Thüringen

Rok-un-Rol in Weimar

20 Frauen und Männer aus neun Ländern stimmen in Begleitung von Patrick Farrell (Akkordeon) und Michael Winograds (Klarinette) ihr Lied an, als Josh Waletzky als Dirigent ihren Einsatz fordert. Irgendwie kommen einem die Gesichter bekannt vor. Ohnehin wirkt, wieder einmal, der Saal in der Musikschule Ottmar Gerster sehr familiär. Das Konzert ist ausverkauft, die Besucher sind in erwartungsfroher Stimmung.

Die etwa 100 Gäste zwischen sechs und 80 Jahren wurden von diesem Konzert nicht enttäuscht. Sie gingen jedes Gefühl in den Liedern mit, lachten gern, schwiegen laut und summten mit.

Kantorin Die Stimmung, die sich Alan Bern als künstlerischer Leiter des diesjährigen vierwöchigen Festivals »New Yiddish Culture« erträumt hat und für die er das Jahr über viel tut, sie gelingt auch diesmal gleich mit dem ersten Solo-Lied. Sarah Meyerson hat als künftige Kantorin eine unglaublich gute Stimme.

»Eine Kantors-Frau« sorgt für fröhliches Lachen. Tefillin und lackierte Fingernägel? Aber ja doch. Und heiraten darf sie auch. Weil sie ja gar nicht die Frau des Kantors ist, sondern selbst einen Gottesdienst zu leiten vermag. Sarah Meyerson und ihr Publikum lachen gemeinsam über veraltete Traditionen. Es ist ein fröhliches Lachen.

Mit dem Gedicht »A Vort« von Rivka Basman Ben-Hayim wagen gleich vier Künstlerinnen eigene Kompositionen und Interpretationen. Ljuba Claus interpretiert die Zeilen um »Ein Wort ist ein Apfel, eine Pflaume und ein Traum« in Klavierbegleitung sehnsuchtsvoll, Ingrid Petiet singt in Begleitung von Akkordeon und Geige eher leise, und auch Sibyll Plappert und Eleonore stellen ihre Kompositionen für dieses Gedicht vor, das auf so treffende Weise die Wirkungen eines Wortes beschreibt. Alle vier erhalten sie viel Beifall. Und auch die Idee, jedes Lied per Computer vom Jiddischen ins Deutsche auf die Leinwand zu übersetzen, wurde vom Publikum dankbar angenommen.

Neuinterpretationen Regelrecht euphorisch reagiert das Publikum auf Sveta Kundish (Gesang) und Alan Bern (Klavier), als sie ein Gedicht von Rokhl Korn in der Komposition von Leonid Guralnik interpretieren. Guralnik zeigte sich vor dem Weimarer Publikum gerührt und feierte die beiden Interpreten.

Stella Jürgensen ist die Sängerin der Gruppe »Stellas Morgenstern«. Die einstige ARD-Tagesschau-Sprecherin und Andreas Hecht (Gitarre) haben dem Yiddish Summer Weimar zu verdanken, dass sie dem Publikum nun eigene Interpretationen jiddischer Lieder vorstellen können. Und diese Interpretationen wirken sehr gekonnt.

Die Weimarer und ihre Gäste ließen die Mitwirkenden des Abschlusskonzerts zweieinhalb Stunden lang regelrecht hochleben. Genau das hatte das Publikum wohl erwartet: ein vielseitiges Konzert, das die Klaviatur der Gefühle bedient und keinesfalls nur traurig oder nur froh oder nur humorvoll oder nur tragisch sein wollte.

vertrautheit Aber von allem ein bisschen war durchaus dabei. Beispielsweise, als Ulla Krah ihr Lied »Vos far a Vunder« (Was für ein Wunder) vorstellte. Die kleine Panne zu Beginn wirkte, als sei sie vorsätzlich passiert. Auch Cora de Jong sorgte mit ihrer Interpretation von Beyle Schachter-Gottesman »Rok-un-Rol-Musik« in der Begleitung von Shneyveys und Kahn dafür, dass das neue jiddische Lied irgendwie ganz vertraut wirkte.

Der sechstägige Workshop mit Künstlerinnen und Künstlern aus neun Ländern hatte herausragende Dozenten für das neue jiddische Lied. Daniel Kahn, Sveta Kundish, Ilya Shneyveys, Sasha Lurje und Alan Bern boten den Teilnehmern ganz offensichtlich ein solch kreatives Klima, dass die Lieder sich hören lassen können.

Tradition Was das neue jiddische Lied ausmacht, weiß aber selbst Alan Bern nicht so ganz genau. »Es ist eine offene Kategorie und nimmt die verschiedenen Fäden der Tradition wieder auf, die im 20. Jahrhundert zerstört wurden«, fachsimpelt er. Und nicht ideologisch sei es, das jiddische Lied. »Oder ist vielleicht einfach schon das Jiddische eine Ideologie?«, fragt sich Bern, lächelt ein wenig und signalisiert, dass es ihm eigentlich auch egal ist. »Hauptsache, es ist gut«, sagte er.

Der Chor, der zum Abschluss noch einmal auf die Bühne kommt, gibt die Antwort. Und tatsächlich: Die Gesichter der Sänger sind bekannt. Spätestens nach diesen Konzertstunden.

Interview

»Wir reden mehr als früher«

Rabbiner Yechiel Brukner lebt in Köln, seine Frau Sarah ist im Herbst nach Israel gezogen. Ein Gespräch über ihre Fernbeziehung

von Christine Schmitt  13.03.2025

Bundeswehr

»Jede Soldatin oder jeder Soldat kann zu mir kommen«

Nils Ederberg wurde als Militärrabbiner für Norddeutschland in sein Amt eingeführt

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Hamburg

Hauptsache kontrovers?

Mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille wurde die »Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2025 – 5785/5786« eröffnet. Die Preisträger sind in der jüdischen Gemeinschaft umstritten

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Purim

Schrank auf, Kostüm an

Und was tragen Sie zum fröhlichsten Fest im jüdischen Kalender? Wir haben uns in der Community umgehört, was in diesem Jahr im Trend liegt: gekauft, selbst gemacht oder beides?

von Katrin Richter  13.03.2025

Feiertag

»Das Festessen hilft gegen den Kater«

Eine jüdische Ärztin über Alkoholkonsum an Purim und die Frage, wann zu viel wirklich zu viel ist

von Mascha Malburg  13.03.2025

Berlin

Persien als Projekt

Eigens zu Purim hat das Kunstatelier Omanut ein Wandbild für die Synagoge Pestalozzistraße angefertigt

von Christine Schmitt  13.03.2025

Wilmersdorf

Chabad Berlin lädt zu Purim-Feier ein

Freude sei die beste Antwort auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal

 12.03.2025

Purim

An Purim wird »We will dance again« wahr

Das Fest zeigt, dass der jüdische Lebenswille ungebrochen ist – trotz der Massaker vom 7. Oktober

von Ruben Gerczikow  12.03.2025

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  11.03.2025 Aktualisiert