Karlsruhe

Normalität erproben

Nur einige Familien trafen sich zum ersten Schabbaton in Karlsruhe, viele hielt Corona von dem Treffen ab. Foto: Brigitte Jähnigen

Vergnügt springen die Kinder der Familien Rogowski-Castro und Surovtsev durch die Gemeinderäume der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe. Sie murren nicht, als sie um einen Fototermin vor die Synagoge gebeten werden, und auch die etwas ältere Nachkommenschaft der Familie Danielov lässt sich gern dazubitten.

Gemeinsam mit ihren Eltern und anderen Teilnehmern aus Karlsruhe, Baden-Baden, Pforzheim, Rottweil, Stuttgart, ja, sogar aus Kassel haben sie – je nach Altersgruppe – drei Tage lang am ersten Schabbaton in der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe teilgenommen. Von den Erwachsenen lernen die Jungen Jüdischkeit; ihnen gehört die Zukunft.

Rund 20 Personen nahmen am vergangenen Wochenende teil, lernten, beteten, diskutierten unter dem Motto »Zurück zur Synagoge« religiöse und Alltagsfragen aus jüdischem Blickwinkel und feierten gemeinsam Kabbalat Schabbat. Die Organisatoren – darunter die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden – hätten sich mehr Interessenten gewünscht. Doch Corona bremst derzeit das Leben in vielen jüdischen Gemeinden aus. Wer aber am Schabbaton in Karlsruhe teilgenommen hat, möchte gern wiederkommen.

corona Dass von 900 eingetragenen Gemeindemitgliedern nur etwa 20 der Einladung gefolgt sind, macht die Organisatoren schon ein wenig traurig. »Viele haben Angst wegen Corona«, sagt Daniel Nemirovsky, Geschäftsführer der Jüdischen Kultusgemeinde. Bibliothek, Makkabi, Theatergruppe und Seniorentreff würden trotz Lockerungen der Corona-Verordnungen des Landes Baden-Württemberg derzeit wenig genutzt. Und als die vielen sozialen Angebote zumindest teilweise wieder im Gemeindezentrum hätten stattfinden können, seien die Leute trotzdem zu Hause geblieben, sagt Nemirovsky.

Neben religiösen Fragen zum Schabbat gab es auch solche zum Alltag.

Umso mehr freut sich der Ortsrabbiner über diejenigen, die zum Schabbaton gekommen sind. »Ich bin sehr, sehr froh, Sie alle hier zu sehen«, bedankt sich Shlomo Jhudovitz am Ende des Schabbatons bei den Teilnehmern.

Drei Tage haben sie Antworten gefunden auf Fragen wie: Wie funktioniert der Aufbau einer Synagoge? Was kann über die Geschichte des Gebetes berichtet werden? Und was ist über die Psalmen der Lobpreisungen, Tehillim, zu sagen? Dazu holten sie sich Rat bei den Rabbinern Shlomo Jhudovitz und Daniel Naftoli Surovtsev von der Israelitischen Kultusgemeinde Baden-Baden. Auch die Gespräche über Alltägliches sollten dabei nicht zu kurz kommen.

»Ich bin sicher, dass dieser Schabbaton nicht der einzige in der jüngeren Geschichte der Jüdischen Gemeinde Karlsruhe gewesen sein wird«, sagt der Karlsruher Rabbiner. Ein Schabbaton sei »die erste Stufe normalen jüdischen Lebens«, betont Jhudovitz.

Minjan »Rückkehr zur Synagoge« – das Motto des Schabbatons bezog sich auf die Folgen der Corona-Krise. »Es ist zweitrangig, wie viele Leute erst einmal kommen, wir müssen etwas machen«, sagt Rami Suliman. Zehn Gemeinden gehören zur Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden. Suliman ist deren Vorsitzender und weiß: »In manchen Gemeinden kommt am Schabbat derzeit kein Minjan zustande, die Leute haben starke Bedenken, sich anzustecken, aber mit Abstands- und Hygieneregeln ist vieles möglich.«

Die Jüdische Kultusgemeinde Karlsruhe ist eine Einheitsgemeinde, gebetet wird nach orthodoxem Ritus. »Doch nicht alle Gemeindemitglieder sind so orthodox, dass sie allein wegen des Gebets in die Synagoge kommen, sie kommen vor allem, um sich zu treffen, sich auszutauschen und natürlich auch, um zu beten«, erzählt Suliman. Die Initiative zum Schabbaton finde er sehr gut, sagt Rami Suliman. »Es ist eine Ermutigung für die Leute.« Am dritten Tag findet er viel Zeit, um aus Pforzheim nach Karlsruhe zu kommen und auch selbst dabeizusein.

Der Weg zur Synagoge in Karlsruhe ist nicht nur per Navigationsgerät leicht zu finden, Fremde werden durch den Öffentlichen Personennahverkehr bestens geleitet. »Synagoge« heißt eine Haltestelle der S-Bahn, die unkompliziert vom Karlsruher Hauptbahnhof zu Synagoge und Gemeindezentrum führt. Beheimatet in der Nordstadt, liegt die Synagoge in einer ruhigen Seitenstraße in einem Waldstück.

Zwar ist die Polizei mehr oder minder rund um die Uhr mit der Sicherheit von Personen, Gelände und Gebäude befasst, doch es gibt weder Mauer noch Zaun. »Wir haben hier zwar etwas Grünfläche, doch wir können sie nicht nutzen«, sagt Michael Krichely. Also findet sich auch kein noch so kleiner Spielplatz auf dem Gelände, auf dem die Kinder der Familien Rogowski-Castro, Jhudovitz und Danielov hätten toben können – entsprechend waren die Mütter gefragt.

Erweiterungsbau Diese Rahmenbedingungen sind es, die viele Mitglieder über eine Erweiterung des Gemeindezentrums, in dem auch der Oberrat der IRG Baden seinen Sitz hat, mit Platz für Betreutes Wohnen und Räume für einen Beit Midrasch auf dem bisher unbebauten Gelände nebenan nachdenken lassen. Die veranschlagten Baukosten von vier Millionen Euro scheinen gesichert, begonnen werden soll mit dem Zukauf von Gelände.

»Wir denken auch an eine Kindertagesstätte und eine Mikwe«, sagt Michael Krichely, stellvertretender Vorsitzender der Karlsruher Gemeinde. »Ohne Mikwe keine Hochzeiten, ohne Hochzeiten keine Kinder, ohne Kinder keine Zukunft, wir setzen aber auf Zukunft«, sagt Krichely. Rami Suliman in der Funktion als Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden unterstütze das Vorhaben sehr, das Karlsruhe mehr denn je zum religiösen Zentrum für ganz Baden machen werde, sagt Geschäftsführer Nemirovsky.

Ohne Mikwe keine Hochzeit, ohne Hochzeit keine Kinder, ohne Kinder keine Zukunft.

Bis es so weit ist, werden die Familien aus Karlsruhe und den anderen Gemeinden an ihren bisherigen Lösungen festhalten müssen. Die älteste Tochter der Familie Danielov feierte Anfang dieses Jahres ihre Batmizwa im Karlsruher Gemeindezentrum. Ihre Augen leuchten, wenn sie davon erzählt. »Meine Freunde in der Schule wissen, dass ich Jüdin bin, ich habe keine Probleme«, sagt sie. Zum Religionsunterricht hat sie sich auch in Karlsruhe angemeldet. Familie Jhudovitz aus Baden-Baden hat sich in Bildungs- und Schulangelegenheiten für das etwa 60 Kilometer entfernte Straßburg entschieden. Familie Rogowski-Castro aus Karlsruhe fand für ihre Kinder eine jüdische Tagesmutter vor Ort.

Rhein Und Michael Krichely, in der Gemeinde Karlsruhe auch für den Fachbereich Religion zuständig, hat eine Idee. Im kommenden Jahr werden 1700 Jahre Judentum in Deutschland gefeiert. Denn Kaiser Konstantin erließ im Jahre 321 ein Edikt, das Juden den Zugang zu Ämtern in der Kurie und der Stadtverwaltung Köln erlaubte. »Dieses Edikt ist die früheste erhaltene schriftliche Quelle zur Existenz von Juden nördlich der Alpen«, sagt Krichely. Köln liegt am Rhein. Warum also sollte der Rhein nicht Gemeinden von Basel bis Amsterdam zusammenbringen? »Juden sind keine Fremdkörper in Deutschland«, sagt Krichely.

»Es ist viel Energie hier in den jüdischen Gemeinden, Corona hat es nur vorübergehend schwieriger gemacht.« Mit diesen Worten schaut auch Rami Suliman optimistisch in Gegenwart und Zukunft.

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