Von gesamtgesellschaftlicher Solidarität war bis dato viel die Rede. Nun wird sie konkreter – zumindest in Berlin. In der deutschen Hauptstadt sollen die Angebote zur Beratung und Hilfe für Opfer verbaler oder physischer antisemitischer Gewalt systematisch ausgebaut werden.
Das jüngste Projekt trägt den Namen »Zentralstelle Hasskriminalität«. Die Anschläge von Halle und Hanau hätten »auch bei uns dazu geführt, bestehende Strukturen zu überdenken«, erklärt dazu Justizsenator Dirk Behrendt.
vertrauen Neben einer anleitenden und koordinierenden Funktion nach innen soll die »Zentralstelle Hasskriminalität« nach außen das Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden insbesondere beim Kampf gegen Rassismus stärken, erläutert Behrendt. Und Generalstaatsanwältin Margarete Koppers ergänzt: »Unser Ziel ist eine aktive Vernetzung und Kooperation mit Organisationen und Initiativen von und für Betroffene von Hasskriminalität.«
Die Zentralstelle könne dabei »an die guten Erfahrungen mit den Ansprechpersonen für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) bei der Staatsanwaltschaft Berlin anknüpfen«, sagt Koppers. Auf der Ebene einer Hauptabteilungsleitung angesiedelt, will man so seitens der Justiz alle Formen vorurteilsmotivierter Straftaten besser erfassen und sich zielgruppenspezifischer mit ihnen beschäftigen.
»Auf diese Weise soll die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Akteure mehr Unterstützung erfahren«, bringt es Sebastian Brux, Pressesprecher bei der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, auf den Punkt.
SENSIBILITÄT Eine der Aufgaben der neuen »Zentralstelle Hasskriminalität« ist die Sensibilisierung der zuständigen Stellen bei der Justiz – auch für den Fall, dass eine Anzeige nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt hat, weil beispielsweise eine Tat als strafrechtlich nicht relevant eingestuft werden musste.
»Für die Opfer von Übergriffen kann der sehr formalistische Ton eines Einstellungsbescheids der Staatsanwaltschaft durchaus ärgerlich und belastend sein. Deshalb sollte wenigstens zum Ausdruck gebracht werden, dass man den antisemitischen Kern eines solchen Vorfalls durchaus erkennt und es bedauert, nicht anders handeln zu können«, sagt Sebastian Brux.
ERFASSUNG Überhaupt legt man bei der Erfassung antisemitischer Vorfälle und der Betreuung ihrer Opfer großen Wert auf Vernetzung und Arbeitsteilung. »So wie die neue Zentralstelle Hasskriminalität auf der Seite der Justiz angesiedelt ist, so ist meine Tätigkeit eher auf der zivilgesellschaftlichen Seite einzuordnen«, beschreibt Sigmount Königsberg, der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, seine Aufgabenbereiche.
»Wir ziehen alle an einem Strang.« Sigmount Königsberg
»Als direkter Ansprechpartner stehe ich Opfern antisemitischer Gewalt unmittelbar zur Verfügung.« Seinen Erfahrungen zufolge sind die Betroffenen nicht immer nur Juden. Auch Nichtjuden können in entsprechende Situationen geraten.
»Oft ist nach solchen Vorfällen dann psychosoziale Unterstützung gefragt«, weiß Königsberg aus Erfahrung. Deshalb kooperiert der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde auch eng mit »ReachOut«, einer 2001 eingerichteten Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Deren Palette der Hilfsangebote beginnt beim emotionalen Support und reicht bis hin zur Begleitung zur Polizei oder zu Gerichtsterminen.
EXPERTEN Neu hinzugekommen ist vor einigen Jahren zudem das Team des Vereins OFEK. »Deren Angebot ist speziell auf die Bedürfnisse jüdischer Opfer von Übergriffen zugeschnitten«, beschreibt Königsberg die Zielgruppe der psychosozialen Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung des Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment bei der ZWST. »Wer dort arbeitet, ist im Regelfall selbst jüdisch und bringt als Expertin oder Experte viel Sensibilität für die spezielle Situation mit, in der sich jüdische Opfer befinden.«
Opfer antisemitischer Angriffe müssen nicht immer jüdisch sein.
Darüber hinaus gibt es noch das Projekt Be’Jachad des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA), das sich mit seiner Internetplattform www.gemeinsam-gegen-hass.de ganz gezielt an Jugendliche richtet, die von antisemitischen Anfeindungen betroffen sind. »Wir ziehen alle an einem Strang«, betont Königsberg.
AUSMASS Dazu zählt auch der Bundesverband der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, besser bekannt als RIAS. Man versteht sich dort als eine Art Meldestelle, die die antisemitischen Vorfälle registriert und anschließend auswertet. Auf diese Weise leistet RIAS einen Betrag dazu, das wahre Ausmaß des Antisemitismus besser erkennen und bekämpfen zu können.
Erst vor wenigen Wochen noch hatte RIAS deshalb mit der ZWST und OFEK eine Kooperation vereinbart. »Da wir weder auf Landes- noch auf Bundesebene eine eigene Beratung leisten, sondern die Meldenden in Hinblick auf weiterführende Beratungsmöglichkeiten konsultieren, sind wir froh darüber, eine Vielzahl von Vermittlungsoptionen zu haben«, sagt RIAS-Projektmitarbeiter Alexander Rasumny.
Auf diese Weise könne man eine passgenaue Unterstützung für die meldende Person finden. »Natürlich ist es uns sehr wichtig, gerade auf zivilgesellschaftliche Beratungsstellen verweisen zu können«, hebt Rasumny hervor. Und deren Netz wird in Berlin immer dichter.