EILMELDUNG! Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Israels Premier Netanjahu

Jubiläum

Retter in der Not

Vor 85 Jahren half die Kinder- und Jugend-Aliyah 12.000 Mädchen und Jungen bei der Flucht nach Palästina

von Roland Kaufhold  30.10.2017 14:23 Uhr

Jehudith Zeiri beim Hühnerfüttern Foto: Gedenk- und Veranstaltungssaal Jawne

Vor 85 Jahren half die Kinder- und Jugend-Aliyah 12.000 Mädchen und Jungen bei der Flucht nach Palästina

von Roland Kaufhold  30.10.2017 14:23 Uhr

Tanya gehörte zu den berühmten 861 »Teheran-Kindern«. 1943 waren sie nach einer jahrelangen Odyssee über Teheran nach Palästina gelangt. Die Jugend-Aliyah rettete sie. Im damaligen Palästina wurden diese weitgehend auf sich selbst gestellten Kinder von Henrietta Szold und ihren Helfern aufgenommen. Szold hatte als Lehrerin gearbeitet und war als jüdische Frauenrechtlerin aufgetreten. 1920 ließ sie sich in Palästina nieder. 1933 wurde sie hier Leiterin der Jugend-Aliyah. Sie kümmerte sich um das Aufwachsen dieser schwer traumatisierten Kinder und Jugendlichen, unter ihnen auch Tanya.

Parallel gründete Recha Freier in Berlin die Kinder- und Jugend-Aliyah. Gemeinsam setzten Szold und Freier in den Zeiten der massivsten Bedrohung für das jüdische Volk mit der Jugend-Aliyah ein beeindruckendes Hilfswerk in die Tat um: Tausende von jüdischen Kindern konnten gerettet werden. 1933 traf die erste Gruppe von sechs Kindern in Eretz Israel ein.

Ausstellung 2003 hatte die Historikerin Susanne Urban in Kooperation mit der Stiftung Neue Synagoge Berlin anlässlich des 70. Jahrestages der Jugend-Aliyah eine Ausstellung über die Rettung dieser jüdischen Kinder organisiert. Es war der erste Schritt einer Erinnerung an dramatische Lebensschicksale, über die zuvor nur wenig Gesichertes bekannt war. 2008 folgte im Münchner Jüdischen Zentrum eine Festveranstaltung. Im kommenden Jahr jährt sich der Jahrestag ihrer Gründung zum 85. Mal. Quasi im Vorgriff hierauf erinnerte Susanne Urban im Kölner Lern- und Gedenkort Jawne an dieses Hilfswerk.

Die Erinnerung an die über acht Jahrzehnte zurückliegende Gründung der Jugend-Aliyah hat immer auch schmerzhafte und vereinzelt als beschämend empfundene Anteile, reagierten Juden doch auf die antisemitische Bedrohung in Nazideutschland verständlicherweise sehr unterschiedlich: Die Mehrzahl der deutschen Juden wie auch ihre Verbände vertrauten auf die Deutschen. Sie verstanden sich als liberale deutsche Juden. Sie verleugneten die existenzielle Bedrohung – und bezahlten ihr Vertrauen in die »deutsch-jüdische Symbiose« mit dem Leben. Andere erkannten die Gefahr und verließen rechtzeitig ihre Heimat. Zu den Ersten, die die Gefahr erkannten und sich über die Bedenken ihrer jüdischen Standesorganisationen hinwegsetzten, gehörte Recha Freier.

Alte Schönhauser Ein Frühlingsabend 1932 veränderte Recha Freiers Leben: Fünf 16-jährige ostjüdische Jungen klingelten an ihrer Haustür in der Alten Schönhauser Straße 10. Ihnen war gekündigt worden, ihre Lebenssituation erschien ihnen als ausweglos. Freier erkannte in dieser Kündigung einen antisemitischen Akt. Sie überlegte, wie sie den Jugendlichen helfen könne: »Eines Nachts hatte ich eine sehr einfache und klare Idee, die Lösung des Problems. Die Jungen sollten nach Palästina gehen, zunächst in die Arbeitersiedlungen. Dort würden sie für ein Leben in Palästina ausgebildet«, erinnerte sich Freier.

Am 30. Januar 1933 rief sie schließlich die Kinder- und Jugend-Aliyah ins Leben. Denn die Situation jüdischer Kinder war verheerend, sie wurden aus den staatlichen Schulen verdrängt, mussten in jüdische Schulen wie die Kölner Jawne ausweichen. Ihr Leben fand nur noch in einem bedrohten Mikrokosmos statt.

Jüdische Verlage brachten jüdische Kinderbücher oder auch ein Handbuch zur Auswanderung heraus. Etwa 40 Jugenddörfer, Hachscharas, entstanden im nationalsozialistischen Deutschland, um die Jugendlichen auf das Leben im fernen Palästina vorzubereiten. Das Erlernen der Sprache, Einführungen in die jüdische Kultur und eine landwirtschaftliche Grundausbildung standen im Mittelpunkt.

Fotos aus dieser Zeit sind im Gedenkort Jawne zu sehen. Etwa die ehemalige Kölnerin Jehudith Zeiri – einst Trude Meyer – beim Füttern der Hühner in Palästina. 1936 war ihr mit Unterstützung der Jugend-Aliyah die Flucht per Zug und Schiff nach Palästina gelungen. Rasch verstand sie sich als Zionistin.

Kibbuz Die erste Gruppe kam im Februar 1934 in Eretz Israel an. Der Kibbuz Ein Harod, in der Nähe von Lod gelegen, erklärte sich bereit, die bedrohten Jugendlichen aufzunehmen, bekam dann aber doch Bedenken. In Eretz Israel hatte man 14 Jahre vor der Staatsgründung viele eigene Probleme. Recha Freier lernte in dieser Notsituation den aus Berlin gebürtigen Kinderarzt Siegfried Lehmann, Leiter des Kinderdorfes Ben Shemen, kennen. Lehmann ließ sich auf die Idee ein, stellte aber die Bedingung, dass die Finanzierung der Jugendlichen während ihrer Ausbildung im Jugenddorf abgesichert sein müsse.

Im nationalsozialistischen Berlin wurde die Lebenssituation für Recha Freier immer schwieriger. 1938 wurde sie wegen »Eigenmächtigkeit« aus dem Vorstand der jüdischen Jugendhilfe ausgeschlossen. Dennoch gelang es ihr, etwa 12.000 Kinder nach Palästina zu bringen.

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024

Volkstrauertag

Verantwortung für die Menschlichkeit

Die Gemeinde gedachte in München der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs

von Vivian Rosen  20.11.2024

München

»Lebt euer Leben. Feiert es!«

Michel Friedman sprach in der IKG über sein neues Buch – und den unbeugsamen Willen, den Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023 zu trotzen

von Luis Gruhler  20.11.2024

Aus einem Dutzend Ländern kamen über 100 Teilnehmer zum Shabbaton nach Frankfurt.

Frankfurt

Ein Jahr wie kein anderes

Was beschäftigt junge Jüdinnen und Juden in Europa 13 Monate nach dem 7. Oktober? Beim internationalen Schabbaton sprachen sie darüber. Wir waren mit dabei

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Porträt

»Da gibt es kein ›Ja, aber‹«

Der Urgroßvater von Clara von Nathusius wurde hingerichtet, weil er am Attentat gegen Hitler beteiligt war. 80 Jahre später hat nun seine Urenkelin einen Preis für Zivilcourage und gegen Judenhass erhalten. Eine Begegnung

von Nina Schmedding  19.11.2024

ZWST-Tagung

Das Fremdsein überwinden

Experten tauschten sich über Strategien zur besseren Integration von Minderheiten aus

von Johanna Weiß  19.11.2024