Auf dem Berliner Olympiagelände ist die monumentale Ästhetik der nationalsozialistischen Ideologie wie an kaum einem anderen Ort in Stein gemeißelt. Der Antisemitismus, der ihrer Architektur inhärent ist, verbirgt sich hingegen unter der Oberfläche. Das Gelände ist allerdings nicht einfach Relikt einer vergangenen Zeit, nicht Erinnerungsort, an dem über die Verbrechen der Deutschen aufgeklärt wird, sondern Austragungsort sportlicher Events und Markenzeichen der Hauptstadt bis heute.
Am vergangenen Dienstag beschloss der Senat die »außergewöhnliche stadtpolitische Bedeutung« für die Olympiaparkflächen. Mit der weiteren Nutzung des Geländes geht somit eine besondere Verantwortung einher. Zuletzt zeigte sich das in der Diskussion um die mögliche Bewerbung Berlins als Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 2036. Wo vor knapp 100 Jahren der mörderische Antisemitismus der Deutschen vertuscht werden sollte, will der Berliner Senat beweisen, dass die Hauptstadt nichts mehr mit dem Berlin von 1936 zu tun hat.
Der NS-Staat nutzte die Olympischen Spiele systematisch dazu, sich im Ausland positiv darzustellen. Zeitgleich, während die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Spiele gerichtet war, errichteten Zwangsarbeiter das KZ Oranienburg. Damit wurde noch während der Spiele einer der vielen Grundsteine gelegt, die später im Holocaust kulminierten. Jüdische Sportler wurden zudem aus den Spielen ausgeschlossen.
Der NS-Staat nutzte die Olympischen Spiele systematisch dazu, sich im Ausland positiv darzustellen.
»Wenn wir es schaffen, an diesem Ort das zu vermitteln, was mit dem Sichtbaren, dem Monumentalen und dem spektakulär Inszenierten unsichtbar und zum Verschwinden gebracht wurde«, gelinge es, so Veronika Springmann vom Berliner Sportmuseum, »diese Inszenierung kritisch zu reflektieren«. Für sie liegt das Problem in der Kuration des Geländes.
Denn der Kern der NS-Ideologie ist die antisemitische Vernichtung. Und »die Kehrseite dessen ist die Schaffung einer Fantasie einer homogenen Volksgemeinschaft«, so der Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin, Samuel Salzborn. Das eine funktioniere nicht ohne das andere. Die NS-Körperpolitik und damit die Strategie der Rassifizierung lassen sich noch heute eindrücklich in der Architektur des Olympiageländes erleben.
Auch Salzborn sieht ein Problem in der fehlenden kritischen Auseinandersetzung mit der Gestaltung des Geländes. Das Gelände sei ein realer Ort der antisemitischen Ausgrenzung, so Jérôme Buske, Sportreferent von Makkabi Deutschland. Der jüdische Sportverein hat seinen Sitz heute dort. Den Einzug des einzigen jüdischen Sportvereins ins Olympiastadion wertet er als Zeichen des Sieges. »Makkabi ist kein Gast mehr im Stadion. Wir sind darin zu Hause.«
Der Sammelband Monumentaler Antisemitismus? Das Berliner Olympiagelände in der Diskussion, herausgegeben von Samuel Salzborn, soll die verschiedenen Kritikpunkte am Olympiagelände zusammenbringen. Springmann und Buske sind sich darin einig, dass erst die Architektur des Geländes analysiert werden muss. Erst dann könnte eine Brechung des Ortes auf allen Ebenen stattfinden, um die Wirkmechanismen punktuell zu destabilisieren. Die Durchführung jüdischer Sportevents wie den European Makkabi Games 2015 brechen bereits mit der ursprünglichen Bedeutung dieses geschichtsträchtigen Ortes.
Samuel Salzborn (Hrsg.): »Monumentaler Antisemitismus? Das Berliner Olympiagelände in der Diskussion«. Nomos, Baden-Baden 2024, 245 S., 59 €