Porträt der Woche

Rein pflanzlich

»Ich arbeite jeden Tag in der Küche, um neue Rezepte auszuprobieren«: Adi Shapira (43) Foto: Christian Rudnik

Früh am Morgen baut sich meine kleine Tochter Joya von sieben Jahren in der Küche vor mir auf und sagt: »Ima, ich habe sooooo Hunger.« Dann macht sie sich eine Riesenschüssel voller Früchte. Sie legt daraus Muster, Gesichter, Smileys, und dann isst sie 20 Minuten lang nichts als Früchte. Was nicht mehr in ihren Bauch passt, füllt sie in eine Box, die nimmt sie dann mit in die Schule.

Mein Sohn Illy, er ist zwölf, hat seine Cornflakes vor sich stehen, manchmal auch frisch gebackene Cookies oder gut angerührte Tchina. Wenn die Kinder so gegen sieben frühstücken, bin ich schon zwei Stunden am Tun. Ich brauche nicht viel Schlaf. Fünf Stunden reichen mir. Ich stehe auf, trinke meinen speziellen Lemonsaft mit Ginger Ale und ein paar Tropfen Olivenöl, später dann eine Tasse Kaffee, ohne Milch und Zucker, dafür mit speziellen Gewürzen, und es kann losgehen.

fleisch Das Thema »gesundes Essen« lässt mich jeden Tag aufs Neue kreativ werden. Ich selbst lebe vegan, führe so auch meinen Haushalt, aber draußen darf jeder von uns essen, worauf er Lust hat. Mein Mann und Illy mögen gern Fleisch, und auch ein Stückchen Käse schmeckt ihnen ab und zu. Joya ist total vegan. Sie hat das so für sich entschieden. »Ich möchte keine Tiere essen«, sagt sie.

Bei mir hat das auch ungefähr in diesem Alter angefangen und hielt, bis ich mit 18 zur Armee musste. Aber dann, vor sechs Jahren, da wachte ich eines Morgens auf und habe mich irgendwie unwohl gefühlt in meiner Haut. In diesem Moment beschloss ich, 100 Prozent vegan zu leben. Seitdem fühle ich mich gut – und bin kaum noch krank. In Deutschland wird veganes Kochen so langsam populär. In Israel ist es das schon länger. Eine richtige Bewegung ist daraus geworden, was ich natürlich mit großem Interesse beobachte.

Ich bin Israelin. Seit gut zwei Jahren lebe ich mit meiner Familie in Deutschland, in München. Geboren wurde ich 1971 in Moshava Kinneret, und schon als Kind habe ich gern zugeschaut, wenn sich mein Vater ans Kochen gemacht hat. Er hat wunderbar gekocht. Mit Leidenschaft. Mein Vater ist in Belgien zur Welt gekommen. Als Kind hat man ihn auf ein Schiff gesetzt und nach Israel geschickt. Seine Familie hat er in der Schoa verloren. Auch daran denke ich, wenn ich in Deutschland lebe.

In Israel, als kleines Mädchen, hat es nicht lange gedauert, und ich stand – so mit neun, zehn Jahren – allein am Herd. Mit Leidenschaft. Die ist wohl von meinem Vater auf mich übergegangen.

Mein Mann ist ebenfalls Israeli. Er ging zum Studieren nach Deutschland, und ich kam für ein Jahr mit, bis ich schwanger wurde und zu meiner Familie zurück wollte.

Unsere heutige Situation ist eine ganz andere. Wir haben die Veränderung gesucht. Wir wollten etwas Neues ausprobieren, den Kindern die Welt zeigen. Am Anfang war das alles nicht so leicht. Speziell Illy tat sich schwer, seine Freunde zu verlassen und mit einer neuen Sprache zu beginnen. Aber inzwischen sieht es anders aus: Jetzt will Illy gar nicht mehr nach Israel zurück.

Europa Meine Kinder besuchen die normale Schule. Man kann dort zwischen Religion und Ethik wählen, und das reicht uns. Boaz, mein Mann, ist in München ganz und gar heimisch geworden. Er spricht sehr gut Deutsch, arbeitet in einer israelisch-amerikanisch-deutschen Firma mit Robotern und so. Für ihn ist es super, in der Mitte Europas zu sein. Und inzwischen kann ich sagen, dass ich ebenfalls hier angekommen bin, auch wenn ich meine Familie vermisse und mir die politische Lage in Israel Sorgen macht.

Zuerst einmal musste ich einen Sprachkurs besuchen, um Deutsch zu lernen. Da sitzt man dann mit Menschen von überall her zusammen und lernt. Das klappte ohne Probleme – bis auf einmal: Im letzten Kurs wollte eine Teilnehmerin aus Syrien plötzlich nicht mehr mit mir sprechen, nachdem sie gehört hatte, dass ich aus Israel komme. Das war unangenehm.

Doula Ich bin gelernte Krankenschwester und Heilpraktikerin, habe in Israel als Doula viele gebärende Frauen begleitet, mich immer mit der Gesundheit der Menschen beschäftigt, und jetzt versuche ich, Interessierten die vegane Küche näherzubringen.

Ich koche und backe für meine Kundschaft. Zweimal in der Woche kann man mich anrufen und Bestellungen aufgeben: für die Party, den Geburtstag, fürs Wochenende. Ich mache Kuchen, Torten, Pralinen, Muffins – alles. Man schickt mir eine Liste, und ich lege los. Ich stehe mit den Leuten über Facebook in Kontakt. Das funktioniert. Zudem bin ich im Moment damit beschäftigt, meine Rezepte ins Deutsche und Englische zu übersetzen.

Jeden Tag arbeite ich in der Küche, um neue Rezepte auszuprobieren. Viermal im Monat biete ich Workshops an, einer dauert zwischen drei und vier Stunden, mit dabei sind bis zu sechs Teilnehmer. Das ist genug. Die Leute – Deutsche, Italiener, Israelis ... – sollen sich kennenlernen, miteinander reden. Wir kochen zusammen, und wir essen zusammen. Danach versuche ich, mit allen in Verbindung zu bleiben. Freitags schicke ich E-Mails raus mit neuen Rezepten und Bildern.

Wenn man die Basics für veganes Kochen kennt, kriegt man alles hin. Im ersten der vier Kurse geht es um Brotbeläge. Wir machen da zum Beispiel veganen Käse. Im nächsten sind Kuchen und Süßigkeiten dran: Wie kriegt man einen Schokoladenkuchen hin ohne Zucker, Butter und Eier? Im dritten lernt man einfach, wie man Mahlzeiten zubereitet, und im letzten geht es ums Kochen für besondere Gelegenheiten.

Vegan zu leben, ist weder teuer noch zeitaufwendig. Die Kinder müssen auf nichts verzichten, sie freuen sich auf die Gerichte, die ich für sie zubereite. Besonders gern mögen sie Pasta Bolognese oder Chili sin Carne, und Joya liebt meine verschiedenen Dips aus Nüssen, Petersilie, Zitrone, Olivenöl, Salz und Pfeffer.

Am Freitagabend bereite ich für die Familie unser spezielles Friday Dinner. Es ist wichtig für uns, zusammenzusitzen, so wie wir das auch schon in Israel getan haben. Übrigens ist es überhaupt kein Problem, eine vegane Challa hinzukriegen. Ich denke, dass veganes Kochen koscher ist. Für uns ist das aber nicht wichtig. Wir sind in Deutschland und feiern alles, was es zu feiern gibt. Unsere Kinder sollen das Leben hier kennenlernen. An jüdischen Feiertagen machen wir etwas mit anderen israelischen Familien zusammen.

Übrigens schreibe ich gerade an einem E-Book über veganes Kochen zu den jüdischen Feiertagen. Und im Moment denke ich darüber nach, ob ich so etwas wie eine Sonntagsschule für Kinder aus Israel organisieren sollte, damit sie die Möglichkeit haben, miteinander Hebräisch zu sprechen. Ich möchte nicht, dass Joya und Illy diese Sprache vergessen.

Sport Sich gesund zu ernähren, ist das eine, gesund zu leben, das andere. Ich treibe regelmäßig Sport: Ich laufe im Park, mache Yoga, Pilates und gehe fünfmal in der Woche ins Fitness-Studio. Das ist für mich sehr wichtig. Aber auch Kultur gehört zu meinem Leben. Mein Mann und ich gehen gern in Konzerte. In unserem Freundeskreis gibt es viele Musiker. Kürzlich waren wir in einem Konzert des Multi-Perkussionisten Martin Grubinger. Er wurde vom Münchner Rundfunkorchester unter Leitung von Ariel Zuckermann begleitet. Ariel ist ein guter Freund von meinem Mann, und die beiden haben sich hier mal wieder getroffen. Das Konzert ging drei Stunden – und es war einfach toll!

Aufgezeichnet von Katrin Diehl

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