Das Theater Erfurt war erstmals nach der Corona-Pandemie Schauplatz einer Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille im gewohnt festlichen Rahmen. Zur traditionellen Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit wurde die diesjährige Auszeichnung, die den Namen der beiden jüdischen Philosophen Martin Buber (1878 –1965) und Franz Rosenzweig (1886–1929) trägt, an die »Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum« verliehen.
Die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße wurde 1865 eingeweiht; seit 1991 steht die prächtige Fassade wieder, über deren Eingang der Spruch aus Jesaja 26:2 prangt: »Tuet auf die Pforten, dass einziehe das gerechte Volk, das bewahrt die Treue …«
BRANDSPUREN Die Synagoge, Deutschlands größte und prächtigste, wurde während der Pogromnacht 1938 durch Brandstiftung beschädigt – aber durch den mutigen Einsatz des Reviervorstehers Wilhelm Krützfeld und seiner Polizisten vom Hackeschen Markt mit Verweis auf den Denkmalschutz vor der Zerstörung durch die SA bewahrt. Bis 1943 überstand sie den Naziterror, wenn auch entweiht und geschändet durch das »Reichssippenamt«, das das dort ansässige Gesamtarchiv der deutschen Juden für sogenannte Ariernachweise beziehungsweise deren Gegenteil missbrauchte.
Die Neue Synagoge in Berlin war die größte Deutschlands.
Ab 1943 nutzte die Gestapo das Nebengebäude als Gefängnis und Folterstätte. Im selben Jahr zerstörten alliierte Bomben einen Großteil des Gebäudes. 1958 wurde der Synagogen-Hauptraum, der am schwersten beschädigte Teil des Gebäudes, gesprengt. Der Ostberliner Jüdischen Gemeinde wurde im Gegenzug zugesichert, den der Straße zugewandten Teil des Gebäudes als Mahnmal zu bewahren.
Darauf musste sie 30 Jahre warten – bis 1988, schon unter dem Eindruck der Reformbewegung in der DDR, der Wiederaufbau des erhaltenen Vorderteils der Synagoge begann. Das war die Geburtsstunde der »Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum«.
In Anlehnung an die Inschrift in Berlin lautet das Motto der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit des »Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit«: »Öffnet Tore der Gerechtigkeit – Freiheit Macht Verantwortung«. Der zweite Teil des diesjährigen Mottos ist bewusst doppeldeutig gehalten. Denn Freiheit bedeute sowohl Macht wie Verantwortung und »macht«, also erzeugt, gleichermaßen Verantwortung. Das betonten sowohl Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) als auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke).
Bausewein fragte mit Blick auf das Pogrom von 1349 in Erfurt und dessen Folgen in seiner Begrüßung: »Wie war das alles möglich? Um wie viel wäre Erfurt heute menschlich reicher, wenn es nicht zu diesem schrecklichen Pogrom gekommen wäre?«
BRÜCHE Bodo Ramelow verwies im Gespräch mit Moderatorin Yara Hoffmann auf die historische Verantwortung Thüringens und Erfurts. Die Verbrennungsöfen von Auschwitz stammten von der Erfurter Firma »J. A. Topf & Söhne«, in Eisenach habe das »Entjudungsinstitut« der Evangelischen Kirche (»Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben«) sein Unwesen getrieben. Man dürfe »nichts unter den Teppich kehren, wenn wir an die Brüche gehen, die vorhanden sind«.
Gleichzeitig spüre er eine große Freude, wenn er an Alan Bern und dessen Yiddish Summer Weimar oder die Jüdisch-Israelischen Kulturtage in Erfurt denke. Der genannte künstlerische Leiter des Yiddish Summer Weimar, Bandleader, Komponist jiddischen Liedguts und Pianist sorgte übrigens mit Mark Kovnatskiy (Violine) und Sängerin Sveta Kundish mit Vertonungen von Gedichten der jüdischen Schriftstellerin Kadya Molodowsky (1894 bis 1975) für die eingängig-eindrucksvolle musikalische Begleitung.
Dass die Medaille schwer ist, stellte Anja Siegemund bei der Überreichung fest.
Zudem, so Ramelow, dürfe man das Erstarken der rechten Szene »nicht immer nur in der Nähe der jüdischen Gemeinde diskutieren. Es ist eine Angelegenheit der Mehrheitsgesellschaft. Wir müssen hellwach sein, wenn Minderheiten ausgegrenzt werden. Jede Minderheit, die hier ausgegrenzt wird, muss uns alarmieren. Wir dürfen die Ohren nicht zumachen, wir müssen sehr wachsam sein.« Auf die Frage, was ihm denn in diesem Kontext am Herzen liege, antwortete Ramelow: »Sich gerade machen!«
In seiner Laudatio erinnerte Andreas Nachama, der jüdische Präsident des Deutschen Koordinierungsrats, an die Eröffnungsrede des Gründungsdirektors des Centrum Judaicum, Hermann Simon. Der Historiker musste krankheitsbedingt für diese Feier absagen. Im Jahre 1995 berichtete er in seiner Rede, wie »wenige Meter von hier im Sammellager Große Hamburger Straße« seine Großmutter umgekommen war. »Wir sind hier an der gleichen Stelle, aber nicht an derselben.« Ein Satz, der für sämtliche Orte gilt, in denen in Deutschland jüdisches Leben blühte und dann vernichtet wurde.
Umso wichtiger sei die Arbeit des Centrum Judaicum, das in Erfurt mit der Buber-Rosenzweig-Medaille geehrt wurde. Denn, so Anja Siegemund, Direktorin der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, das Centrum sei ein »Ort des Dialogs mit bundesweiter Ausstrahlung«. Es sei ihr Wunsch, dass an diesem Erinnerungsort die Relevanz fürs Heute diskutiert wird. Dieser Teil Berlins in der Geschichte und Gegenwart »tue auf die Pforten für Begegnungen«.
Dass die Medaille schwer ist, stellte Anja Siegemund bei der Überreichung durch Margaretha Hackermeier, die katholische Präsidentin des Deutschen Koordinierungsrats, fest. Das bedinge jedoch, dass sie auch gewichtig sei, zitierte Siegemund Andreas Nachama und hielt stolz Urkunde und Medaille in die Kameras.
VERANTWORTUNG Zur konfessionellen Ausgewogenheit folgte auf die Preisverleihung noch die Eröffnungsrede zur Woche der Brüderlichkeit durch Pfarrer Friedhelm Pieper, den evangelischen Präsidenten des Deutschen Koordinierungsrats. Er erinnerte an die moralische Herausforderung, die die »russische Vernichtungswalze« in der Ukraine für alle Gläubigen bedeute. »Frieden muss Ziel aller Bemühungen und Gebete bleiben. Aber wir können zugleich unserer Verantwortung nicht ausweichen. Im Moment ist umfassende militärische Unterstützung das Gebot der Verantwortung.«
Zudem erinnerte Pieper an die mahnenden Worte von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland: »Jüdinnen und Juden stehen ganz oben bei denen, die Sündenböcke im Lande suchen. Es muss zu unser aller Verantwortung zählen, diese katastrophale Entwicklung zu stoppen.«