Der von der Polizei im vergangenen September nur knapp verhinderte Anschlag auf die Synagoge in Hagen hat in der jüdischen Gemeinde tiefe Spuren hinterlassen. An Jom Kippur wollte nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf der damals 16-jährige Syrer Oday J. eine Bombe in der Synagoge zünden. Sein Ziel: möglichst viele Juden zu töten.
Die Anleitung für den Bau der Bombe hatte er nach Erkenntnis der Ermittler offensichtlich aus dem Internet. Auf seinem Handy fand die Polizei nach einem Bericht der »Bild«-Zeitung Folter- und Hinrichtungsvideos des Islamischen Staates. Der Bau der Bombe scheiterte offenbar nur an der Finanzierung. Mittels einschlägiger Chats habe sich J. sehr schnell radikalisiert.
Am 25. Februar begann vor dem Landgericht Hagen jetzt der Prozess gegen den inzwischen 17-Jährigen wegen »Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat«. Er findet wegen der Minderjährigkeit des jungen Syrers unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Alltag Auch ein halbes Jahr nach dem vereitelten Anschlag ist die Jüdische Gemeinde Hagen weit von allem entfernt, das man Alltag nennen könnte. »Unsere Gottesdienste finden immer noch via Zoom statt«, sagt ihr Vorsitzender Hagay Feldheim. Die Pandemie würde Lockerungen eigentlich wieder möglich machen, aber die Gemeinde will warten, bis sich die Sicherheitslage stabilisiert hat.
»Wir sind wachsam, wir sind viel kritischer.«
Hagay Feldheim
Die Gemeinde in der Potthofstraße, nur wenige Hundert Meter vom Rathaus entfernt am Rande der Hagener Innenstadt gelegen, ist vorsichtig geworden. Noch vorsichtiger, als sie es schon vor dem misslungenen Anschlag war und es jüdische Gemeinden in Deutschland ohnehin sein müssen. »Wir sind wachsam, wir sind viel kritischer, was die passive und aktive Sicherheit betrifft, und wir versuchen immer weiter, die Situation neu zu verstehen und dann im Rahmen unsere Möglichkeiten nach bestem Wissen und Gewissen zu reagieren«, sagt Hagay Feldheim.
Sicherheit In welche Richtung sich die Frage der Sicherheit entwickelt, sei schwer vorauszusehen. »Niemand kann wissen, ob es auch in Zukunft immer gelingen wird, geplante Anschläge zu verhindern. Im vorliegenden Fall soll die Warnung eines ausländischen Geheimdienstes unsere Rettung gewesen sein.«
Offiziell hieß es, dass im September vergangenen Jahres die Ermittler über den Bundesnachrichtendienst Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag auf die Hagener Synagoge erhalten hatten. Dieser sollte an einem hohen jüdischen Feiertag stattfinden. Die Polizei schützte die Synagoge daraufhin am Feiertag Jom Kippur mit einem Großaufgebot. Doch darauf, dass Warnungen dieser Art immer pünktlich eingehen und angemessen beachtet werden, könne man sich natürlich nicht verlassen, so der Gemeindevorsitzende.
Direkt nach dem verhinderten Anschlag hätte die Polizei getan, was sie in der Situation tun konnte. Inzwischen sei der Kontakt mit den offiziellen Stellen vor Ort, der Stadt und der Polizei, nicht mehr so eng.
Zuspruch Aus der Zivilgesellschaft allerdings sei viel Zuspruch gekommen, meistens in Form von Solidaritätsschreiben. Zu persönlichen Gesprächen mit Kirchenvertretern sei es nicht gekommen. Die muslimische Community sei sehr zurückhaltend gewesen. »Nur kleine muslimische Gemeinschaften«, sagt Feldheim, »die von den großen islamischen Verbänden bedroht werden, haben ihre Solidarität geäußert.«
Dass ein zur Tatzeit 16-Jähriger eine harte Strafe erhält, scheint fraglich.
Das Land Nordrhein-Westfalen dagegen habe entschieden gehandelt: Vertreter der Landesregierung hätten die Gemeinde besucht, man habe Gespräche geführt. »Von der Seite bekommen wir spürbare Solidarität, die sich nicht nur auf Worte beschränkt. Wenn wir Unterstützung brauchen, können wir uns an das Land wenden, und das haben wir auch schon getan.«
Signal Vom Prozess erwartet der Gemeindevorsitzende allerdings wenig: »Wir bleiben realistisch. In Wirklichkeit ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein zur Tatzeit 16-Jähriger eine wirkungsvolle Strafe erhält, gering. Das Gericht hat wenig Möglichkeiten: Er ist jung und ein Ersttäter. Unserer Einschätzung nach wird das Urteil wenig Wirkung auf andere potenzielle Täter haben. Aber wir geben unsere Hoffnung nicht auf. Vielleicht wird doch eine Entscheidung fallen, die ein klares Signal aussendet, denn der Angriff auf die jüdische Gemeinschaft war auch ein Angriff auf die demokratische, vielfältige Gesellschaft.«
Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf liegt die mögliche Höchststrafe gemäß Jugendstrafrecht bei fünf Jahren Haft. Bis Ende April sind bislang insgesamt zehn Verhandlungstage angesetzt.