Edith Erbrich ist zurückgekehrt – an einen Ort, der für sie als kleines Mädchen ein Ort der Angst und des Abschieds war. Sieben Jahre alt war sie, als sie zusammen mit ihrem jüdischen Vater und ihrer elfjährigen Schwester tagelang mit 100 anderen verängstigten Menschen im Keller unter der Frankfurter Großmarkthalle zusammengepfercht wurde, bis man sie alle in einem Viehwaggon nach Theresienstadt deportierte. Die Mutter, eine Katholikin, hatte die Gestapo angefleht, doch mitfahren zu dürfen mit ihrer Familie – aber man gestattete es ihr nicht.
70 Jahre später tritt Edith Erbrich als erste Rednerin ans Pult im lichtdurchfluteten Foyer der Europäischen Zentralbank (EZB), deren Neubau auf dem Gelände der Großmarkthalle direkt am Ufer des Mains errichtet wurde.
Brücke Mit einem Festakt ist am Sonntag die »Erinnerungsstätte für die in der Zeit des Nationalsozialismus aus Frankfurt am Main deportierten Jüdinnen und Juden« eröffnet worden. Eine kleine Brücke, Bestandteil des Mahnmals, weil von dort aus verzweifelte Menschen ihren Angehörigen in davonrollenden Güterzügen hinterherwinkten, trägt jetzt den Namen »Edith-Erbrich-Steg«. Die Geehrte wünscht sich diese Gedenkstätte als »Ort der Stille und der Einkehr« – und dass kein Vandalismus sie jemals beschädige.
»Kein Mahnmal kann vermitteln, was Menschen hier durchlitten haben. Jeder Versuch, das zu vergegenwärtigen, ist zum Scheitern verurteilt«, sagte Salomon Korn, Sprecher des Vorstands der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, bei der Eröffnung.
Und doch erteilt er damit der Erinnerungskultur keine Absage – im Gegenteil. Korn lobte die Zurückhaltung, die die beiden Architekten der Gedenkstätte, Marcus Kaiser und Tobias Katz, bei der Gestaltung des Areals geübt haben: »Ein Mahnmal muss sich ganz zurücknehmen. Es muss dem Betrachter Raum geben für eigene Assoziationen und für seinen Versuch, sich darin einzufühlen, was an diesem Ort geschah.« Für Korn ist es der einzige Weg, sich dem unendlichen Leid der Opfer, das jede Vorstellungskraft sprenge, zumindest anzunähern.
akzent Katz und Kaiser haben die Spuren der Erinnerung auf dem weitläufigen EZB-Gelände fast beiläufig inszeniert. So sind 26 Zitate von Zeitzeugen in den betonierten Spazierweg, in Mauern und in das ehemalige Stellwerk eingeschrieben, denn es war den Architekten wichtig, »den alltäglichen Charakter des Ortes zu bewahren«.
Auch damals, als zwischen 1941 und 1945 insgesamt etwa 10.000 Juden bis zu ihrem Abtransport nach Osteuropa im Keller eingesperrt wurden, ging im Stockwerk darüber Tag für Tag der Marktbetrieb munter weiter. Auf dem Platz vor dem Stellwerk, das eigens für die Deportationszüge gebaut worden war, verlaufen Gleise – und verschwinden im Nirgendwo. Nur die Betonrampe, die Assoziationen an das Vernichtungslager Auschwitz weckt, wurde von den Architekten als starker Akzent gesetzt: In beklemmender Enge und mit leicht abschüssigem Boden führt sie in den Keller.
»Es ist so still hier unten, als habe man gerade eben erst die Menschen herausgetrieben und in die Züge verfrachtet«, meint eine sichtlich erschütterte Besucherin. Ihre Reaktion entspricht genau dem, was EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio in seiner Ansprache anmahnte: »Wir dürfen nicht indifferent bleiben!«
konzept Oberbürgermeister Peter Feldmann hob hervor, dass keine andere deutsche Stadt so sehr durch ihre jüdische Gemeinde geprägt wurde wie Frankfurt. »In einer Zeit, in der Flucht und Vertreibung wieder sehr nahe gerückt sind, dürfen wir nicht vergessen, was hier, mitten in unserer Stadt, Menschen angetan worden ist«, unterstrich er.
Raphael Gross, Direktor des Frankfurter Jüdischen Museums, wies darauf hin, dass man künftig Führungen und Workshops anbieten werde, um Informationen zum historischen Hintergrund zu vermitteln. Es sei bei der Konzeption der Erinnerungsstätte bewusst darauf verzichtet worden.
Da sich der historische Kellerraum und die Rampe auf dem Gelände der EZB befinden, kann dieser Abschnitt ohnehin nur mit einer angemeldeten Führung betreten werden. Die anderen Elemente des Mahnmals hingegen sind öffentlich zugänglich. Auf der Internetseite des Museums findet sich außerdem eine Aufarbeitung zur Geschichte der Deportationen.
www.frankfurt1933-1945.de