Frankfurt

Premiere, Party, Punkte

Spiel und Spannung pur: das Siegerteam Neschama der IKG München Foto: Robert Poticha

Das alles entscheidende Stichwort dieses bis zuletzt spannenden Abends lautet »Disney«. Aber der Reihe nach: Es ist Samstag, der Schabbat ist gerade zu Ende gegangen. Zvi Bebera, Nachumi Rosenblatt und Marat Schlafstein sind mit den letzten Vorbereitungen für das »Jewish Quiz Reloaded« beschäftigt. In zwei Stunden soll die lang ersehnte große Show, für die über 500 jüdische Jugendliche aus ganz Deutschland nach Frankfurt gekommen sind, beginnen.

Erfunden wurde das »Jewish Quiz« vom Jugendzentrum »Amichai« der Main-Metropole, das das bundesweite Event bereits von 2016 bis 2018 auf die Beine gestellt hatte. »Wir haben angefangen, darüber zu sprechen, das Format gemeinsam auszurichten«, erinnert sich Schlafstein, Abteilungsleiter für Programme und Veranstaltungen beim Zentralrat der Juden in Deutschland. »Dann ist etwas passiert«, ergänzt Amichai-Leiter Zvi Bebera. Die Pandemie legte die Planung für die große Veranstaltung jahrelang auf Eis.

An diesem Wochenende fand also eine Premiere statt

An diesem Wochenende fand also eine Premiere statt: »Es ist das erste Mal, dass wir das Event als Zentralrat und ZWST in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Frankfurt übernommen haben«, berichtet Schlafstein. Die lange Pause habe dafür gesorgt, dass die meisten der diesjährigen Teilnehmer im Alter von 14 bis 18 Jahren das Format noch nicht aktiv erleben konnten: »Es ist eine ganze Generation, die das Jewish Quiz nicht kennt.«

Das sei eigentlich »eine Altersgruppe, die für viele Gemeinden und Jugendzentren schwer zu erreichen ist«, beobachtet Schlafstein. Er spricht von einer »unterschätzten Generation«, die viel Potenzial habe und sehr wissbegierig sei. Darauf möchte man mit dem Jewish Quiz antworten.

»Wir wollen ein neues, attraktives Format anbieten, wo die Jugendlichen exklusiv untereinander sind und einen Safe Space für ihre Altersgruppe haben.« So sei hier »eine Riesen-Mischpacha« zusammengekommen, freut sich Nachumi Rosenblatt, Leiter des Kinder-, Jugend- und Familienreferats der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.

Auch das Workshop-Programm hätten die Jugendlichen mit Interesse angenommen

Beim Schabbateingang hätten alle das Gebet mitgesungen, das sei berührend gewesen. »Eine tolle Stimmung.« Auch das Workshop-Programm hätten die Jugendlichen mit Interesse angenommen, sagt Rosenblatt. Das Themenspektrum reichte von jüdischen Superhelden über den erfolgreichen Social-Media-Auftritt bis hin zu Inklusion und Brettspielen. Ein »Full Body Workout« wurde ebenso angeboten wie ein Aufwärmtraining für den Quizabend.

Schließlich sei das »JQ« eine Veranstaltung, die in erster Linie »das Brain herausfordert«, betont Schafstein. Es geht aber nicht um Wissen: Das von Freitag bis Sonntag angebotene Programm sei eher »mal etwas anderes als diese klassischen, ernsten Inhalte«, die sonst die Machanot und Mini-Machanot ausmachten. So könnten die Jugendlichen Virtual Reality Games spielen, das eigene Nervenkostüm in einem »Escape Room« testen oder sich beim Sumo-Ringen austoben. Wichtig sei auch der Empowerment-Aspekt, so Rosenblatt. »Wir geben den Jugendlichen die Stärke, in die Gemeinden zu gehen und zu fordern, was sie brauchen.«

Zur Hawdala füllt sich das Hotelfoyer, bis kaum mehr ein Durchkommen möglich ist

Lautstark machen sich die 14- bis 18-Jährigen schon am Samstagabend bemerkbar: Zur Hawdala füllt sich das Hotelfoyer, bis kaum mehr ein Durchkommen möglich ist. Untereinander sprechen sie vor allem Deutsch, gelegentlich Hebräisch und nur ganz vereinzelt Russisch. Viele Jugendliche tragen T-Shirts und Kapuzenpullis mit den Logos und Mottos ihrer Teams – einige Jugendzentren wie etwa Hamburg und Berlin sowie Stuttgart und Nürnberg treten gemeinsam beim Jewish Quiz an. Kippot mit »JQ«-Logo sind omnipräsent.

Bevor Rabbiner Elishai Zizov den Beginn der neuen Woche einläutet, ergreift Schlafstein das Wort. »Ihr seid eine Generation, die weiß, was sie will.« Er ruft die Jugendlichen zum Mitgestalten in den Gemeinden auf: »Die Zukunft unserer Gemeinschaft hängt davon ab, dass ihr euch sichtbar und hörbar macht.« Die jüdische Community in Deutschland habe die Chance, eine der stärksten weltweit zu werden: »Helft uns dabei, sie zu stärken und größer zu machen!« Die anschließende Hawdala-Zeremonie steht ganz im Zeichen des Zusammenseins. Alle singen Arm in Arm den Segen mit. Viele Smartphones recken sich in die Höhe, um diese besondere Hawdala zu filmen.

Neben viel Spaß tankten die Jugendlichen auch Selbstbewusstsein.

Nach dem Abendessen ist es endlich so weit, und die Türen des großen Kongresssaals gehen auf. Sogleich herrscht dort Party-Stimmung: Die Teams schwenken ihre Fahnen und proben lautstark Fangesänge. Einige tanzen zu den vom DJ eingespielten israelischen Party-Hits. Punkt 20 Uhr eröffnet Moderator Jurij Belenkiy die Show. »Es wird ein legendärer Abend«, verspricht der Webvideoproduzent, dessen TikTok-Account »Kapuzenjuri« eine Million Follower hat.

Die aus jeweils zwei Mitgliedern bestehenden Rateteams nehmen nun an den mit großen Buzzer-Knöpfen ausgestatteten Pulten Platz. Insgesamt acht davon treten beim diesjährigen Jewish Quiz gegeneinander an. Im Laufe des Abends wird ihre Zusammensetzung mehrmals wechseln. Auf einem von den Pulten umrahmten Bildschirm sind die zehn Themenkategorien zu sehen, hinter denen sich je acht Quizfragen mit steigendem Schwierigkeitsgrad sowie die jeweilige Punktezahl verbergen, beispielsweise »Judentum«, »Sport« oder »Entertainment« und »Israel«.

»WeZair Westfalia« holt sich daraufhin 200 Punkte für die richtige Definition des Konzepts »Tikkun Olam«

Die ersten 100 Punkte aus der Kategorie »Judentum« gehen an das Team »Halemet«, das am schnellsten den Buzzer drückt und die Frage nach dem Namen des jüdischen Gebetsriemens sogleich richtig beantwortet: Tefillin! Jetzt darf das Team die nächste Kategorie wählen. Halemet entscheidet sich wieder für »Judentum«. »WeZair Westfalia« holt sich daraufhin 200 Punkte für die richtige Definition des Konzepts »Tikkun Olam« (Reparatur der Welt).

Die Teams wetteifern sichtlich motiviert um die Möglichkeit, die Fragen als Erste zu beantworten, und demonstrieren sogleich einen breiten Wissenshorizont: Der jüdische Protagonist der TV-Serie The Big Bang Theory, Howard Wolowitz, ist ihnen ebenso ein Begriff wie die Finalteilnehmer der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft, und zwar England und Spanien, oder die Bezeichnung des jüngst vorgestellten Apple-Smartphones.

Wissenslücken offenbart die TikTok-Generation aber in Sachen Politik: So vermag es kein Team, den aktuellen Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, mindestens zwei seit 1994 amtierende Bundespräsidenten – hier wird nur Frank-Walter Steinmeier genannt – oder den argentinischen Präsidenten Javier Milei namentlich zu benennen. Deutlich leichter tun sich die Jugendlichen mit der Frage, welcher deutsche Rapper für die Verwendung der Ausdrücke »Bratan«, »Bratinas« und »LeLeLe« bekannt sei: Alle Teams können es kaum abwarten, bis sie den Buzzer drücken und »Capital Bra!« rufen dürfen.

Dan verwandelt sich der Saal plötzlich in eine Pop-up-Disco

Zwischendurch eingestreute Bonusrunden lockern die intellektuelle Spannung auf. So geht es beim »Fußball-Radar« darum, den Ball mit möglichst hoher Geschwindigkeit in das vor dem Hotel installierte, mit Messgeräten ausgestattete Tor zu schießen. Mit 72 Kilometern pro Stunde kann diese Bonusrunde das aus den Hamburger und Berliner Jugendzentren zusammengesetzte Team »Chasak x Olam« für sich entscheiden. Und während des überraschenden, von den Jugendlichen enthusiastisch angenommenen Gastauftritts von Daniel Schwarz alias Dan verwandelt sich der Saal plötzlich in eine Pop-up-Disco.

Die beiden Grundzutaten von Hummus zu nennen, sollte zur Herausforderung werden. Nachdem schon drei Teams eine falsche Antwort gegeben haben, ist der Jubel im Saal umso größer, als WeZair Westfalia die korrekte Zauberformel »Kichererbsen und Tahini« ausruft. Immer wieder kommt regelrechtes Stadionfeeling auf, wenn die Fanblocks der teilnehmenden Teams ihre sorgsam einstudierten Jubelgesänge anstimmen. Vor allem aber bleibt das Jewish Quiz bis zum Schluss spannend – lange liegen die ersten Plätze gleichauf beieinander.

Neschama ist eine Spur schneller und antwortet: »Disney«

»Es geht um alles«, schwört Jurij Belenkiy die Teams auf die letzten Fragen ein. Der Showdown folgt nach über drei Stunden, als die entscheidende letzte Quizfrage ansteht und nur noch Chasak x Olam und »Neschama« aus München den ersten Platz holen können: »Welches Unternehmen kaufte Lucasfilm im Jahr 2012 und erwarb damit die Rechte an Star Wars?«

Neschama ist eine Spur schneller und antwortet: »Disney«. Der Moderator lässt sich Zeit mit der Auflösung, während sich die Jugendlichen im Saal mit leuch­tenden Augen zuflüstern: »Disney! Es ist Disney!« Und tatsächlich gibt es um 23.30 Uhr kein Halten mehr im Neschama-Block – das Jugendzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern hat mit 4600 Punkten das Jewish Quiz 2024 gewonnen!

»Mein Herz geht wirklich auf. Mein liebes, liebes Jugendzentrum Neschama hat Platz eins geholt«, freut sich der Moderator für seine Heimatgemeinde. Nach der Ehrung der Zweit- und Drittplatzierten, Chasak x Olam und Amichai Frankfurt, kommt das gesamte Münchner Siegerteam auf die Bühne, um stolz und freudig die Medaillen und den Siegerpokal abzuholen. Bevor die After-Show-Party beginnt, dankt der sichtlich bewegte Neschama-Leiter Yeshaya Brysgal den Organisatoren und verspricht: »Dieses Jahr werden wir die Jewrovision gewinnen!«

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