Sie leben heute in Deutschland, den USA, Israel und Kanada: ehemalige Dresdner Juden und ihre Angehörigen. Oberbürgermeisterin Helma Orosz empfing die Gäste zu einem Gespräch im Rathaus. »Ich freue mich jedes Jahr sehr auf diese Begegnungen.
Wenn die Gäste von ihren persönlichen Schicksalen berichten, ist dies sehr bewegend für mich, und ich bin stets beeindruckt, mit wie viel Lebensmut und Freude sie ihren Weg gemeistert haben.« Aber auch die Erzählungen der Angehörigen seien beeindruckend, spüre sie doch, »wie sehr die Schicksale auch die nachfolgenden Generationen einer Familie beeinflussen«, betonte das Stadtoberhaupt.
Schicksal Unter den Gästen ist auch Yonatan Zwecher. Der 34-Jährige stammt aus Israel, wohin sich sein Großvater Chaskel Kurt Zwecher 1939 per Schiff über Italien gerettet hatte. Die Urgroßeltern kamen einst aus Polen nach Dresden. Im Oktober 1938 wurden sie und Chaskels Schwester nach Polen abgeschoben und gelten seither als verschollen. Chaskel Kurt Zwecher blieb dieses Schicksal erspart, da er zu diesem Zeitpunkt noch im Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau studierte.
Yonatan Zwecher besuchte zum ersten Mal die Heimatstadt seiner Vorfahren. Für ihn war es ein sehr bewegender Moment, auf der Straße zu stehen, wo sein Urgroßvater und dessen Familie lebten und ein eigenes Geschäft führten. Er habe sich intensiv mit dem Holocaust auseinandergesetzt und betrachte die heutige Situation in der Welt mit großer Beunruhigung, sagt Zwecher.
Auch für Kerry Hirsch-Guterson war der Besuch in Dresden ein sehr emotionaler Moment. Alle ihre Vorfahren haben ihre Wurzeln in Dresden. Sie selbst wurde 1955 in Mülheim an der Ruhr geboren und lebt heute in Israel. Sie erfuhr in jungen Jahren, dass ihr Vater Albert Hirsch bereits einmal verheiratet war und einen Sohn namens Manfred hatte. Seine Familie war im März 1943 nach Auschwitz deportiert worden. Seine erste Frau und der 13-jährige Manfred wurden vermutlich sofort nach der Ankunft ermordet. Nur Albert Hirsch überlebte und wurde später nach Mauthausen deportiert, wo er im April 1945 befreit wurde.
Kerry Hirsch-Guterson nutzte den Besuch in Dresden, um gemeinsam mit ihrer in Berlin lebenden Cousine Brenda Zobrys den Spuren ihrer Familie zu folgen. Aber auch das Schicksal ihres Halbbruders Manfred beschäftigte sie. »Für mich bleibt er immer der kleine Bruder, da er nie älter als 13 Jahre werden durfte.«
Stolperstein Wie auch andere Besucher nutzte sie ihren Besuch in Dresden, um für ihren Vater, dessen erste Frau und ihren Halbbruder einen Stolperstein verlegen zu lassen. Außerdem führten die Gäste Gespräche in der Jüdischen Gemeinde, besuchten den neuen jüdischen Friedhof, wo einige von ihnen Grabsteine ihrer Familie fanden, und nahmen gemeinsam am Schabbat-Gottesdienst teil.
Mark Steinhart aus Kanada und seine Frau Shirley freuten sich über eine besondere Stadtrundfahrt. Gemeinsam mit Claus Dethleff vom Verein »Stolpersteine für Dresden« fuhren sie zu Wohn- und Geschäftsbauten seiner großen Dresdner Familie, sahen aber auch den Standort des ehemaligen Judenlagers Hellerberg, wo ein Teil seiner Vorfahren bis zur Deportation nach Auschwitz untergebracht war.
Auch Helfried Heilbut aus Bergisch-Gladbach war mit seiner Tochter nach Dresden gekommen. Der heute 87-Jährige stammt aus Freital, das er mit seinen Eltern und beiden Geschwistern bereits 1933 verlassen musste, und zog ins nahe Dresden. Im Juni 1939 kam er mit einem Kindertransport nach England und lebte dort bis 1958. Sein jüdischer Vater Kurt Heilbut wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Er war Redakteur bei der Dresdner Volkszeitung und Schriftsteller, zudem engagierte er sich stark in der SPD. In Freital wurde 1997 eine Straße nach Kurt Heilbut benannt.
»Die Besuche ehemaliger Dresdnerinnen und Dresdner in ihrer früheren Heimatstadt sind eine einmalige Chance sowohl für die Gäste als auch für Dresden, um auf beiden Seiten ein Vertrauensverhältnis zu entwickeln, alte Brücken wiederherzustellen und neue aufzubauen«, betonte Oberbürgermeisterin Helma Orosz zum Abschluss des Besuches. »Wir möchten dazu beitragen, dass die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger die Wurzeln ihrer Familiengeschichte wiederfinden.«