Berlin

Putzen gegen das Vergessen

Friedenauer Ernst Karbe hält die Stolpersteine in seinem Kiez sauber

von Christine Schmitt  05.10.2010 15:08 Uhr

Putzt sogar mit gebrochenem Arm: Ernst Karbe Foto: Mike Minehan

Friedenauer Ernst Karbe hält die Stolpersteine in seinem Kiez sauber

von Christine Schmitt  05.10.2010 15:08 Uhr

Die Putztücher trägt Ernst Karbe in der einen, einen kleinen Kinderstuhl in der anderen Hand. Ohne Eile schlendert er durch die Stierstraße in Friedenau und schaut immer wieder auf die Stolpersteine. Wenn sie stark verdreckt sind – wie jetzt nach manchem starken Regen – braucht der 66-Jährige mehrere Stunden, bis alle 42 Stolpersteine in dieser Straße wieder glänzen.
Meist fängt er morgens gegen 7 Uhr an. An diesem Tag sehen sie noch relativ sauber aus, er schätzt seinen Arbeitseinsatz auf zwei bis drei Stunden. Erst vor wenigen Wochen hatte er sie mit einem Putzmittel bearbeitet, denn da wurde in der Philippus-Kirche in der Stierstraße ein christlich-jüdischer Gottesdienst gefeiert und wenige Tages später kam Besuch aus New York – Angehörige von Schoaopfern, deren Stolpersteine an diesem Tag der Öffentlichkeit übergeben wurden. Die Steine hatte er glänzend vorbereitet.

Ernst Karbe macht es sich bequem auf dem kleinen hellen Stuhl. Dann beugt er sich nach vorn und beginnt, den ersten Stein mit Putzmittel einzuschmieren. »Man braucht immer sehr viel von dem Zeug«, sagt er.

Passanten Eine Mutter mit ihrer Tochter kommt vorbei. Die Tochter ist neugierig und fragt nach dem Tun des Mannes. Ernst Karbe grüßt freundlich. Die Mutter ist in Eile und zieht ihr Kind weiter. Der 66-Jährige kennt eigentlich fast jeden, der hier öfter entlang-kommt, da er bis zum vergangenen Herbst einen Fotoladen zwei Straßen weiter hatte. »Wenn Kinder mich fragen, was ich hier mache, dann sage ich schon, dass die Steine an Menschen erinnern, die früher in diesem Haus gewohnt haben und dann in ein Lager geschickt worden sind.« Aber genauere Aufklärung sollten die Eltern übernehmen, wünscht er sich. Ein älterer Herr grüßt ihn. Manche bringen Ernst Karbe sogar belegte Brötchen vorbei.

Viele Menschen seien anfangs sehr erstaunt gewesen. »Obwohl sie doch wissen, dass diese Steine da liegen«, sagt Karbe verwundert. Und es sei doch klar, dass dieses Denkmal gepflegt werden müsse.

Eine ältere Dame sei öfter mit versteinerter Miene an ihm vorbeigegangen, bis sie eines Tages stehen blieb. Sie erzählte ihm dann von ihrer jüdischen Freundin, die eines Tages »weg war«. Sie erzählt, dass sie immer wieder an das Mädchen denken müsse.

Etliche hätten wenig übrig für die Stolpersteine und diese Art des Gedenkens: »Hoffentlich ist unser Haus verschont geblieben«, hört Karbe häufig von Passanten. In der Stierstraße gab auch den Fall, dass die Hausbesitzer keine Stolpersteine vor ihrer Haustür verlegt haben wollten – doch seit August erinnern auch vor dieser Haustür vier Steine an das Schicksal einer jüdischen Familie.
»In meiner Familie war das Dritte Reich lange Zeit kein Thema, er wurde immer abgeblockt«, sagt Karbe. Ihn habe es allerdings interessiert, und zwar so sehr, dass er sich der Initiativgruppe Stolpersteine Stierstraße anschloss und es heute als eine seiner Aufgaben ansieht, die Denkmäler zu putzen. Neulich sagte eine Frau zu ihm, dass sie ja eigentlich auch mal die Steine vor ihrer Haustür putzen könnte. Das fand er eine gute Idee.

Interview

»Wir reden mehr als früher«

Rabbiner Yechiel Brukner lebt in Köln, seine Frau Sarah ist im Herbst nach Israel gezogen. Ein Gespräch über ihre Fernbeziehung

von Christine Schmitt  13.03.2025

Bundeswehr

»Jede Soldatin oder jeder Soldat kann zu mir kommen«

Nils Ederberg wurde als Militärrabbiner für Norddeutschland in sein Amt eingeführt

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Hamburg

Hauptsache kontrovers?

Mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille wurde die »Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2025 – 5785/5786« eröffnet. Die Preisträger sind in der jüdischen Gemeinschaft umstritten

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Purim

Schrank auf, Kostüm an

Und was tragen Sie zum fröhlichsten Fest im jüdischen Kalender? Wir haben uns in der Community umgehört, was in diesem Jahr im Trend liegt: gekauft, selbst gemacht oder beides?

von Katrin Richter  13.03.2025

Feiertag

»Das Festessen hilft gegen den Kater«

Eine jüdische Ärztin über Alkoholkonsum an Purim und die Frage, wann zu viel wirklich zu viel ist

von Mascha Malburg  13.03.2025

Berlin

Persien als Projekt

Eigens zu Purim hat das Kunstatelier Omanut ein Wandbild für die Synagoge Pestalozzistraße angefertigt

von Christine Schmitt  13.03.2025

Wilmersdorf

Chabad Berlin lädt zu Purim-Feier ein

Freude sei die beste Antwort auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal

 12.03.2025

Purim

An Purim wird »We will dance again« wahr

Das Fest zeigt, dass der jüdische Lebenswille ungebrochen ist – trotz der Massaker vom 7. Oktober

von Ruben Gerczikow  12.03.2025

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  11.03.2025 Aktualisiert