Die Putztücher trägt Ernst Karbe in der einen, einen kleinen Kinderstuhl in der anderen Hand. Ohne Eile schlendert er durch die Stierstraße in Friedenau und schaut immer wieder auf die Stolpersteine. Wenn sie stark verdreckt sind – wie jetzt nach manchem starken Regen – braucht der 66-Jährige mehrere Stunden, bis alle 42 Stolpersteine in dieser Straße wieder glänzen.
Meist fängt er morgens gegen 7 Uhr an. An diesem Tag sehen sie noch relativ sauber aus, er schätzt seinen Arbeitseinsatz auf zwei bis drei Stunden. Erst vor wenigen Wochen hatte er sie mit einem Putzmittel bearbeitet, denn da wurde in der Philippus-Kirche in der Stierstraße ein christlich-jüdischer Gottesdienst gefeiert und wenige Tages später kam Besuch aus New York – Angehörige von Schoaopfern, deren Stolpersteine an diesem Tag der Öffentlichkeit übergeben wurden. Die Steine hatte er glänzend vorbereitet.
Ernst Karbe macht es sich bequem auf dem kleinen hellen Stuhl. Dann beugt er sich nach vorn und beginnt, den ersten Stein mit Putzmittel einzuschmieren. »Man braucht immer sehr viel von dem Zeug«, sagt er.
Passanten Eine Mutter mit ihrer Tochter kommt vorbei. Die Tochter ist neugierig und fragt nach dem Tun des Mannes. Ernst Karbe grüßt freundlich. Die Mutter ist in Eile und zieht ihr Kind weiter. Der 66-Jährige kennt eigentlich fast jeden, der hier öfter entlang-kommt, da er bis zum vergangenen Herbst einen Fotoladen zwei Straßen weiter hatte. »Wenn Kinder mich fragen, was ich hier mache, dann sage ich schon, dass die Steine an Menschen erinnern, die früher in diesem Haus gewohnt haben und dann in ein Lager geschickt worden sind.« Aber genauere Aufklärung sollten die Eltern übernehmen, wünscht er sich. Ein älterer Herr grüßt ihn. Manche bringen Ernst Karbe sogar belegte Brötchen vorbei.
Viele Menschen seien anfangs sehr erstaunt gewesen. »Obwohl sie doch wissen, dass diese Steine da liegen«, sagt Karbe verwundert. Und es sei doch klar, dass dieses Denkmal gepflegt werden müsse.
Eine ältere Dame sei öfter mit versteinerter Miene an ihm vorbeigegangen, bis sie eines Tages stehen blieb. Sie erzählte ihm dann von ihrer jüdischen Freundin, die eines Tages »weg war«. Sie erzählt, dass sie immer wieder an das Mädchen denken müsse.
Etliche hätten wenig übrig für die Stolpersteine und diese Art des Gedenkens: »Hoffentlich ist unser Haus verschont geblieben«, hört Karbe häufig von Passanten. In der Stierstraße gab auch den Fall, dass die Hausbesitzer keine Stolpersteine vor ihrer Haustür verlegt haben wollten – doch seit August erinnern auch vor dieser Haustür vier Steine an das Schicksal einer jüdischen Familie.
»In meiner Familie war das Dritte Reich lange Zeit kein Thema, er wurde immer abgeblockt«, sagt Karbe. Ihn habe es allerdings interessiert, und zwar so sehr, dass er sich der Initiativgruppe Stolpersteine Stierstraße anschloss und es heute als eine seiner Aufgaben ansieht, die Denkmäler zu putzen. Neulich sagte eine Frau zu ihm, dass sie ja eigentlich auch mal die Steine vor ihrer Haustür putzen könnte. Das fand er eine gute Idee.