Ein Jude, dem ein Schwein während der Schoa das Leben rettet, eine Jüdin, die ihren Davidstern aus Angst nicht öffentlich tragen will, ein jiddisches Gedicht, ein wegen der Meeresverschmutzung verendeter Wal und ein israelischer Jugendlicher, der ausgerechnet an Jom Kippur eine Plakatwand anzündet (und dann, als der Rauch zwei alte Menschen tötet, die Polizei belügt): Mit diesen Themen hat das 29. Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg (JFBB) am Dienstagabend in Potsdam eröffnet.
Vorneweg: Es war eine originelle Idee, fünf Kurzfilme für den feierlichen Abend im Hans Otto Theater auszuwählen. Aber ob die Mischung stimmte? Darüber diskutierten die Gäste des anschließenden Empfangs auf der Terrasse des Theaters bis spät in den Abend.
Drei der gezeigten Kurzfilme (Requiem For A Whale von Ido Weisman, The Sky Is Falling von Stephan Stelman und Eine Frage der Sicherheit von Maximilian Karakatsanis und Rosa Sadnik) stammten laut Amos Geva vom JFBB-Programmkollektiv von Film-Studierenden aus Tel Aviv und Köln. Dem Festival sei es wichtig, den Nachwuchs zu fördern und Diversität auch in den Genres auf der Leinwand zu zeigen, betonte Geva.
trauma Spontanen Beifall des Publikums erntete der Zwei-Minuten-Film Eine Frage der Sicherheit, in dem es um das offene Tragen des Magen David geht. Der erste Kurzfilm war Letter To A Pig von Tal Kantor aus Israel. »Jenseits der persönlichen Version (der Schülerin) erkundet der Film auch das Thema des kollektiven Traumas, der Rache, des menschlichen Bösen und des Mitleids«, heißt es in der Beschreibung eines Filmportals.
Der Animationsfilm beginnt in einem israelischen Klassenraum, wo ein Schoa-Überlebender über sein einstiges Versteck in einem Schweinestall berichtet und einen Dankesbrief an das Schwein vorliest, bis ein Schüler sich mit Grunzlauten über die Veranstaltung lustig macht und von der Lehrerin aus der Klasse geworfen wird.
Schließlich versetzt der Brief eine der Schülerinnen in einen Tagtraum – darin begeben sich die Schüler auf eine Reise in einen dunklen Wald und treffen schließlich in einem mysteriösen Haus auf ein großes, gefährliches Schwein, das sich zum Schluss in ein winziges, niedliches Ferkel verwandelt.
auswahl Ein Film, der polarisierte: Während sich eine Besucherin von der originellen Animation des Films begeistert zeigte, sagte eine zweite, sie fühle sich von Letter To A Pig inhaltlich nicht angesprochen. Eine dritte Besucherin beklagte, sie vermisse den schwarzen Humor der Komödie Shiva Baby, die vor zwei Jahren zu Beginn des Festivals in Potsdam gezeigt worden war. Die vierte bemängelte, das Programmkollektiv habe bei der Auswahl der Kurzfilme für den Eröffnungsabend nur schwere Themen berücksichtigt, aber den jüdischen Witz weggelassen.
Ein Einwand, den Amos Geva so nicht gelten lassen möchte: »Ich habe eine andere Meinung dazu«, sagte er der Jüdischen Allgemeinen. »Ich finde, dass es auch in den ernsten Filmen immer lustige Situationen gibt, und das ist ein wichtiger Bestandteil des Humors, dass man auch in schwierigen Zeiten lachen muss.«
Der Abend begann mit Musik von »Masha The Rich Man«. Anschließend gab es die traditionellen Reden. Als Erster wandte sich der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, an das Publikum. Er erwähnte die Sonderreihe »75 Jahre Israel« des JFBB und lobte die kreative Kraft der israelischen Filmbranche sowie ihre preisgekrönten Produktionen. »Der israelische Film spiegelt das vielschichtige kulturelle Erbe und die komplexe politische Realität des Landes wider«, sagte Prosor.
Wer keine israelischen Filme sehe, könne die israelische Geschichte und Gesellschaft nicht verstehen. Dann wurde Prosor politisch: Die israelische Filmindustrie diskutiere mutig über Probleme des eigenen Landes. »Leider ist es heute allgemein bekannt, dass Filme, die Israel besonders scharf kritisieren oder Israel in einem negativen Licht erscheinen lassen, besonders gute Chancen haben, zu internationalen Festivals eingeladen zu werden«, beklagte der Botschafter.
qualität Die Qualität der Filme oder ihr Wahrheitsgehalt spiele dabei oft eine geringe Rolle. Als Beispiel nannte Prosor den Dokumentarfilm Jenin, Jenin von Mohammad Bakri, dessen Werk der Oberste Gerichtshof Israels 2004 entsprechend dem Urteil der israelischen Filmkommission als »progapandistische Lüge« bezeichnete (sich aber gegen ein Verbot aussprach). Es gebe in Israel sehr viele und gute Filme, die die Vielschichtigkeit und Komplexität Israels nicht nur in Schwarz-Weiß zeigten, sondern in Farbe, »so wie das Programm dieses jüdischen Filmfestivals«, betonte Prosor.
»Wer keine israelischen Filme sieht, kann Israels Gesellschaft nicht verstehen.«
Ron Prosor
Anschließend sprachen der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner (CDU), und der Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie in Brandenburg, Hendrik Fischer. Danach bat Moderatorin Shelly Kupferberg den Oberbürgermeister der Stadt Potsdam, Mike Schubert (SPD), für ein kurzes Gespräch auf die Bühne.
GÄSTE Unter den Gästen waren nach Angaben des Festivals unter anderem der Filmemacher Dani Levy, die Schauspielerinnen Adriana Altaras, Denise Zich und Isabell Gerschke, die Schauspieler Pierre Kiwitt, Arman Kashani, Sönke Möhring und der GZSZ-Star Thomas Drechsel. Schirmfrau des JFBB ist die Grünen-Politikerin Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, die aber wegen eines anderen Termins nicht vor Ort war.
Wo denn die »Jewcy Movies« (so das Motto des Festivals) geblieben seien?, fragte sich eine der Besucherinnen nach der Eröffnung am Dienstagabend. Die Antwort lautet: Ab ins Kino!
»Jewcy Movies« sind in den kommenden Tagen in Berlin, Potsdam, Brandenburg an der Havel, Cottbus, Eberswalde, Fürstenwalde und Frankfurt zu sehen. Insgesamt 64 Filme werden bis einschließlich Sonntag gezeigt. Und spätestens mit dem Abend »Boychiks in Berlin!« des kanadischen Komikerduos »YidLifeCrisis« am Donnerstag im Jüdischen Museum Berlin dürften auch die Fans des jüdischen Humors auf ihre Kosten kommen.