Gemeindemitglieder kennen es bereits von früheren Urnengängen: Auch zur bevorstehenden Landtagswahl lud die Israelitische Kultusgemeinde zu einer Informationsveranstaltung mit führenden Vertretern der demokratischen Parteien ein. Nach einem Wahlkampf, der in den Worten von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch nicht nur ihr »die Sprache verschlagen hat«, entspann sich im Hubert-Burda-Saal eine Diskussion, die in ihrer thematischen Vielfalt über das Tagesaktuelle hinausreichte.
Ein wiedererstarkender Antisemitismus in Politik und Gesellschaft, die Frage, wie jüdisches Leben endlich Normalität werden kann, aber auch die künftige bayerische Wirtschaftspolitik in Zeiten der Krise und der Status der Kinderbetreuung: Das waren einige der Dreh- und Angelpunkte, zu denen die Wortbeiträge auf dem Podium wie im Publikum immer wieder zurückkehrten.
spitzenkandidaten Alle fünf anwesenden Politiker, vom Antisemitismusbeauftragten der Staatsregierung Ludwig Spaenle (CSU) über Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler), die Spitzenkandidaten von SPD und FDP, Florian von Brunn und Martin Hagen, bis hin zum Grünen-Landesvorsitzenden Thomas von Sarnowski, bekannten sich klar dazu, jüdisches Leben fördern zu wollen.
Spaenle, der vor Judenhass als einem Phänomen warnte, »das schon immer unser Land mitprägt«, forderte klare Gegenwehr und einen entsprechenden Passus gegen Antisemitismus in der Landesverfassung. Von Sarnowski sprach in Zusammenhang mit Judenfeindlichkeit von einer »offenen Wunde«. Und als Moderator Richard Volkmann aus der IKG-Presseabteilung um ein Zeichen bat, wer sich dafür einsetzen wolle, der jüdischen Gemeinde fehlende Gelder für notwendig gewordene zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zukommen zu lassen, hoben alle Anwesenden die Hand. Eine solche Zusage hatte sich IKG-Geschäftsführer Steven Guttmann zuvor mit dem nur halb im Scherz geäußerten Satz »Es ist Zeit für Wahlversprechen« gewünscht.
Nachdem Charlotte Knobloch mit der ersten Frage des Abends den Fokus zunächst auf die Wirtschaftspolitik in Bayern gelegt hatte, kam das Publikum in seinen am Mikrofon und per WhatsApp eingereichten Fragen schnell auf die Ereignisse der vergangenen Wochen zurück. Der Feststellung eines Gemeindemitglieds, Hubert Aiwanger habe es an Reue fehlen lassen, pflichtete das gesamte Podium bei.
antisemitismus Gemäß Florian von Brunn haben »wir weiterhin ein Problem«, Martin Hagen warnte davor, dass die von Aiwanger betriebene »Täter-Opfer-Umkehr etwas mit der demokratischen Kultur« mache, und Ludwig Spaenle vermisste ausdrücklich »politischen Anstand«. Kultusminister Piazolo verwies darauf, man werde vor und auch nach der Wahl mit dem Parteivorsitzenden Aiwanger sprechen, und versicherte persönlich: »Wenn es bei den Freien Wählern antisemitische Tendenzen gäbe, würde ich die Partei morgen verlassen.«
Schließlich kamen auch andere Themen wie wirksame Maßnahmen gegen Antisemitismus zur Sprache. Auf die Frage eines Gemeindemitglieds, wie Polizeischutz für jüdische Gemeinden irgendwann überflüssig gemacht werden könnte, plädierte von Brunn unter anderem für Bildungsmaßnahmen und mehr Austausch zwischen deutschen und israelischen Schulen, während Hagen klare Signale der Politik und einen wehrhaften Rechtsstaat forderte.
War man sich in dieser Frage weitgehend einig, wurden auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik doch Unterschiede erkennbar. Der Grünen-Vorsitzende von Sarnowski bemängelte, dass Bayern bei der Nutzung der Windenergie weit zurückliege, während Ludwig Spaenle den Ausstieg aus der Atomenergie für übereilt hielt. Alle Diskutanten befürworteten die Anwerbung von Fachkräften, den Ausbau der Kinderbetreuung und den Abbau von Bürokratie.
Nach Abschluss der politischen Debatte standen die Kandidaten noch für persönliche Gespräche zur Verfügung, ein Angebot, das viele Gemeindemitglieder gerne nutzten. Wer weiß: Manche Wahlentscheidung wurde womöglich auch hier, im direkten Austausch bei Snacks und einem Glas Rotwein, getroffen.