Am Rand des einstigen Klinikgeländes in Berlin-Buch, im ehemaligen Pförtnerhäuschen, ist inzwischen das vielleicht kleinste Gasthaus der Stadt entstanden: ein Raum mit Tresen und einem Tisch für maximal zehn Gäste. Dorthin hatten drei Herren geladen, um Berlins erstes zertifiziertes koscheres Bier zu präsentieren und auch ein paar Nebenprodukte, die beinahe zufällig entstanden sind. Bieressig etwa, zwei Schnäpse und sogar ein Brot aus Hopfen und Hefe. Interessant ist die Geschichte hinter diesen koscheren Produkten.
Als junger Mann in der DDR hatte Elmar Werner mal eine Kochlehre absolviert und später evangelische Theologie studiert. Nach der Wende war er Jugendpfarrer am Wedding in Berlins Norden, und als solcher organisierte er für die jungen Gemeindemitglieder und deren Freunde regelmäßig Reisen nach Israel. Dies war für den Geistlichen damals der Beginn einer Freundschaft zum jüdischen Staat. Im Sommer 1993 lud er dessen Fußballmeister Beitar Jerusalem zu einem Trainingslager ein und organisierte diverse Freundschaftsspiele.
israel Ein Brückenbauer ist Elmar Werner schon damals gewesen, als er schließlich den Talar des Pastors an den Nagel hängte, um als Unternehmer Wirtschafts- und Studienreisen nach Israel zu organisieren und von dort Produkte für den hiesigen Markt zu importieren. Viele israelische Produkte in hiesigen Ladenregalen sind dem emsigen Herrn mit dem Berliner Zungenschlag zu verdanken.
In diesem Jahr feiert sein Unternehmen das 25. Firmenjubiläum. Und da er in seinem Lehrberuf auch eine Qualifikation als koscherer Koch erworben hatte, wurde von ihm vor Jahren eine thüringische Rostbratwurst aus Kalbfleisch kreiert, die mit einem rabbinischen Zertifikat geadelt worden war.
Nun also Bier. Animiert hatte er hierzu Jörg Adler, dessen Lebensgeschichte mindestens ebenso außergewöhnlich ist wie seine eigene. Der aus dem thüringischen Greiz stammende Adler ist alles andere als ein gelernter Braumeister. Zuletzt hatte er eine international agierende Personalagentur für Köche betrieben, die bei Olympia in Sotschi zum Einsatz kamen, bei der europaweit ausgetragenen Tourenwagen-Meisterschaft und anderswo – bis seine zehnjährige Tochter sich tränenreich darüber beschwerte, ihren Papa kaum noch zu Gesicht zu bekommen. Das führte bei dem Unternehmer zum Umdenken, und er sattelte um. Fast autodidaktisch, nur durch einen eintägigen Braukurs und ein paar Praktika, erlernte er die Bierherstellung.
Pale ale Inzwischen bringt er unter der Markenbezeichnung Q-Bier vom klassischen Pils bis zu einem Pale Ale aus acht verschiedenen Hopfensorten jährlich 300 Hektoliter Premiumbiere in ausgewählte Berliner Kneipen und Supermärkte.
Schon vor zwei Jahren hatte sich Adler für eine Wirtschaftsreise nach Israel angemeldet, die Elmar Werner für den Bezirk Pankow organisieren sollte. Dann aber machte Corona die Pläne mehrfach zunichte, die Verbindung zwischen den beiden Unternehmern aber ist geblieben.
In der Zeit des Lockdowns blieb Jörg Adler auf 200 Hektolitern seines Bieres sitzen.
In der Zeit des Lockdowns blieb Adler auf 200 Hektolitern seines Bieres sitzen. Wegen der begrenzten Haltbarkeit blieb ihm nur die Wahl, das Gebräu wegzukippen oder sich eine andere Verwendung auszudenken. Im östlichen Brandenburg fand er einen Schnapsbrenner, der bereit war, etwas Neues auszuprobieren. So entstanden aus dem Red Lager der Q-Brauerei zwei klare Schnäpse und ein fruchtig-schmeckender Bieressig. Und da war das Brot, das in einer Pankower Bäckerei entstand, ein weiteres Folgeprodukt aus dem auf Lager liegenden Hopfen. Kreativität, die in der Krise entstand.
schänke Die Idee mit dem koscheren Bier entstand zwischen den beiden Unternehmern in jener kleinen Schänke, in der einst der Klinik-Pförtner residierte. Man wandte sich an Rabbiner Walter Rothschild, den Elmar Weber aus anderen Zusammenhängen kannte. Man wolle, so erzählt Jörg Adler, mit dem Koscher-Siegel ein politisches Zeichen gegen zunehmend aktiver werdende antisemitische Kräfte am rechten Rand unserer Gesellschaft setzen. Die Zertifizierung solle auf ein aktives jüdisches Leben in unserem Land verweisen.
Dabei sei, wie den beiden von Rabbiner Rothschild erklärt wurde, ein jedes Bier koscher, das streng nach dem Reinheitsgebot von 1516 gebraut werde. Die Herstellung eines solchen erfülle nämlich die Ansprüche der jüdischen Gesetze und sei daher zum Verzehr zugelassen.
Nun werden aber vielen der industriellen Biere Zusätze wie Farbstoffe zugefügt, oder es wird importierter Flüssighopfen verwendet, dessen Herstellung nicht überprüft werden kann. Auch Brau-Beschleuniger, die dazu führen, dass ein Bier, welches – wie das von Jörg Adler – in der Herstellung bis zu sechs Wochen braucht, schon nach sechs Tagen ausgeliefert werden kann.
weintrinker Rabbi Rothschild ist Weintrinker, er hat zuletzt vor Jahrzehnten als Student in England regelmäßig Bier getrunken, als er einen Job in einem Pub hatte. Damals waren Pale Ale und Mild Beer seine Favoriten. Dennoch weiß er, wie man den Koscher-Status von Bieren ermittelt. Zunächst einmal hat er sich für das Q-Bier die Liste der Zutaten und der Lieferanten angesehen. Er besuchte die Brauerei, in die sich Jörg Adler regelmäßig einmietet, hat fotografisch dokumentiert, wie die Anlage gereinigt wurde, und den gesamten Brauprozess beobachtet.
»Wenn man einen Salat essen will«, beschreibt er das Ziel seiner Arbeit, »braucht man keine Zertifikation, dass er vegetarisch ist. Bei Bier brauchen es einige aber doch, Behörden etwa, beim Import in die USA zum Beispiel, wo es eine große jüdische Community gibt.« Der Koscher-Stempel wurde erteilt, aber an Pessach bleibt das Bier dennoch verboten, denn ohne Gärung entsteht nun mal kein Bier. Wie aber würde die Bracha lauten, wenn zum Kiddusch statt Wein nun Bier ausgeschenkt wird?
Rabbi Rothschild überlegt und kommt zu dem Schluss, die allgemeine Bracha für Speisen »… schekol nijeh bidwaro« zu sprechen. Adler wird im Frühjahr endlich nach Israel reisen. Wer weiß, ob seine Produkte irgendwann auch dort in den Regalen zu finden sein werden. Werner hält das durchaus für möglich.