Eine Handvoll Männer sitzt in einem Café. Die einen tragen Kippa, die anderen sind Imame. Sie sind miteinander im Gespräch. Vier Jahrzehnte zuvor haben in der Gegend evangelische und katholische Christen und Menschen jüdischen Glaubens einander die Hand gereicht – und diesen Brückenschlag manifestiert: Sie gründeten die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Wetterau und damit eine von heute mehr als 80 derartigen Vor-Ort-Initiativen, die unter dem Dach des Deutschen Koordinierungsrats mit jeweils eigener Prägung arbeiten.
Wie ein roter Faden zieht sich dabei das Motiv des Dialogs durch die gewachsene Struktur. Unermüdlich suchen die Verantwortlichen nach Wegen einer Verständigung, die auf gegenseitige Akzeptanz und Toleranz zielt, auf Respekt und Mitmenschlichkeit.
Der Koordinierungsrat hat seinen Sitz im hessischen Bad Nauheim. Er entstand »in einer Zeit der Sprachlosigkeit«, zitierte der evangelische Präsident, Pfarrer i.R. Friedhelm Pieper, seinen jüdischen Amtsvorgänger Henry G. Brandt im Pressegespräch. Den Anstoß zur Gründung sowohl einzelner Gesellschaften (wie 1948/49 in München, Wiesbaden, Frankfurt, Stuttgart und Berlin) als auch (im September 1949) des Dachverbands gaben Angehörige der amerikanischen Besatzungsmacht.
Sie verstanden diese Form eines dialogischen Miteinanders als Instrument zur politischen Bildung.
Sie verstanden diese Form eines dialogischen Miteinanders als Instrument zur politischen Bildung. Die Erziehungsabteilung der US-Militärregierung habe damals ihren Sitz in Bad Nauheim gehabt, so Pieper zur historischen Entwicklung des Koordinierungsrats. Der Verband schickte sich an, in der jungen deutschen Demokratie eine öffentlich wahrnehmbare Stimme zu sein – seit 1968 auch mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille.
Nach dem Grauen der Schoa galt es, in den frühen Jahren der Bundesrepublik Wege zu finden, auf denen trotz allem ein versöhnliches und versöhntes Miteinander möglich werden konnte. Heute ist die besondere Herausforderung, Position zu beziehen angesichts eines sich immer aggressiver äußernden Antisemitismus. Der Kampf gegen diesen Hass sei auch »ein Kampf für unsere Demokratie«, sagt Britta Weber. Sie ist Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Wetterau, die ihr 40-Jähriges im Verbund mit dem 75-jährigen Jubiläum des Deutschen Koordinierungsrats feiert.
Den Dialog zu suchen, das sei »der einzige Weg«, der »Fratze des Antisemitismus« zu begegnen, so Manfred de Vries. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim wird deshalb nicht müde, wieder und wieder mit Schülerinnen und Schülern zu reden – im Rahmen des Programms »Meet a Jew«, aber auch gemeinsam mit Verantwortungsträgern der muslimischen Community. Vorurteile könnten sich nur auflösen, wenn man miteinander rede, unterstreicht de Vries. Er steht einer kleinen, aber sehr lebendigen jüdischen Gemeinde vor, die sichtbar ist nicht zuletzt dank der Ausstellung Jüdisches Leben in der Wetterau im Wetterau-Museum in Friedberg.
In einer mobilen Version tourt diese Schau regelmäßig durch die Region. »Wir zeigen Menschen«, betont Museumsleiter Johannes Kögler. Und so ist auf einem der Roll-ups auch Viatcheslav Ifraimov zu sehen, aus Russland stammendes Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde. Er saß bei jener Handvoll Männer am Tisch. Im Café. Mitten in Deutschland. Mit Kippa!