Sagen Namen etwas über jemanden aus? Vielleicht. Auf jeden Fall zeigen sie Hoffnungen von Eltern für ihr Kind. Meine Eltern haben mir zwei biblische Vornamen gegeben. Eine gute Wahl, finde ich. Denn beide Namen passen zu mir. Bat-El heißt »Tochter Gottes«, Shani »roter Faden«.
Für mich symbolisieren sie zwei Teile des Ganzen: Spiritualität und Wissenschaft. Wissenschaftler sollten im Grunde spirituell sein, und viele sind es auch. Denn die meisten Teilchen, mit denen wir uns beschäftigen, sind so winzig, dass wir sie nicht einmal unter dem Mikroskop sehen können. Also bleibt uns nur eines übrig: sie uns vorzustellen.
umdenken In meinem Beruf arbeiten viele Frauen – zumindest am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm bei Potsdam, an dem ich promoviere. Es ist leider noch immer nicht selbstverständlich, dass Mädchen im technischen oder naturwissenschaftlichen Bereich Karriere machen. Dabei geht es weniger darum, dass mehr Frauen in höhere Positionen kommen sollen, weil sie Frauen sind. Ich finde, es geht darum, dass es überhaupt mehr qualifizierte Kandidatinnen für diese Jobs gibt. Unternehmen sollten in diese Richtung aktiver werden, um ein Umdenken in der Gesellschaft anzuregen.
In meiner Doktorarbeit erforsche ich zwei Aspekte: künstliches Nachahmen von Natur und direkte Eingriffe in biologische Modellsysteme. Da sind zum Beispiel diese unglaublichen Käfer, die unter Wasser laufen, ohne zu schweben, und deren Fähigkeiten man auch für Menschen nutzen könnte. Oder diese hochkomplexen Eiweißverbindungen, die einander Zellen hin- und herschicken, um miteinander zu kommunizieren. Die Forschungsergebnisse könnten Menschen schon bald helfen, vor allem bei der Krebsdiagnostik.
Dabei sind schnelle Erfolge in der Forschung eher selten. Meist ist Forschung langwierige Puzzlearbeit ohne Glamour oder Ruhm. Nicht jedes Puzzlestück, an dem man forscht, wird die Menschheit verändern. Außerdem bleibt immer ein Rest Ungewissheit. Es kann alles auch völlig danebengehen. Genauso gut kann es aber auch sein, dass man etwas Unglaubliches herausfindet und in den besten Magazinen veröffentlicht. Dazu muss man das Glück haben, gerade an solchen Projekten teilzuhaben, aus denen ein direkter Nutzen entsteht. Ich habe dieses Glück. Dafür bin ich dankbar.
Meine Familie hat mich auf diesem Weg von Anfang an sehr unterstützt. Seit frühester Kindheit galt bei uns zu Hause der Grundsatz: Mädchen können all das, was Jungs auch können. Ich war ein technisch sehr interessiertes Kind. Dinge zu bauen und wieder auseinanderzunehmen, mochte ich immer schon. Ich habe sowohl mit dem Lego meines Bruders gespielt als auch mit eigenen Puzzles. Warum bekommen Jungs häufig noch immer Bausteine und Mädchen Puppen? Mit meinen Kindern will ich das von Anfang an anders machen. So wie meine Eltern mit mir.
unabhängig Später, als ich schon auf der weiterführenden Schule war, betonte meine Mutter auch noch einen anderen Leitsatz, der mich geprägt hat: Jede Frau sollte ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Sie sagte: »Du solltest nie von einem Mann abhängig sein. Wenn du die Chance hast, einen Beruf zu ergreifen, der es dir ermöglicht, für dich selbst zu sorgen, dann tu es! Alles ist möglich!« Diese Einstellung hat mich mein Leben lang begleitet. Aus diesem Grund bin ich schließlich auch von Israel nach Berlin gekommen.
Dabei begann alles eher zufällig mit einem Deutschkurs am Technion in Haifa. In der letzten Unterrichtsstunde erzählte uns der Lehrer etwas von einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für einen zweimonatigen Sommerkurs in Berlin. Er bezweifelte, dass jemand von uns eine Chance haben würde, denn wir waren allesamt Anfänger. Doch er wollte es wenigstens gesagt haben.
Innerhalb von 24 Stunden habe ich alle Formulare ausgefüllt und fuhr zum Sprachtest nach Jerusalem. Einige Zeit später hatte ich die Zusage im Briefkasten. Das war vor vier Jahren. Berlin im Sommer! Traumhaft. Ich lernte Sprache und Kultur und fand zudem ein internationales Programm für ein Masterstudium in Polymer Sciences – und begann einfach ein neues Kapitel.
Das fiel mir insofern leicht, als ich ein Jahr zuvor schon Auslandsluft am Cern bei Genf geschnuppert hatte, am Forschungszentrum der Europäischen Organisation für Kernforschung. Dort spielt es keine Rolle, aus welchem Land man kommt. So ähnlich ist es auch am Max-Planck-Institut. Alle dort eint die gemeinsame Forschung. Das war eine tiefgreifende Erfahrung. Und zum ersten Mal habe ich gespürt, was es bedeutet, sich aus seiner gewohnten Umgebung herauszuwagen, weniger bequem zu sein und die Komfortzone zu verlassen.
pilates Doch inzwischen fühle ich mich in Berlin zu Hause. Ich habe einen Alltag, Arbeit, Freunde, ein Leben. Ich wohne in Mitte und fahre jeden Tag nach Golm ins Labor. Eine Stunde hin, eine Stunde zurück. Fünf Tage die Woche. Wenn ich nach Hause komme, finde ich Ausgleich bei Pilates, Kino, Kochen, Büchern und Kunst.
Erst hier, weit weg von meiner israelischen Heimat, ist mir klar geworden, wie wichtig mir unsere Religion und unsere Traditionen sind. Am letzten Sederabend vergangenes Jahr habe ich Kollegen und Freunde eingeladen. Weihnachten habe ich mit meinem Freund gefeiert. Wenn wir einmal Kinder haben, sollen sie mit beiden Traditionen aufwachsen. In dieser Hinsicht sehe ich mich eher als Kulturjüdin.
Vielleicht habe ich diese Offenheit von meinen Eltern übernommen. Sie sind sehr liberal, viel mehr als manche junge Leute in meinem Alter. Sie glauben wirklich felsenfest, dass ein Mensch vor allem glücklich sein sollte. Deswegen haben sie auch nichts dagegen gesagt, als ich beschloss, nach Deutschland zu gehen, obwohl sie mit guten Gründen etwas hätten sagen können.
Meine Großeltern haben die Schoa überlebt. Das hat mich geprägt, so wie alle Kinder und Enkel. Doch meine Großmutter hat mir etwas Umwälzendes mit auf den Weg gegeben: Es ist zwar sehr wichtig, woher du kommst – doch es darf nicht dein Leben bestimmen. Die Botschaft ist: Wir dürfen uns dennoch entfalten und entwickeln. Persönliches Glück ist genauso wichtig wie andere Dinge. Von israelischen Freunden weiß ich, dass sich auch in ihren Familien viel bewegt. Ich glaube, da ändert sich gerade etwas im Bewusstsein.
wurzeln Wenn ich Heimweh habe, gehe ich manchmal in ein Café in Mitte, das mich an das Café HaNasich HaKatan in Tel Aviv erinnert. Ohnehin glaube ich, dass man sein Land nicht ganz hinter sich lassen kann. Da gibt es Wurzeln, auch nach Jahrzehnten. Doch man lernt, mit der Ambivalenz zu leben. Das gehört zum Leben in der Diaspora nun einmal dazu. Was ich manchmal vermisse, ist die Art der Menschen in Israel, miteinander zu reden und weniger distanziert zu sein. Andererseits genieße ich es auch sehr, dass die Deutschen einem mehr Raum lassen.
Ob ich auch in Zukunft akademisch arbeiten möchte? Auf jeden Fall will ich etwas bewirken. Insbesondere als Frau. Eben weil es noch nicht selbstverständlich ist in der Gesellschaft. Wir müssen auch der nächsten Generation zeigen, dass es möglich ist, als Frau in der Wissenschaft Fuß zu fassen. Solange ich etwas mache, das andere Menschen weiterbringt, habe ich mein Ziel schon erreicht.
Aufgezeichnet von Katharina Schmidt-Hirschfelder.