Besonders allein nach Deutschland kommende Flüchtlingskinder sollten nach Ansicht der Schoa-Überlebenden Ursula Beyrodt mit Herzlichkeit und Zuwendung aufgenommen werden. Die Flucht sei für sie eine beängstigende Reise in ein unbekanntes Leben, sagte die 83-Jährige in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur epd.
Beyrodt war eines von rund 10.000 jüdischen Kindern, die während der NS-Zeit Deutschland ohne ihre Eltern verlassen mussten. Sie fand in Großbritannien Schutz. »In schwierigen Zeiten sind es oft die kleinen Gesten, die Menschen viel bedeuten«, betonte sie.
Kindertransporte Beyrodt war 1939 als Sechsjährige mit einer älteren Schwester von ihren Eltern aus Deutschland ins englische Blackpool geschickt worden und wuchs in einem Kinderheim auf. Ihr Vater hatte in der NS-Zeit seine Stelle als Richter verloren. Später war er nach Theresienstadt deportiert und von dort befreit worden. Erst 1947 fand die Familie in Hannover wieder zusammen.
»Von den anderen Kindern in unserem Heim hat keines seine Eltern je wiedergesehen«, erinnert sich Ursula Beyrodt am Rande einer Ausstellung der Stadt Hannover, die am Mittwoch eröffnet wurde. Mitarbeiter der »Städtischen Erinnerungskultur« haben erstmals die Lebensgeschichten von 19 jüdischen Kindern aus Hannover erforscht, die 1938 und 1939 mit sogenannten Kindertransporten nach England ausreisten.
Beyrodt sagte, aufgrund ihrer Lebensgeschichte habe sie großen Respekt vor Eltern, die zurückbleiben müssen und ihre Kinder auf eine Reise ins Ungewisse schicken. In der Rückschau bewundere sie ihre eigenen Eltern »für diesen verzweifelten Schritt«. Zwar lasse sich der Zweite Weltkrieg nicht mit der heutigen Zeit vergleichen, dennoch sei der Grund, warum Kinder und Jugendliche ihre Heimat verlassen müssen, immer noch der gleiche: »Es ging damals wie heute einfach nur ums Überleben.«
Fremde Die Zeit in der Fremde habe sie oft sehr belastet, sagte die Zeitzeugin. »Es war Krieg, wir waren ›die Heimkinder‹ und wir waren Deutsche in England – das war nicht schön.« Vor diesem Hintergrund hätten zwischenmenschliche Gesten für sie einen unermesslichen Wert bekommen. Einmal habe ein britisches Mädchen sie bei Fliegeralarm in den Schutzkeller ihrer Familie mitgenommen, und Beyrodt durfte den ganzen Tag bei der Familie verbringen. »Es war wie das Paradies.«
Nach dem Krieg habe sie sich in Deutschland erneut in einer völlig fremden Umgebung einleben müssen. »Ich musste damals erst wieder Deutsch lernen, das war komplett weg.« Mit Hilfe ihrer Mitschülerinnen und auch aufgrund ihrer eigenen Disziplin habe sie schließlich Abitur gemacht. »In unserer Klasse saßen Jüdinnen neben früheren BDM-Mädchen.« Heute säßen syrische Flüchtlingskinder neben Deutschen: »Ich weiß, dass es gelingen kann. Kinder wachsen schnell zusammen.«
Die Ausstellung »Fremde Heimat – Rettende Kindertransporte aus Hannover 1938/39« wird am Mittwoch, 28. Oktober, im Neuen Rathaus Hannover eröffnet. Sie ist bis zum 18. November zu sehen. Öffnungszeiten täglich 9 bis 18 Uhr.