Sie haben es angepackt. Elf Ehrenamtliche gründeten am 18. August in Dresden den Verein Bikur Cholim, um hilfsbedürftigen alten und kranken Gemeindemitgliedern noch besser helfen zu können. »Wir greifen damit eine alte Tradition auf: Vor 1933 ist die jüdische Sozialarbeit in Dresden überwiegend über Vereine und Stiftungen gelaufen«, erklärt Johanna Stoll vom Vorstand. »Jetzt nehmen wir der Gemeinde ein bisschen Last von den Schultern.«
Bisher lief die Vermittlung von Hilfe immer über die Sozialabteilung der Gemeinde. Doch da die Anfragen sich häufen, ist eine bessere Organisation dringend notwendig. Der Verein bekommt viel Arbeit, obwohl viele ältere Gemeindemitglieder bereits von üblichen Pflegediensten betreut werden. Der Grund liegt in der Überalterung der Gemeinde, die Hälfte ihrer Mitglieder ist älter als 60 Jahre, mehr als 90 Prozent stammen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. »Viele von ihnen sind Holocaustüberlebende. In ihrer Heimat wurde das Thema nicht aufgearbeitet und so brechen schmerzliche Erinnerungen im Alter durch«, erläutert Inessa Lukach.
Trauma Die Zahnärztin ist selbst vor einigen Jahren aus der Ukraine gekommen. Heute arbeitet sie in der medizinischen Beratung der Gemeinde, leitet den Treff für Holocaustüberlebende und wirkt nun auch bei Bikur Cholim mit. Übliche Pflegedienste seien mit den traumatisierten Patienten oft überfordert, sagt sie. »Dazu kommen Sprachprobleme, denn nur wenige Pflegekräfte sprechen Russisch«, ergänzt Elena Tanaeva. Die 51-Jährige hat als Sozialarbeiterin der Gemeinde viele Erfahrungen sammeln können. Die Helfer von Bikur Cholim sollen bei Haus- und Krankenhausbesuchen übersetzen oder ärztliche Anweisungen und Antragsformulare erläutern. Zudem regt der Verein Rabbinerbesuche an.
Geschult werden die Helfer in Seminaren der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Bikur Cholim möchte zudem einen Telefondienst einrichten, Fördergelder aquirieren und noch mehr Mitarbeiter finden. Eine kleine Aufwandsentschädigung gibt es ab 20 Arbeitsstunden pro Woche. Auf diese Zeit kommt Inessa Lukach schnell. Schon jetzt nimmt sie bis zu sechs Terminen pro Woche wahr. »Diese können zwei, aber auch vier Stunden dauern und immer fahre ich mit Bus und Bahn quer durch die ganze Stadt«, erzählt sie.
Empathie Das Gefühl, jemandem geholfen zu haben, gibt ihr Kraft. »Ein Ehrenamtlicher braucht Empathie, und er muss gut zuhören können«, sagt Elena Tanaeva. Sollte sie mal Hilfe brauchen, wünscht sie sich: »ein großes Haus, in dem alle versorgt werden. Jeder hat dort sein eigenes Zimmer, aber es wird auch gemeinsam gefeiert oder auch getrauert werden.« Bis es in Dresden eine solche jüdische Einrichtung gibt, haben die Ehrenamtlichen von Bikur Cholim jedoch alle Hände voll zu tun.