Zwei Juden – drei Meinungen». Was auf der Einladung der Europäischen Janusz Korczak Akademie (EJKA) zu ihrem vierten Schwerpunkttag «Jüdische Identität in den Medien?» noch ganz theoretisch klang, wurde bei der Diskussion am vergangenen Sonntag in Berlin ein wenig wahr.
Rund 80 Besucher gingen bei der Veranstaltung, die in Kooperation mit dem Zentralrat der Juden stattfand, in drei Diskussionsrunden der Frage nach, ob es eine solche jüdische Identität in den Medien gibt und was sie ausmacht.
Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann sagte in seinem Grußwort: «Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, dass die jüdische Gemeinschaft mit dem Zentralrat der Juden ein starkes und engagiertes Sprachrohr hat.» Als Teil der Gesellschaft sei es zudem wichtig, «dass die jüdische Stimme zu den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen gehört» wird. Botmann betonte, «zu unserem Markenkern zählt gleichzeitig auch das Engagement für andere Minderheiten. Wir legen den Finger in die Wunde, auch wenn es unbequem ist. Keiner darf erwarten, dass der Zentralrat bei Missständen schweigt».
Antisemitismus Die beiden Bundestagsabgeordneten Michaela Engelmeier (SPD) und Volker Beck (Grüne) machten auf die jüngsten Studien zum Antisemitismus in Deutschland aufmerksam. Volker Beck bemängelte zudem die einseitige Bebilderung von jüdischen Themen in vielen deutschen Medien.
Der Publizist Michel Friedman, der mit dem Münchener Medienwissenschaftler Oren Osterer über «Medienethik: Die Rolle der Medien bei Sozialisierung und Identitätsstiftung» sprach, verbat sich jedoch die Bezeichnung «jüdischer Journalist». «Ich bin kein jüdischer Journalist, ich bin Journalist. Schon der Begriff jüdischer Journalist ist diskriminierend.» Wenn er über Antisemitismus berichte, dann sei er vielleicht ein jüdischer Journalist, wandte Friedman ein. «Wenn ich Ban Ki-moon interviewe, dann mit Sicherheit nicht.» Er kritisierte namentlich die Praxis der FAZ, ihn immer als «jüdischen Journalisten» vorzustellen, auch wenn das Thema nichts mit dem Judentum zu tun habe.
Der Publizist und Rechtsanwalt Sergey Lagodinsky war mit den Äußerungen Michel Friedmans nicht einverstanden. In der Diskussionsrunde «Jüdische Stimmen in den Medien: Beispiele, Erfahrungen und Strategien» am frühen Abend griff Lagodinsky die Formulierung «jüdischer Journalist» noch einmal auf und sagte: «Es kann nicht sein, dass Michel Friedman nicht als jüdischer Journalist gesehen werden möchte, wenn er jahrelang stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats war.» Mit Lagodinsky auf dem Podium saßen auch der ehemalige Leiter des ARD-Studios in Tel Aviv, Richard Chaim Schneider, und Peter Finkelgruen, der unter anderem als Auslandskorrespondent der Deutschen Welle in Israel gearbeitet hat.
Tel Aviv Schneider erzählte von seinen Anfängen als Journalist: «Als ich damals beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk begann, wurde ich mit Glacéhandschuhen angefasst. Viele Kollegen hatten Angst, etwas Falsches zu sagen, weil ich Jude bin.» Außerdem sprach er über die Rezeption seiner Arbeit als Studioleiter in Tel Aviv und sagte: «Wenn ich Israel kritisiert habe, fanden das alle toll. Mir konnten sie ja keinen Antisemitismus unterstellen. Wenn ich positiv über Israel berichtet habe, dann meinten sie, das sei ja klar, weil ich Jude bin.» Seine Kollegen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk rieten Schneider außerdem dazu, in Israel seinen Zweitnamen Chaim mit «C.» abzukürzen, um für die Palästinenser nicht sofort als Jude erkennbar zu sein. Das empfand Schneider anfangs als befremdlich, ließ sich aber darauf ein.
Peter Finkelgruen berichtete aus seiner Zeit als Korrespondent in Israel. Angriffe auf Israelis seien in Deutschland nicht oft thematisiert worden, es sei allerdings immer ein großes Thema gewesen, wenn die israelische Regierung auf Angriffe antwortete. Die Diskussionsteilnehmer waren sich darin einig, dass weder in der Berichterstattung über Israel noch in der über jüdisches Leben in Deutschland Normalität eingekehrt ist. Sie erzählten viele Anekdoten über den verkrampften Umgang der Journalistenkollegen mit diesen Themen, der seit Jahrzehnten anhält. Dabei äußerte zumindest der jüngste Teilnehmer Sergey Lagodinsky, dass sich dies in seiner Generation langsam ändere.
Jalta Einen Teil des Nachmittags nahm die Vorstellung der Zeitschrift «Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart» ein, die von zwei der insgesamt sechs Herausgeber, Marina Chernivsky und Lea Wohl von Haselberg, präsentiert wurde. Chernivsky fragte in die Runde, welche Bilder Redaktionen verwenden würden, wenn es um Juden gehe. Aus dem Plenum kamen prompt die Antworten «Kippa» und «Ultraorthodoxe». Chernivsky antwortete wiederum: «Genau. Das ist eine enge Zuweisung einer Zugehörigkeit.» Empowerment, also Selbstbestimmung, sei ihre Reaktion darauf. Lea Wohl von Haselberg erklärte, was hinter «Jalta» steckt: «Wir wollen nicht mit einer Stimme sprechen, sondern es geht um Vielsprachigkeit.» Der Titel sei eine Anspielung auf die Konferenz von Jalta im Februar 1945 und die Wut, die entstehe, wenn andere darüber entscheiden, wer man sei. Die erste Ausgabe habe dann auch konsequenterweise «Selbstermächtigung» zum Thema. In der zweiten Ausgabe werden sich verschiedene Autoren mit dem Thema «Desintegration» befassen.
Resonanzraum Was an diesen Fragen zur jüdischen Identität eigentlich neu sei, und dass man das alles doch schon seit mindestens 40 Jahren besprechen würde, darauf entgegnete Marina Chernivsky: «Wir sind immer noch wütend, und es tut uns leid, wenn Menschen vor 20 und 40 Jahren schon darüber wütend waren. Die Themen sind vielleicht dieselben, aber wir sprechen anders darüber.»
Die in Lviv geborene Referentin wies darauf hin, dass sich jüdisches Leben in Deutschland verändert hat: «Der Resonanzraum ist heute ein anderer. Es gibt jetzt einfach mehr Juden in Deutschland.» Vielleicht gab es an diesem Nachmittag keine wirkliche Antwort darauf, ob und wie jüdische Organisationen und Einzelpersonen mit einer gemeinsamen Stimme sprechen können. In einer pluralistischen Gesellschaft ist das aber auch vielleicht ganz gut so.