Trotz überfüllten Zuges, trotz des Streiks bei der Düsseldorfer U-Bahn – Jonathan Grünfeld ist nach drei Tagen Konferenz am Dienstag mit einem guten Gefühl von Heidelberg an den heimischen Niederrhein zurückgefahren.
»Ich finde, das waren sehr spannende, gewinnbringende Tage«, sagt der Fachleiter für jüdische Religion und Hebräisch am Düsseldorfer Albert-Einstein-Gymnasium. »Inhaltlich konnte ich vieles mitnehmen. Und ich persönlich habe mich auch sehr darüber gefreut, viele Kollegen wiederzutreffen, mit denen ich damals in Heidelberg studiert habe.«
fortbildung Zusammen mit Jonathan Grünfeld trafen sich vom 26. bis zum 28. Februar am Neckar rund 80 weitere Religions- und Hebräischlehrkräfte aller Schulformen, um über neue Wege der Religionsvermittlung zu sprechen. Ein weites Feld, zumal es sich die Veranstalter – die Fortbildung ist eine Kooperationsveranstaltung vom Zentralrat der Juden in Deutschland, von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST) und der Hochschule für Jüdische Studien – zur Aufgabe gemacht hatten, dabei sowohl die didaktischen als auch die inhaltlichen Fragen zu diskutieren und eine möglichst ausgewogene Mischung aus Input- und Workshop-Phasen zu ermöglichen.
So erläuterte Vladislav Slepoy von der Universität Halle-Wittenberg an einem Fallbeispiel, wie das 2015 vom Zentralrat der Juden und dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) herausgegebene Buch Lehre mich, Ewiger, deinen Weg – Ethik im Judentum als in sich schlüssige Unterrichtseinheit Eingang in den Religionsunterricht finden könnte.
Dass PISA als Menetekel der deutschen Bildungspolitik gilt, ist allgemein bekannt, als Analyse aber zu oberflächlich.
Über die didaktische Umsetzung diskutierte er anschließend mit den Teilnehmern. Wie die Entwicklung eines Iwrit-Curriculums gelingen könne, war anschließend Thema der von Rina Otterbach vom Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssohn in Berlin geleiteten Abendveranstaltung. Am zweiten Tagungstag, dem Montag, leitete Rainer Goltz vom Zentrum für Schulpraktische Lehrerausbildung in Leverkusen einen doppelten Slot zum Thema Religionspädagogik.
Lehrmaterialien Bevor in einem zweiten Teil die zahlreichen, von den Teilnehmern mitgebrachten Lehrmaterialien – von Büchern über interaktive Formate – auf ihre Alltagstauglichkeit hin geprüft wurden, erläuterte Goltz das auch in der Religionspädagogik derzeit vorherrschende Paradigma der »Kompetenzorientierung«: eine Wissensvermittlung, die die Schüler befähigen soll, ihre im Unterricht erworbenen Kenntnisse selbstständig zu erweitern und anzuwenden. Dieser Ansatz setzte sich als Konsequenz der PISA-Studien durch.
Dass PISA als Menetekel der deutschen Bildungspolitik gilt, ist allgemein bekannt, als Analyse aber zu oberflächlich. Vielmehr, so Goltz, seien den deutschen Schülern vor allem Defizite dabei attestiert worden, durchaus vorhandenes Wissen auch auf die richtigen Situationen anwenden zu können. Goltz, der selbst in Pulheim bei Köln als Religionslehrer arbeitet, ist kein Gegner dieses Ansatzes.
Beim Gespräch über die vom Bischof von Canterbury gewagte (Steil-)These, Gott habe »in Greta Thunberg eine Prophetin erweckt«, seien die Schüler differenzierter gewesen als der Geistliche. Kassandra-Rufe hin oder her – eine »Prophetin«, so die Mehrheitsmeinung, könne man ohne transzendentalen Bezug schlechterdings nicht sein.
Frage Goltz treibt indes eine andere, viel grundsätzlichere Frage um, wenn er über den Schulunterricht in seiner gegenwärtigen Form nachdenkt. Die kritische Wissensvermittlung als Schwerpunkt berge zwei Gefahren, so Goltz: eine »Versachkundlichung« und eine »Ethisierung« von Religion, die so in einen funktionalen Zusammenhang gerate, der ihr nicht gerecht werde. »Ist das nicht eine Funktionalisierung von Religion?«, fragt er in die Runde.
»Wir betreiben plötzlich Religionskunde. Doch Religion ist ihrem Wesen nach mehr als ein Wissens-Kanon, den man in einem Schaubild darstellen kann. Sie ist auch mehr als etwas, was meine Moral steuert, etwas, was herangezogen wird, um Probleme zu lösen.« Religion sei eben auch »ein Ergriffensein von Metaphysik, ein Erleben von Über-Welt. Aber wir reden über Religion, nicht aus ihr heraus. Erleben lassen wir Religion nicht«.
Bei der Implementierung des Religionsunterrichts sei man davon ausgegangen, dass das religiöse Erleben ja in den Gemeinden stattfinde und es den Schulen obliege, Lehre und kritischen Intellekt zu formen. »Aber wenn das Leben nicht mehr in der Gemeinde stattfindet, dann trifft Lehre auf einen luftleeren Raum.«
indoktrination An dieser Stelle nicken viele im Auditorium. Offenbar empfinden viele Lehrerinnen und Lehrer es im Alltag auch als schwierig, Religion unter den Rahmenbedingungen einer stark säkularisierten Gesellschaft zu unterrichten. Doch man sieht auch fragende Blicke. Schließlich gibt es den staatlichen Lehrauftrag und das »Überwältigungsverbot«, das jeglicher weltanschaulicher Indoktrination einen Riegel vorschieben soll.
Einige Pädagogen brachten Lehrmaterialien mit.
Goltz begegnet den Bedenken mit feiner Ironie. Was er sage, sei natürlich eine komplette Überforderung: »Denn wie soll ich in 45 Minuten zwischen Mathe und Englisch religiöses Leben vermitteln? Sobald ich über Metaphysisches rede, über Religion, Literatur, Liebe, verliere ich es auch ein wenig.« Performative Elemente, gemeinsame religiöse Rituale, funktionierten nicht im Unterricht, sagt er. Was aber durchaus möglich sei: hin und wieder im Unterricht über das eigene religiöse Erleben, die eigene Frömmigkeit zu sprechen. »Und die Neurowissenschaftler sagen: Das bewirkt etwas.«
Jonathan Grünfeld kann Goltzʼ Ausführungen nur zustimmen, wenn er an seinen Schulalltag in Düsseldorf denkt: Fast allen Schülern seien die kulturellen und ethnischen Bezüge zum Judentum und zu Israel wichtig. »Aber weder die jüdischen noch die nichtjüdischen leben in ihrer übergroßen Mehrheit mit regelmäßigen religiösen Riten. Oft müsste der emotionale Bezug da erst noch geschaffen werden.«
Synagoge Am Albert Einstein Gymnasium in Düsseldorf sei daher geplant, eine temporäre Schulsynagoge zu eröffnen, in der sich Lehrer, Schüler und deren Familien treffen können. Eine Umwidmung des Religionsunterrichtes hielte aber auch Grünfeld weder für wünschenswert noch für praktikabel: »Wir wollen, wie Goltz gesagt hat, nicht missionieren.
In welche Richtung sollte das denn auch geschehen? Es gibt ja auch unter den Lehrkräften eher orthodoxe Meinungen. Und solche, die das Judentum liberal oder als philosophisches Gebäude verstehen.«
Shila Erlbaum vom Zentralrat der Juden zieht nach drei Tagen eine positive Bilanz. »Wir hatten viel mehr Teilnehmende als je zuvor. Die Stimmung war gut und das Feedback sehr positiv.« Für die Lehrkräfte sei es wichtig, nach den vergangenen Jahren »wieder in einer großen Gruppe zusammenkommen zu können, inspiriert zu werden, sich auszutauschen, sich zu vernetzen und ihre Akkus aufzuladen.« Bis zum kommenden Jahr.