»Ich bin weder wetterempfindlich noch neurotisch. Aber vor Pessach kann ich an nichts anderes denken, als dass es zweistellige Temperaturen geben soll.« Dieser Wunsch hat für Marla, eine jüdische Hausfrau, die das Pessach-Fest ernst nimmt, einen handfesten Hintergrund. Denn Pessach bedeutet für sie, vor dem ersten Sederabend das gesamte Haus von allem Ungesäuerten, Chametz, befreien zu müssen.
Den Kekskrümeln aus dem Kinderzimmer, Knäckebrot-Resten aus dem Home-Office und Chips-Überbleibseln aus den Couchritzen muss der Garaus gemacht werden. Dafür mobilisiert die 36-Jährige ihre gesamten Putzenergien. Und um rechtzeitig fertig zu werden und die Sisyphusarbeit einzudämmen, verbannt sie ihre Familie in den letzten Tagen vor dem Fest zum Frühstück schon mal in die Diaspora des Balkons. Vorausgesetzt, das Wetter spielt mit. »Sie könnten ja auch schon früher anfangen, Mazzot zu essen«, gibt sich Marla generös. Aber irgendwie seien Mann und Kinder da bockig, fügt sie hinzu und lächelt schelmisch.
planung Kompromisse kann und mag Marla nicht machen. Sie muss die Pessach-Vorbereitungen in ihren Alltag zwischen Beruf, Hausarbeit, Hausaufgaben und den Fahrdiensten zum Ballett und Fußballtraining einbauen. Deshalb kann sie Anna Rapoport nur zustimmen, wenn diese sagt: »Man muss einen Plan machen.« Marla nickt allerdings auch, wenn Anna einschränkt: »Aber Papier ist bekanntlich geduldig ...« Beispiel Lebensmittel: »Wir stellen etwa einen Monat vor Pessach einen Menüplan auf. Das hat zwar bereits eine gewisse Routine, aber ich muss ja auch immer die diversen Essensvorlieben unserer Gäste beachten«, sagt Rapoport.
Die Einkaufsliste kommt an die Kühlschranktür, »damit wir sie ständig ergänzen können, wenn uns noch etwas einfällt«. Da in Frankfurt nicht alles Gewünschte zu bekommen sei, steht für die Familie vor dem Fest des ungesäuerten Brotes auch stets eine Antwerpen-Fahrt auf dem Programm. »Am Schluss haben wir aber doch immer etwas vergessen«, gesteht Rapoport freimütig. Dann ist Kreativität oder Schnelligkeit beim Einkauf gefragt.
Riesige Mengen an für Pessach koscheren Lebensmitteln – aber natürlich nicht nur diesen – muss auch Sterni Havlin nach Hause schaffen und beginnt dies »so früh wie möglich«. Die Mutter von sechs Kindern vertraut dabei auch auf die Hilfe ihres Mannes, beim Einkauf wie beim Putzen.
»Ohne ihn ginge es gar nicht«, sagt die 34-Jährige. Ihr Mann nehme sich beispielsweise alle Bücher vor. Auch Rapoport spannt ihren Mann ein, allerdings nicht für jede Arbeit: »In den Schränken Ordnung zu machen, bitte ich ihn nicht, sonst finde ich anschließend nichts mehr wieder.« Aber die ihm zugewiesenen Arbeiten »macht er klaglos«.
Sorgfalt ist »dabei Pflicht«, sagt Havlin, denn es heiße, dass es das Versprechen von G’tt gebe, einen das ganze Jahr über mit der Vorsicht auszustatten, die man an Pessach walten lasse. »Wir fangen daher direkt nach Purim mit dem Großputz an«, sagt Havlin. Ihre Kinder »essen zwar bis zur letzten Minute Chametz«, aber die Großen unterstützten sie bereits tatkräftig in den Ermahnungen darin, dass die Kleinen nicht mehr krümelnd durch die Wohnung laufen.
Chametz-Verkauf Beim Putzen fängt sie mit den Büchern und Schubladen an, Rapoport beginnt bereits im Januar, etwa die Schränke mit der Sommerkleidung zu reinigen. »Da müssen wir ja bis Pessach nicht dran und wissen damit, dass es garantiert sauber bleibt.« Die »größte Revolution«, wie Havlin es bezeichnet, findet ganz zuletzt in der Küche statt. Alles, was noch an Gesäuertem vorhanden ist, kommt in einen Schrank beziehungsweise in den Keller, wird dort verschlossen und symbolisch verkauft. »Damit gehört das Chametz nicht mehr uns; nach Pessach kaufen wir es dann wieder zurück.«
Auf dieselbe Art verfährt auch Rapoport, die meint, die Vorbereitungen in der Küche seien so etwas »wie ein Umzug«. Schließlich müsse nicht nur das Chametz verschwinden, sondern auch das Pessach-Geschirr gegen das gewöhnliche ausgetauscht werden. Havlin hat sogar einen eigenen Pessach-Herd, der vom Keller in die Wohnung geschafft werden muss.
Rein »kochtechnisch« kann Sterni Havlin dem ersten Sederabend, wie viele Frankfurter, ganz entspannt entgegensehen: Sie organisiert den Chabad-Seder mit, der vom koscheren Restaurant Sohar beliefert wird. Beim Geschirr behilft sich Chabad mit Plastik und Pappe.
Jewish Experience (www.jewishexperience.de) lädt »alle jüdischen Studenten und jungen Erwachsenen« gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und Achim zum »Pessach Experience« an beiden Sederabenden ein. Und auch die Gemeinde selbst bittet an beiden Abenden im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum zu Tisch.
verreisen Rapoport feiert mit Gästen zu Hause, in anderen Jahren entflieht sie dem Ganzen aber auch gerne. Aber in diesem Jahr sei Pessach so früh, »dass es in den Nahzielen noch zu kalt ist«. Dafür fällt es zumindest nicht wieder so, dass es direkt an Schabbat angrenzt und die Vorbereitungen endgültig in Stress ausarten. Wie viel Adrenalin wird aber an einem »normalen« Pessachfest ausgeschüttet?
»Pessach ist Stress, aber am Ende bekommt man eine sehr gute Zeit«, meint Havlin. Für Rapoport ist es vergleichbar »mit anderen Veranstaltungen. Direkt vor dem Seder ist es anstrengend, wie etwa auch bei einer Geburtstagsfeier. Aber wenn’s losgeht, kann ich auch entspannen.« Und bei Marla überwiegt am Ende die Vorfreude: »Weil mein Mann weiß, wie sehr ich das Putzen hasse, schenkt er mir jedes Jahr nach Pessach einen Wellness-Tag.« Ein Beispiel, das Schule machen sollte.