Sozialdienst

Notruf aus der Familie

Was tun, wenn Eltern mit den Kindern nicht mehr fertig werden?

von Rivka Kibel  21.02.2012 09:35 Uhr

Zoff: Manchmal können Sozialarbeiter helfen, den Familienfrieden wiederherzustellen. Foto: Fotolia

Was tun, wenn Eltern mit den Kindern nicht mehr fertig werden?

von Rivka Kibel  21.02.2012 09:35 Uhr

Streit gibt es in den besten Familien – auch in jüdischen. Was aber, wenn sich der innerfamiliäre Konflikt zur nicht mehr zu bewältigenden Krise auswächst? Was, wenn ein Zusammenleben von Eltern, Kindern oder Jugendlichen gar unmöglich wird?

Gibt es in der Familie Stress – beispielsweise, weil die Pubertierenden ihre Grenzen nicht mehr akzeptieren wollen oder Eltern einfach überfordert sind – wenden sich die Eltern meist an die jüdischen Sozialabteilungen. »Nur sehr, sehr selten kommt einmal ein Jugendlicher und bittet um Hilfe«, sagt Dalia Wissgott-Moneta, Leiterin der Sozialberatung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Da sei es schon eher der Fall, dass die Lichtigfeld-Schule an sie herantrete, weil ein Lehrer merkt, dass in einer Familie »gerade irgendetwas nicht rund läuft«.

Zum »großen Glück« habe die jüdische Gemeinde »sehr viele Möglichkeiten zur Verfügung, um präventiv einzuschreiten«, sagt Wissgott-Moneta. Dazu gehören unter anderem Beratungsgespräche, aber auch eine intensive Betreuung der Familie und als Ausgleich für die Kinder Aktivitäten im Jugendzentrum oder beim Sportverein Makkabi. »Manchmal hilft es auch schon, wenn wir einen Teenager aufs Machane schicken«, sagt Wissgott-Moneta.

Auszeit Im Feriencamp, fernab der Eltern, können beide Seiten ein wenig Energie fürs Zusammenleben tanken. »Und die Kinder lernen neue Freunde kennen – zu diesen können sie sich dann auch mal zurückziehen, wenn es im Elternhaus so richtig kracht oder sie jemanden zum Aussprechen brauchen.«

Diese Chance des »Entziehens« sieht Wissgott-Moneta auch als Grund dafür, warum zum Beispiel israelische Familien aus der Gemeinde seltener zu ihr kommen. »Diese Kinder haben ein sehr starkes Freundschaftsgefüge. Das macht stark.«

Helfen kurze Fluchten nicht, greifen die gerne auf die Sochnut, die Jewish Agency for Israel in Deutschland, zurück. Denn die Organisation vermittelt auch längere Israel-Aufenthalte. »Auch Chabad und die Lauder Foundation haben Mittel, praktische Hilfe zu leisten«, weiß Esther Gernhardt, die langjährige Sozialarbeiterin für Familie und Jugend in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Manchmal steht aber auch das Jugendamt schon vor der Tür und will das Kind aus der Familie holen.

»Wenn diese Angehörigen dann zu uns kommen, gehe ich mit ihnen die Einrichtung anschauen, in der das Kind oder der Jugendliche untergebracht werden soll – damit die Betroffenen wissen, wovon man spricht und nicht auf ihre Vorstellungen angewiesen sind«, erklärt die Mitarbeiterin der Berliner Sozialabteilung. Dabei nehme sie auch stets den Kampf mit dem Jugendamt auf, um das Wunsch- und Wahlrecht der Familie zu sichern.

Unverständnis Auch Wissgott-Moneta kostet die Auseinandersetzung mit städtischen Institutionen viel Kraft: »Wir sprechen meist komplett verschiedene Sprachen«, bedauert sie. Und ihr Ton wird schärfer, wenn sie moniert, dass »das Jugendamt Frankfurt früher eher bereit war, auf besondere Bedürfnisse jüdischer Kinder einzugehen«.

Weil es ihr ebenso wie ihrer Berliner Kollegin sehr wichtig ist, »den Respekt vor den Eltern zu wahren«, arbeitet Wissgott-Moneta gerne mit einer Einrichtung der Caritas zusammen. Das katholisch geprägte Haus habe verstanden, dass es erforderlich sei, weder Kinder noch Eltern zu diskriminieren. Auch in Berlin gibt man einer katholischen Einrichtung wegen ihrer positiven Einstellung zur Religion den Vorzug.

Pflegefamilien Ob es nicht idealer wäre, jüdische Kinder in einer jüdischen Pflegefamilie oder in einem jüdischen Kinderheim unterzubringen? Zumindest am Thema Pflegefamilie scheiden sich in Frankfurt und Berlin die Geister. Wissgott-Moneta wirbt in der Gemeinde darum, dass sich Pflegefamilien finden. Weil sie glaubt, dass ein Kind so seine Identität besser wahren kann. Gernhardt indes machte die Erfahrung: »Je tiefer die Hilfe gehen muss, desto eher wird sie außerhalb der Gemeinde gesucht« – um »bei allem Schmerz wenigstens der Stigmatisierung zu entgehen«.

Und ein jüdisches Kinderheim? Bis Ende der 80er-Jahre gab es eines: Mehrere Frankfurter Kinder aus zerrütteten oder überforderten Familien kamen in der Schweiz unter – bis das Haus mangels Pfleglingen schloss. »Der Bedarf für ein richtiges Kinderheim ist zu gering«, weiß auch Gernhardt. Eine Wohngruppe für Jugendliche wäre ihrer Ansicht nach schon eher notwendig.

Alltag Kehrt der Nachwuchs nach Hause zurück, kann er weiterhin auf die Sozialarbeiterinnen zählen. »Wir werden zum Glück nicht nach Fallzahlen entlohnt, sondern sind institutionalisiert. So können wir erfolgreicher versuchen, den Menschen die für sie notwendige Zuwendung zu geben.« Dafür ist Gernhardt dankbar.

Und manchmal werden große Sorgen auch sehr schnell klein. »Ich hatte ganz unglückliche Eltern bei mir im Büro, die mir erzählten, dass ihre Tochter derzeit nicht nur die russischen Literaten verweigert, sondern auch gepierct ist und die Haare ganz kurz trägt«, erzählt Wissgott-Moneta schmunzelnd. Ihr Ausruf: »Ihr Kind hat sich in die deutsche Gesellschaft integriert! Willkommen in der Welt der Pubertierenden!«, habe die Eltern tatsächlich beruhigt. Und auch die 14-Jährige machte mit und brachte trotz allem weiterhin gute Noten nach Hause. Schließlich muss sich nicht jeder Konflikt zu einer Krise auswachsen.

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