Buch

Post nach irgendwo

Drei Familien versuchen auf der Flucht, per Post Kontakt zu halten

von Hans-Ulrich Dillmann  19.11.2020 09:13 Uhr

Foto: PR

Drei Familien versuchen auf der Flucht, per Post Kontakt zu halten

von Hans-Ulrich Dillmann  19.11.2020 09:13 Uhr


Unbändiger Überlebenswille und Optimismus, aber auch Verzweiflung und Schicksalsergebenheit ins Unabänderliche finden sich in den Briefen, die sich drei miteinander verwandte jüdische Familien zwischen 1933 und 1945 zugesandt haben.

Mehr als 100 Briefe und Postkarten wechselten zwischen den Familienmitgliedern, die in Nazideutschland verzweifelt versuchten, eine Fluchtmöglichkeit ins Ausland zu finden, und jenen, die in den vermeintlich sicheren Niederlanden, den USA und in Tel Aviv Zuflucht gefunden hatten.

Würde Die einen flehen und bitten in ihren Briefen, die anderen grämen sich darüber, gerettet zu sein, und sind voller Sorge um die verzweifelten Verwandten. Aber immer teilen sie – wie in einem Kettenbrief – allen familiäre Neuigkeiten und Informationen mit, die sie selbst erhalten haben.

Gleichzeitig aber treten sie uns »in den Briefen als Kämpfende entgegen, nicht als willenlose Opfer, die geschunden werden, und in diesem Kampf behalten sie ihre menschliche Würde«, beschreiben die Herausgeber Barbara Reisner und Josef Wißkirchen die Familien, deren Korrespondenz Erna Kaufmann, 1906 geborene Tochter des jüdischen Geschäftsmanns Albert Mosbach, der in Köln ein Importgeschäft für Lebensmittel betrieb, sammelte.

Im Januar 1940 gelang Erna und ihrem Ehemann Walter Kaufmann mit ihren Kindern Herbert und Renate die Flucht in die USA. Den brieflichen Nachlass stellte Barbara Reisner zur Verfügung, Witwe von Erna Kaufmanns Sohn Herbert. Seit 2019 befindet er sich im Archiv des Rhein-Kreises Neuss in Dormagen.

Alfred Gobas aus Lüdenscheid schildert die »schier unüberwindlichen Schwierigkeiten« beim Versuch, irgendeine Möglichkeit zur Ausreise zu finden.

Es ist bedrückend zu lesen, wenn etwa Alfred Gobas, ein aus Lüdenscheid stammendes eingeheiratetes Familienmitglied, die »schier unüberwindlichen Schwierigkeiten« schildert, die sich ihm und seiner Familie beim Versuch, irgendeine Möglichkeit zur Ausreise zu finden, in den Weg stellen. Er bettelt seine Verwandten regelrecht an, ihm bei der Suche nach einem Bürgen zu helfen, um das ersehnte Affidavit, die Einreiseerlaubnis für die USA, zu erhalten. Und Geld für eine Schiffspassage, da »bar jeder finanziellen Mittel«.

Rot-Kreuz-Brief Schließlich kommen von ihm nur noch auf »25 Worte« begrenzte Rot-Kreuz-Briefe. Er wurde gemeinsam mit seiner Familie aus den Niederlanden nach Auschwitz deportiert und dort am 8. Oktober 1942 ermordet.

Noch aus den ersten Nachkriegsmonaten finden sich erschütternde Dokumente, Briefe, die zwischen Köln, Amsterdam, New York und Tel Aviv verschickt wurden. Bis in die ersten Nachkriegsjahre hinein sind es verzweifelte schriftliche Versuche, Aufklärung über das Schicksal und den Verbleib der Verwandten zu erhalten. Und fast immer enden sie wie der Brief von Lotte Tepperberg: »Gestern und heute war wegen des Sieges keine Postverbindung. Gott sei Dank, dass dieser schreckliche Krieg zu Ende ist. Jetzt kommt das bange Warten auf Nachrichten für uns«, schreibt die Tochter von Albert Mosbach aus Tel Aviv.

Jetzt ist das umfangreiche Zeugnis von Flucht und Vertreibung auch über den deutschen Buchhandel zu beziehen.

Josef Wißkirchen, Barbara Reisner (Hrsg.): »Stimmen der Verfolgten 1939–1945. Briefe aus Köln, Amsterdam und Tel Aviv«. Lulu Press, Morrisville 2020, 582 S., 23,90 €

Oper

Kammeroper »Kabbalat Shabbat« in Berlin

Die Zuschauer werden zu einem Schabbatmahl eingeladen. Die Oper ist die erste, die auf Hebräisch in Deutschland interpretiert wird

von Christine Schmitt  23.10.2024

Kunstatelier Omanut

Beschallung mit wunderbaren Stimmen

Judith Tarazi über das erste Inklusions-Konzert, Vandalismus und offene Türen

von Christine Schmitt  22.10.2024

Jüdische Gemeinde Frankfurt

Erstmals eine Doppelspitze

Die neuen Gemeindechefs Benjamin Graumann und Marc Grünbaum wollen Vorreiter sein

von Christine Schmitt  22.10.2024

Potsdam

Gründer des Abraham Geiger Kollegs verstorben

Rabbiner Walter Jacob starb mit 94 Jahren in Pittsburgh

 21.10.2024

Mitzvah Day

Zeit zu verschenken

Jeder ist eingeladen, sich am Tag der guten Taten einzubringen. Anmeldeschluss ist der 1. November

von Christine Schmitt  21.10.2024

Porträt der Woche

Ein Leben mit Büchern

Tanja Korsunska aus Hannover liest, schreibt und organisiert Literaturfestivals

von Chris Meyer  20.10.2024

Berlin

Ceremony of Resilience: Ein Abend des gemeinsamen Gedenkens

Viele kamen nach Kreuzberg, um an den Anschlag von Halle zu erinnern

von Florentine Lippmann  16.10.2024

Makkabi

»Sportlich und mental stärken«

Simone Schneidmann über den Sukkot-Großlehrgang in NRW, Zusammenhalt und die Highlights im Programm

von Ralf Balke  16.10.2024

Feiertag

Abenteuer Sukka

Balkon oder Garten? Es gibt viele Möglichkeiten, eine Laubhütte aufzustellen. Wir haben uns umgesehen

von Chris Meyer  16.10.2024