Tita, diesen Namen gibt es wohl nicht oft. Meine Mutter und mein elf Jahre älterer Bruder haben ihn sich für mich ausgedacht. Mein jüdischer Name lautet Toybe, was Taube bedeutet. Toybe, so hieß bereits meine Großmutter. Sie ist in der Schoa umgekommen, und mein Vater hat es sich sehr gewünscht, dass ich nach ihr benannt werde.
Aus Toybe ist für den Alltagsgebrauch der Name Tita geworden. Mein Bruder hieß ursprünglich Zygmunt. Den Namen musste er dann aber ändern, als wir nach Deutschland gekommen sind. Aus Zygmunt musste Sigmund werden. So war das in den 50er-Jahren in Deutschland. Genannt haben wir ihn nie Sigmund, sondern immer nur Sigi.
Meine Familie ist gebürtig aus Polen. Dort wurde ich auch geboren, und zwar 1945. Meine Eltern führten einen Obstladen, ich glaube, in Bytom war das. Der Laden lag an einem Platz. Wenn Markt war, erschien dort immer ein Eismann mit seinem Wagen. Diese großen metallenen Deckel über den Eistöpfen habe ich genau vor Augen. Weil ich die Eiswaffeln so liebend gerne mochte, noch viel lieber als das Eis darin, hat mir der Eismann am Ende eines Markttages immer den ganzen übrig gebliebenen Waffelbruch gegeben. Das weiß ich noch.
zelt Und auch an Israel, in das wir bald darauf ausgewandert sind, habe ich meine besonderen Kindheitserinnerungen. Ich war damals etwa fünf Jahre alt. Wir haben erst einmal in einem Zelt, später dann in einer Holzbaracke gewohnt. Meine Mutter fand das Leben in Israel gar nicht schlecht, zumal mein Vater das Glück hatte, Partner in einer Bäckerei zu werden. Wir hatten eigentlich alles, was man zum Leben brauchte.
Diese Kühlschränke, die ganz oben ein Fach für die Eisblöcke bereithielten, haben Eindruck bei mir hinterlassen. Die Eisbrocken bin ich immer mit dem Vater einkaufen gegangen, und das hat dann in Tüchern eingeschlagen vor sich hin getropft.
Meine Mutter besaß ein paar Hühner in einem kleinen Hühnerstall bei der Baracke. Ein Huhn hat meine Mutter so geliebt, dass es ihr immer hinterhergerannt ist. Ausgerechnet dieses Huhn wurde uns dann später gestohlen.
Ich mochte es schrecklich gerne, frische Eier auszutrinken. Ich habe richtig darauf gewartet, bis ein Huhn sein Ei legte. Noch warm habe ich es ein paar Mal über meine geschlossenen Augen gerollt, weil es hieß, das mache schöne Augen. Dann habe ich oben und unten ein Loch in die Schale gestochen und dann alles herausgeschlürft. Nicht genug kriegen konnte ich davon.
straßenkontrollen Und obwohl die Mutter Bedenken hatte, ob das noch gesund sein könne, hat sie mich machen lassen. Manchmal haben wir auch Besuch von einer Tante aus Tel Aviv bekommen. Die hat sich Lebensmittel von uns, manchmal sogar ganze Hühner, unter die Kleider gestopft, weil die Engländer zu dieser Zeit noch diese ziemlich scharfen Straßenkontrollen gemacht haben.
Meinem Vater sind die Mentalität und auch die Hitze in Israel nicht gut bekommen. Aus diesem Grunde sind wir weitergezogen. Deutschland hatten wir dabei eigentlich nicht im Sinn, sondern Kanada. Für dieses Land haben wir allerdings die Einwanderungsprozedur nicht bestanden. Sie hatten angeblich einen dunklen Fleck auf der Lunge meines Vaters entdeckt. Aber das war nichts weiter als eine Ausrede. Da bin ich mir ziemlich sicher. Die haben damals einfach ziemlich ausgesiebt, glaube ich. Also sind wir doch nach Deutschland gezogen – erst nach Saarbrücken, dann nach München und Berlin.
Berlin verbinde ich mit meiner Mädchenzeit. Und auch mit ihrem Ende. Wenn ich über diese Zeit nachdenke und berichte, dann würde ich eigentlich viel lieber nur von meinem Mann erzählen und nicht von mir, meinem Mann Manfred Korytowski, der 1999 ganz plötzlich im Alter von nur 62 Jahren gestorben ist und den in Berlin alle nur den »Manfred vom Film« genannt haben. Im Klub der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sind wir uns zum ersten Mal begegnet und dann immer wieder einmal über den Weg gelaufen.
Aber weil ich neun Jahre jünger war als er, hat er mich erst einmal unter »Kindergarten« verbucht. Manfred arbeitete damals ja schon als Aufnahmeleiter bei Artur Brauner. Bewusst registriert hat er mich bei so einer Silvester-Show, die er fürs ZDF gemacht hat und zu der ich zusammen mit einem Freund gegangen bin, weil ich nichts Besseres vorhatte.
film Drei Tage später hat mich »Manfred vom Film« im Klub angesprochen und in eine spanische Bar eingeladen. Ein paar Monate später waren wir verlobt, ein paar weitere Monate später verheiratet, und dann sind schließlich unsere beiden Söhne zur Welt gekommen. Ja, das ging alles recht schnell. 1973 kam dann der Umzug von Berlin nach München.
Für mich war München bis dahin eigentlich ein echter »Scheidungsgrund« gewesen. München? Nie! Ich wollte in Berlin bleiben, und da hat mich auch die Mauer nicht gestört. Bis ich einmal zusammen mit einer Freundin auf der Münchner Modemesse unterwegs war – ich führte zur »Selbstverwirklichung« in Berlin eine kleine Boutique –, und da sind mir doch die Augen aufgegangen. Wenn in München jemand im Minikleid auf die Straße gegangen ist oder schon am Vormittag im Nerz, dann hat das dort keinen gejuckt. Das war in Ordnung.
Wie anders hingegen reagierte man auf so etwas in Berlin: »Guck dir die mal an!« München hat auf einmal gepasst, auch wenn es mich noch lange schockiert hat, wenn die feinsten Damen und Herren den Mund auftaten und da dann breitestes Bayerisch herauskam.
wohnung Seit dem Tod meines Mannes bin ich Geschäftsführerin seiner Filmproduktionsfirma Infafilm. Weil ich ihn oft auf seinen Geschäftsreisen begleitet habe, war ich für seine Partner irgendwie schon immer präsent gewesen, was sich bei der Fortführung der Geschäfte als sehr wichtig erwiesen hat.
Bei seinem Tod steckte mein Mann Mitten in einer Produktion. Er hatte alles für den letzten Pumuckl vorbereitet. Pumuckl und sein Zirkusabenteuer zu Ende zu bringen, war für mich deshalb wie ein Auftrag. Ich habe da nicht lange nachgedacht. Zumal wir dem Pumuckl, dieser kleinen rothaarigen Figur, wirklich viel zu verdanken hatten.
Mehr oder weniger haben wir uns mit den ersten Erlösen aus dem Pumuckl 1982 in Israel, in Ramat HaScharon, eine Wohnung kaufen können. Wir konnten über den Tag hinaus planen, hatten plötzlich genug Geld, um ein halbes Jahr sicher die Sekretärin zu bezahlen. Also, den Pumuckl konnte ich nicht hängen lassen.
brasilien Dass der kleine Kerl mit einem gelben Hemdchen und einer grünen Hose gekleidet ist, hat übrigens mit einer Hommage meines Mannes an Brasilien zu tun – dorthin war seine Familie 1937 mit ihm als Baby ausgewandert.
Mit 17 Jahren ist Manfred dann für drei Jahre nach Israel gegangen. Damit hat er immer gerne kokettiert, wenn er es mit den Feiertagen nicht so genau genommen hat. »Ich bin eben ein Israeli«, hat er gesagt. Aber wenn meine Mutter aus Berlin an Pessach zu uns gekommen ist, hat er schön tapfer seinen Mazzebrei gegessen.
Denn ein guter Schwiegersohn war er schon auch. Ist er an Rosch Haschana zur Arbeit gegangen, verkündete er beinahe stolz in die Runde seiner Mitarbeiter: »Also, meine Frau ist heute nicht da, die ist nämlich in der Synagoge.«
aufträge Das Grab meines Mannes ist in Israel. Seit wir diese Wohnung in Eretz hatten, ist das Land für uns, auch für meine Söhne und mittlerweile auch für meine Enkelkinder, so etwas wie eine zweite Heimat geworden. Mein einer Sohn lebt sonst mit seiner Familie ebenfalls in München, mein anderer mit Frau und Kindern in Vancouver.
Neue Aufträge bekomme ich im Moment leider keine mehr herein bei Infafilm. Dabei gäbe es noch genug Leute aus unserer alten »Produktionsfamilie«, die sofort etwas mit mir zusammen machen würden. Vor Kurzem erst habe ich einen Kameramann getroffen. Der hat zu mir gesagt: »Frau Korytowski, wenn Sie wieder eine Produktion haben, egal welche, ich bin dabei.«
Der Pumuckl bleibt mir erhalten. Mit dem habe ich immer mal wieder zu tun, und da geht es auch oft um Rechte und so weiter. Als ich einmal sonntagmorgens vom Bett aus durch die Fernsehprogramme gezappt habe, bin ich bei einer Pumuckl-Folge hängen geblieben.
steuerberater Der Pumuckl ist da ins offene Fenster eines Steuerberaterbüros geklettert. Der Wind ist ins Zimmer hineingefahren und hat alle Formulare durcheinandergewirbelt. Die Sekretärin kriegt das mit und schreit: »Um Gottes Willen, das ist doch die Steuererklärung vom Korytowski!«