Identität

Offline Spaß haben

Fast jede jüdische Gemeinde in Deutschland hat ein Jugendzentrum, das für Kinder und Teenager ein Programm bietet. Foto: Frank Albinus

Identität

Offline Spaß haben

Drei Fragen an sechs Jugendzentrumsleiter

von Katrin Richter  21.03.2011 14:27 Uhr

Buchklub, Schachwettbewerb, Disko? Das klingt in Zeiten von Facebook oder Twitter nach dunklem Mittelalter. Dennoch waren das einige Grundsteine, mit denen die Jugendzentren (JuZe) der jüdischen Gemeinden Jugendliche in ihrer Freizeit zusammenbringen wollten. Heute gib es Pokerturniere, Clubbing oder Gesangswettbewerbe. Doch das Ziel, jüdischen Kindern und Teenagern beispielsweise sonntags ein Programm anzubieten, das ihnen Spaß macht und im Alltag hilft, ist geblieben. Allerdings stehen die Jugendzentren und ihre Mitarbeiter vor immer neuen Herausforderungen. Wir haben sechs Zentrumsleiter gefragt, wie sie damit umgehen.

1. Was sollte ein gutes Jugendzentrum leisten?
2. Wie zeitgemäß sind Jugendzentren heute noch?
3. Kann zu wenig finanzielle Unterstützung ein Grund für mangelnde Attraktivität sein?

Und so haben sie geantwortet:

Anna Beregova, Jugendzentrum Chazak, Hamburg
1. Es schafft bei den Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein von jüdischen Werten und Tradition. Juden sind eine Familie mit einer über 5.000 Jahre alten Geschichte und der Tora. Wenn wir gemeinsam unsere jüdische Identität leben, füreinander da sind, dann haben wir unsere Aufgabe erfüllt.

2. Für Kinder und Jugendliche sind sie lebenswichtig, weil sie dort ihre Identität in einer Gemeinschaft von Gleichaltrigen finden können. Kinder haben heute keine oder nur wenig Geschwister und so sind Jugendzentren ein wichtiger Bestandteil jüdischer Erziehung.

3. In den Gemeinden muss das Bewusstsein wachsen, dass man in die Jugendarbeit investiert, weil die Jugend die einzige Zukunft der jüdischen Gemeinden ist.

Oleg Tartakowski, Jugendzentrum Tikwatejnu,
Duisburg

1. Ein Ort der Freundschaft und der Gemeinschaft, eine Anlaufstelle bei Problemen. Im Jugendzentrum soll die eigene jüdische Identität gestärkt werden.

2. Sehr zeitgemäß. Die Struktur und Beständigkeit bei Tikwatejnu gibt Sicherheit. Besonders im schnelllebigen digitalen Zeitalter wird der persönliche Umgang mit Glaubensgenossen verschiedener Altersgruppen unersetzlich für die Persönlichkeit.

3. Die Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen weiß, wie wichtig Tikwatejnu ist. Ohne deren Unterstützung wäre eine strukturierte Jugendarbeit schwierig. Dennoch: Ein JuZe wird nicht allein durch Computer oder Ausflüge attraktiver. Es lebt vom Engagement aller, die mit Herz dabei sind.

Patricia Gotfrid-Levy, Jugendzentrum Amichai, Frankfurt/Main
1. Es sollte Aktivitäten für verschiedene Altersstufen und verschiedene Interessen anbieten, wobei die Wahrung der jüdischen Tradition Grundlage ist – man muss aber zeitgemäß sein.

2. Das JuZe ist besonders in Zeiten von virtuellen Freundschaften über Facebook, Twitter modern, da es wie die (Mini-)Machanot ermöglicht, sich in der »Realität« zu treffen. Die Aktivitäten des JuZes bieten zugewanderten Jugendlichen die Möglichkeit, sich in das Gemeindeleben zu integrieren und ungezwungen eventuell fehlendes Wissen anzueignen.

3. Wichtig sind motivierte Madrichim, die auch mit weniger Geld tolle Programme machen können. Und die Unterstützung durch die Gemeinde, wie hier in Frankfurt.

Xenia Fuchs, Jugendzentrum Olam, Berlin
1. Es soll allen Kindern und Jugendlichen ein zweites Zuhause sein. Sie sollen sich dort wohl fühlen, ihre Freunde treffen können und immer von den Betreuern und den Leitern Unterstützung und Hilfe erfahren.

2. Vielen Kindern und Jugendlichen fehlt die Zeit: Einige besuchen Tanzvereine, Sportclubs, gehen zur Nachhilfe, sodass kaum Zeit für das JuZe bleibt. Es ist ein wichtiger Bestandteil der jüdischen Jugend. Man trifft Freunde, lernt neue Leute kennen, verbringt eine wunderbare Zeit gemeinsam. Im JuZe werden Freundschaften fürs Leben, sogar feste Beziehungen geschlossen. Wir versuchen mit der Zeit zu gehen, um das Programm so attraktiv wie möglich zu gestalten.

3. Leider ja. Doch auch mit wenig Geld, aber Engagement kann man einiges erreichen.

Katia Novominski, Jugendzentrum Schalem, Dresden
1. Ein gutes Jugendzentrum soll an erster Stelle ein Ort zum Ausleben des Judentums sein. Es sollte sozialpädagogische Services anbieten und ein Ort der Begegnung mit Gleichgesinnten – also jüdischen – Jugendlichen sein.

2. Ein Jugendzentrum ist das, was man daraus macht. Wenn es aktuelle Themen behandelt, sich nicht vor modernen Medien verschließt und attraktive Programme bietet – dann ist es mehr als aktuell. Gerade heute, wo die realen sozialen Kontakte nachlassen und die Kinder sich auch zunehmend weniger bewegen, wird ein Jugendzentrum dringend gebraucht.

3. Kann, muss aber nicht sein. Es ist nur ein bequemes Argument, um sich nicht zu engagieren. Gerade heute dürfte es nicht das ausschlaggebende Problem sein.

German Djanatliev, Jugendzentrum Mehalev, Nürnberg
1. Es sollte auf die spezifischen Bedürfnisse junger Menschen eingehen, ihnen das Judentum näher bringen und ihre Identität stärken.

2. Unsere religiöse und kulturelle Tradition kann auch heute für Kinder und Jugendliche spannend sein. Aktivitäten wie Sport, Spaß, Seminare und Studienberatung dürfen dabei nicht fehlen. Hier ist der ideale Platz, um neue Freunde kennenzulernen. Oder »alte Kumpel« wiederzutreffen.

3. Finanzielle Unterstützung spielt eine große Rolle. Interesse und Begeisterung der Kinder kann man jedoch mit Geld nicht kaufen, man soll sie wecken. Die Gemeinde unterstützt die Jugendarbeit in allen Angelegenheiten und finanziert jedes der angebotenen Projekte.

Biografie

»Traut euch, Fragen zu stellen«

Auch mit 93 Jahren spricht die Schoa-Überlebende Eva Szepesi vor Schülern. Nun hat sie ein Bilderbuch über ihre Geschichte veröffentlicht

von Alicia Rust  06.07.2025

Freiwilligendienst

Helfen und lernen

Vier Israelis erzählen, warum sie ehrenamtlich in Deutschland arbeiten

von Christine Schmitt  06.07.2025

Porträt der Woche

Die Welt verbessern

Noam Quensel möchte sich engagieren und das Judentum nach außen tragen

von Eugen El  06.07.2025

München

Das Schweigen brechen

Stephan Lebert und Louis Lewitan stellten ihr neues Buch »Der blinde Fleck« über ein deutsches Tabu und seine Folgen vor

von Helen Richter  03.07.2025

Sport

Fit mit Makkabi

Schmerzt der Rücken? Fehlt die Kraft? Wir haben vier Übungen für alle, die fit im Alltag werden wollen. Gezeigt hat sie uns Noah von Makkabi

von Katrin Richter  03.07.2025

Berlin

»Wie vorm Berghain«

Avi Toubiana über das Kosher Street Food Festival, organisatorische Herausforderungen und Warteschlangen

von Helmut Kuhn  06.07.2025 Aktualisiert

Lesung

Familiengeschichten

Der Autor Daniel Zylbersztajn-Lewandowski stellte im »taz-Café« zwei Bücher über seine Vorfahren vor – und lernte bislang unbekannte Verwandte kennen

von Alicia Rust  03.07.2025

Chemnitz

Marx und Mikwe

Die Jüdische Gemeinde präsentiert sich im Kulturhauptstadtjahr zwischen Baustelle, Geschichte und Begegnung. Ein Ortsbesuch

von Anett Böttger  02.07.2025

Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Warum sich Deutschland im Sommer an Israel ein Beispiel nehmen sollte

von David Harnasch  02.07.2025 Aktualisiert