert schon seit 15 Jahren.
Mit der ELES-Geschäftsführerin sprach Helmut Kuhn.