»Oft höre ich die Frage: Wie lang lebst du in Deutschland? Und dann sage ich die Wahrheit: Ich lebe nicht in Deutschland, ich wohne hier. – Und wo lebst du? Oh, weit von hier. Ich lebe in Kiew, im Viertel Podol. Ich lebe in einem Haus. Dieses Haus hat noch mein Urgroßvater gebaut vor der Revolution. Und dort, in diesem Haus mit meinem Großvater, meiner Großmutter, meinen Eltern, mit meinem Bruder habe ich 21 Jahre gelebt.«
So beginnt Alexander Kostinskij im Gemeindezentrum der IKG seine Geschichte zu erzählen. Der Musiker Dan Egorov begleitet diesen Auftritt mit jiddischen Melodien auf der Klarinette. Eine Veranstaltung im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit, organisiert vom Kulturzentrum der IKG und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Seit 1992 ist der Buch- und Theaterautor, Illustrator, Zeichner und Maler, Rundfunksprecher und Märchenerzähler Alexander Kostinskij in München. Geboren wurde er 1946 in Kiew, in der Ukraine. Dort studierte er Geschichte und Kunstgeschichte. Seit 1970 publiziert er Kinderbücher und entwickelt Szenarien für Zeichentrickfilme, die weltweit ausgezeichnet wurden. Aufgewachsen ist Kostinskij in einer Welt voller Geschichten, der Welt seines Großvaters Josef.
Fingerhut Mit Liebe und Wärme erzählt Kostinskij über ihn und dessen Leben, das ohne Witz, Scherz und Humor nicht denkbar war. »Ohne Zucker können wir noch leben, aber ohne Salz geht es nicht. Und ein Leben ohne Witze und Scherze ist wie eine Suppe ohne Salz.«, zitiert Kostinskij die Weisheiten seines Großvaters. Kostinskij liest nicht, er erzählt einfach. Wie zum Beispiel sein Großvater, der Schneider war, einen Fingerhut verloren hat und, nachdem er ihn wiedergefunden hatte, seinem Enkel erklärt: »Weißt du, wenn du glücklich sein willst, musst du ab und zu etwas verlieren. Wer nichts verlieren kann, der kann auch nichts finden. Und wer nichts findet, der kann nicht glücklich sein. Ich habe etwas gefunden, und ich bin jetzt glücklich.«
Ein guter Geist im Haus, Schmulik, hilft, nicht nur, wenn es ums Finden geht. Dieser gute Geist seiner Kindheit war natürlich dabei, als Kostinskij sein erstes Buch in Deutschland veröffentlicht hat. Schließlich geht es in Mein jüdisches Glück unter anderem um Schmulik selbst. Es folgt eine Reihe von Kinderbüchern, Erzählbänden und Hörbüchern wie Die grüne Katze, Alles wird gut, Der Sternenverkäufer, Davids Träume und viele andere.
Immer wieder begleiten den Autor und Maler Kostinskij die Weisheiten seines Großvaters. Wie er zum Beispiel seine Geschäftspartner mit Witzen auf die Probe stellte und prüfte, wie der Mensch auf einen Witz reagiert. Denn das hat ihm gesagt, ob man mit diesem Menschen ein Geschäft machen kann. Oft saß Kostinskij abends im Kreis der Familie, wenn alle Tee mit Zitrone tranken, den Strudel von Großmutter Rachel aßen und sich daran vergnügten, wie Großvater und Vater mit Witzen und Scherzen nur so jonglierten. »Solange ich meine Witze erzähle«, hat Josef immer wieder seiner Frau Rachel gesagt, »wirst du keine Witwe«. Als Josef dann doch gestorben ist, sagte seine Großmutter: »Jetzt muss ich meine Suppe ohne Salz essen. Vielleicht erzählst du mir etwas? Erzähl mir Witze von deinem Großvater.« Seitdem erzählt Alexander Kostinskij.
Ellen Presser, die Leiterin des Kulturzentrums der IKG, erinnert sich an die erste kleine Ausstellung von Alexander Kostinskij im Kulturzentrum vor 15 Jahren: »Wie weit sind Sie gekommen in einem fremden Land, in einer fremden Sprache, nur mit dem jüdischen Erbe, das Sie mitbekommen haben und das Sie auf wunderbare Weise literarisch und illustrationsmäßig zum Ausdruck bringen«.