Die Debatte ist längst nicht zu Ende – und in den jüdischen Gemeinden hört man die unterschiedlichsten Stimmen.
Salomon Korn, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, gehört zu den entschiedenen Befürwortern der kleinen Metalltafeln im Boden, die in vielen deutschen Städten an Schoa-Opfer erinnern: »Ich kenne keine andere Form des Gedenkens, die das Andenken an vertriebene oder ermordete ehemalige jüdische Bürger für jedermann so sichtbar individualisiert wie Stolpersteine«, sagte Korn der Jüdischen Allgemeinen.
Über den jeweiligen Ort verteilte Stolpersteine belegten unübersehbar, so der Architekt, »dass Juden – entgegen tradierter Vorurteile – einst keine homogene Gruppe bildeten, sondern Menschen waren, die sowohl in unmittelbarer Nachbarschaft als auch über die Stadt verteilt gelebt haben.«
München Charlotte Knobloch, Präsidentin der IKG München und Oberbayern, bleibt dagegen bei ihrer ablehnenden Haltung: Stolpersteine seien »unwürdig und pietätlos«, weil die Steine, die eingravierten Namen und somit die Opfer »wieder mit Füßen getreten« würden.
Ein Argument, das Korn wiederum nicht gelten lässt: »Jedes Mahnmal, ob vorwiegend schräg, senkrecht oder waagerecht ausgerichtet, kann geschändet werden«, sagt er. Die sprachlich eingängige Metapher, man könne Stolpersteine »mit Füßen treten«, diene »häufig zu deren Abwehr sowie zur Kaschierung der dahinter liegenden Motive«. Und die Motive der Gegner, meint Korn, seien »fast immer gleich: Man möchte nicht die Schande des eigenen Volkes, des Heimatortes oder die der eigenen Familie öffentlich ausgebreitet sehen«.
Im Münchener Stadtrat fand am 5. Dezember eine Anhörung zum Thema Stolpersteine statt. Im Jahr 2004 hatte der Stadtrat entschieden, das Verlegen von Stolpersteinen auf öffentlichen Grundstücken in der bayerischen Landeshauptstadt zu untersagen. Charlotte Knobloch blieb der Anhörung fern, ließ aber eine Stellungnahme verlesen, in der sie für Alternativen plädierte – wie etwa Metallplättchen an der Wand ehemaliger Wohnhäuser von Juden oder »Kultursteine« an Fassaden.
Auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Oldenburg, Jehuda Wältermann, teilt Knoblochs Auffassung: Er wolle nicht, dass jemand auf dem Namen seines Vaters herumlaufe, sagte er dieser Zeitung unlängst.
Stuttgart Susanne Jakubowski, Vorstandsmitglied der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW), ist dagegen eine Befürworterin von Stolpersteinen. Vor dem Haus gegenüber ihrer Wohnung liegen zwei der metallenen Gedenkplatten. »Sie sind dazu da, dass man darüber ›stolpert‹ und eben aufmerksam wird. Ich finde es sehr interessant zu sehen, dass hier jemand von unseren Leuten gelebt hat – und wo sie umgekommen sind«, sagt Jakubowski.
In ihrem Viertel im Stuttgarter Westen gebe es sehr viele Stolpersteine: »Hier haben früher so viele Juden gelebt, ganz in der Nähe der Synagoge. Man sieht die Steine, wenn man zum Arzt geht oder zur Post. Man sieht etwas, das zum Nachdenken anregt, und das täglich. Man muss sich nicht vornehmen, zu einem Mahnmal zu gehen, sondern man sieht es im Vorbeigehen. Und der Alltag von damals lässt grüßen.«
Es stimme zwar, dass man auf Stolpersteine treten könne, räumt Jakubowski ein. Es sei aber aus rechtlichen Gründen oft nicht möglich, sie an Hauswänden anzubringen. Und noch ein Argument führt die Stuttgarterin ins Feld: »Als wir meinen Vater sel. A. beerdigt haben, wollte meine Mutter sel. A. für ihn keinen stehenden Grabstein – weil man ihn umwerfen könnte. Das Liegende kann man nicht umwerfen, und das gilt auch für Stolpersteine.«
Mit den kleinen Tafeln im Boden erinnert der Kölner Künstler Gunter Demnig vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort an die NS-Opfer. Die Recherche zu Leben und Verfolgung der Opfer übernehmen aber andere: etwa Vereine, die nach ehemaligen Mitgliedern suchen oder sich ohnehin mit lokaler Geschichte befassen, oder Schulprojekte und Privatpersonen, die auf das Schicksal von Menschen aus der Nachbarschaft aufmerksam wurden. Diese Bemühungen werden vor Ort von Menschen koordiniert, die auch das Bindeglied zu Demnig sind.
Leipzig Eine solche Beschäftigung mit der Geschichte »normaler« Menschen sei für Jugendliche wertvoll, sagt Rainer Noack, Geschichtslehrer an der Leipziger Klingerschule. Er leitet eine AG, die sich mit dem Schicksal jüdischer Schülerinnen der damaligen Mädchenschule befasst.
Für zwei dieser Schülerinnen und ihre Familien haben die Jugendlichen bereits Stolpersteine gelegt. »Die Schüler, die bei den Verlegungen dabei sind, bekommen eine emotionale Bindung zu den Opfern, nach dem Motto: ›Das war eine von uns‹«, sagt Noack, »aber die Mitglieder der AG packt darüber hinaus der Forschergeist.«
In Hamburg gibt es das Projekt »Biografische Spurensuche«, einen lockeren Stab von ehrenamtlichen Rechercheuren, die die Lebensgeschichten erarbeiten. Im Anschluss werden sie noch einmal von der Historikerin Beate Meyer am Institut für die Geschichte der deutschen Juden überprüft. Doch wo es keine Kontrolle gibt, können die Biografien und die Steine immer nur so gut sein wie die Rechercheure.
hamburg Trotzdem sorgte ausgerechnet in Hamburg ein Stolperstein für Ärger. Die Enkelin eines Opfers musste feststellen, dass auf dem Stein ihrer Großmutter Erna Lieske der Begriff »Gewohnheitsverbrecherin« stand. Sie war empört, dass auf einem Gedenkstein die Sprache der Nazis verwendet wurde. Nach einigem Hin und Her ist der Stein nun entfernt.
Der Hamburger Fall hat eine Achillesferse des Projektes aufgezeigt: die Zustimmung der Nachkommen. Oft werden Stolpersteine verlegt, ohne dass die Familie davon Kenntnis hat. Doch die Beteiligten betonen: Gegen Widerstand der Hinterbliebenen werden keine Stolpersteine verlegt.
In der Diskussion geht es nicht zuletzt darum, ob die Gedenksteine auch für Menschen gelegt werden sollten, die in der NS-Zeit aus Deutschland vertrieben wurden. Susanne Jakubowski ist dagegen: »Ich finde, Stolpersteine sollten an Menschen erinnern, die während der Schoa ermordet wurden – egal, ob Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle oder politisch Verfolgte.« Eine Ansicht, die Demnigs Intention entspricht, aber wohl nicht von allen Mitgliedern jüdischer Gemeinden geteilt wird. Die Debatte wird also weitergehen.