Der Plärrer ist kein schöner Ort. Am südwestlichen Rand der Nürnberger Altstadt gelegen, treffen mehrere vielspurige Straßen aufeinander. Die Trambahnen ziehen ihre Wendeschleifen, und Stahlbeton in tristem Grau dominiert die Fassaden. Vielleicht ist hier nicht der ungeeignetste Ort für ein Denkmal, das an eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte erinnert: das Denkmal für die Zwangsarbeiter des Naziregimes.
»Ohne die Zwangsarbeiter wäre Hitlerdeutschland gar nicht in der Lage gewesen, seine monströse Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten. Allein in Nürnberg hat die Zwangsarbeit um die 5900 Tote gefordert«, berichtet Armin Glass in der U-Bahnstation. Durch die Decke ragt wie eine Pfeilspitze der untere Teil des Denkmals.
Historiker Glass ist im Bereich Nationalsozialismus des Vereins »Geschichte für alle« aktiv. Er und über 500 andere Stadtführer vermitteln Geschichtswissen aus der Region an Interessierte – ehrenamtlich. Dabei ist Glass kein studierter Historiker, sondern eigentlich IT-Manager. »Mich fasziniert Geschichte. Meine Ausgangsfrage war: Wie konnte es so weit kommen, dass Deutschland unter Hit- ler all diese Verbrechen beging? Warum sind die Menschen diesem Mann so bedingungslos hinterhergelaufen?«
Eine der sieben Stationen des neu konzipierten Rundgangs ist das Denkmal für die zerstörte Adass-Jisroel-Synagoge in der Essenweinstraße. Die Steinstele mit ihrer metallenen Inschrift steht heute vor einer Tankstelle, ein wenig verloren wirkt sie am Straßenrand zwischen Parkplätzen und Nachkriegsbauten. Dass hier einmal ein orthodoxes Bethaus stand, lässt sich kaum noch erahnen. Während sie den Brandschatzungen durch die SA zum Opfer fiel, wurde die prächtige Hauptsynagoge am Hans-Sachs-Platz am 10. August 1938 medienwirksam abgerissen. Den Befehl dazu erteilte Julius Streicher, der Herausgeber der Hetzzeitung »Der Stürmer«.
»Nach 1945 lebten nur noch 50 Juden in Nürnberg, 1922 waren es noch über 9000. Nürnberg war seit dem Mittelalter ein Anziehungspunkt für jüdisches Leben, leider aber auch immer wieder Schauplatz von Vertreibung und Mord«, erläutert Glass. Für ihn sind die Fakten mehr als nackte Zahlen. Er spricht von Schicksalen. Dabei kann er seine Rührung kaum verbergen.
Strapazen Was es heißt, dem Tod nur knapp zu entrinnen, weiß einer der Teilnehmer der Stadtführung aus eigener Erfahrung. Siegfried Heilig scheut trotz seiner 80 Jahre die Strapazen eines zweistündigen Rundgangs bei 34 Grad nicht. Er ist mit seinem Enkel gekommen. Die Familie gehört zur Minderheit der Sinti.
»Die Geschichte meines Großvaters begleitet mich schon mein ganzes Leben. Das Bewusstsein darum, woher ich stamme, ist mir daher sehr wichtig«, erzählt der 20-jährige Nino Schneeberger. Die Familie, die ursprünglich aus Magdeburg kommt, war in den 30er-Jahren auf Jahrmärkten als Schausteller mit einem eigenen Marionettentheater unterwegs.
Als die Gestapo eines Tages plötzlich auftauchte, konnte sich der kleine Siegfried mit einigen anderen Kindern in einem Planwagen verstecken, von dem seine Mutter die Polizisten geistesgegenwärtig ablenkte. Sie, ihr Mann und einige Arbeitskollegen wurden noch am selben Tag festgenommen und nach Auschwitz deportiert. »Viele Menschen wissen nicht, was ich meine, wenn ich sage, dass ich ein Sinto bin. Und noch weniger wissen, dass auch Sinti und Roma von den Nazis verfolgt wurden. Ich würde mir wünschen, dass das in den Schulen gelehrt wird.«
Roma Die Führung macht am Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma halt, dann bei der Gedenkstele für die verfolgten Homosexuellen. Die Urteile, die bis 1945 wegen Homosexualität gefällt wurden, wurden erst 2002 aufgehoben. Dass die menschenverachtende Ideologie der Nazis aber längst nicht aus allen Köpfen verschwunden ist, wird klar, als die Gruppe noch einen Stopp in der Kartäusergasse einlegt.
Hier wird der Opfer des NSU gedacht. Auf der Stele sind die Namen von drei Nürnbergern zu lesen: Enver Simsek, ermordet im September 2000, Abdurrahim Özüdogru, ermordet im Juni 2001, und Ismail Yasar, ermordet im Juni 2005. Am Ende der Führung wirft die Vergangenheit mahnend ihre Schatten auf die Gegenwart.